Heutige Forscher richten ihr Augenmerk stärker auf die weiteren Begleitsymptome, die viele Migränepatienten vor oder während einer Attacke erleben. Das führt sie zu neuen Modellen der Krankheit - und auch zu besseren Medikamenten, die das Übel an der Wurzel bekämpfen. In der Oktober-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" berichten die Migräneexperten David W. Dodick und J. Jay Gargus von den neuen Erkenntnissen. Dodick arbeitet an der Maya-Klinik in Arizona bei Phoenix, Gargus an der University of California in Irvin.
Zu den Begleitsymptomen eines Migräneanfalls zählt insbesondere die so genannte Aura: Sinnesillusionen vor allem visueller Art. Typischerweise sehen Betroffene dann zum Beispiel helle Punkte, Lichtblitze, leuchtende Spuren oder bizarre geometrische Muster. Kurz danach erscheinen ihnen an denselben Stellen oft dunkle oder blinde Flecken. In der Regel gehen solche Illusionen der Kopfschmerzattacke voraus.
Diese Aura halten die Wissenschaftler für die Folge eines großflächigen neuronalen Erregungssturms, der die Hirnrinde wie eine Welle überzieht. Und: Auf die überstarke Aktivierung der Nervenzellen folgt eine Phase der Funkstille. Denn aus physiologischen Gründen legen Nervenzellen nach einem Signalereignis stets eine Pause ein. In Tomografen ließ sich das Phänomen bei Migränepatienten bestätigen. Die Erregungswelle wandert mit zwei bis drei Millimetern pro Minute durch die Hirnrinde. Auf den Hirnaufnahmen ist gut zu sehen, wie die Welle im Verlauf einer halben Stunde über die so genannte Sehrinde hinweg zieht - das Gebiet des Gehirns, wo die visuellen Signale eintreffen. Solange der Sturm wütet, nehmen die Patienten Lichterscheinungen war, danach haben sie vorübergehend Ausfälle.
Bisher ist nur nicht völlig klar, was diese Erregungsstürme letztlich auslöst. Vieles spricht aber inzwischen dafür, dass Fehlfunktionen im Hirnstamm zugrunde liegen. Dort sitzt ein wichtiger Verschaltungsknoten für Kopfschmerzen. Außerdem enthält der Hirnstamm weitere Nervenknoten, die entscheidende Körperfunktionen kontrollieren und auch zum Beispiel bei Stress oder psychischem Druck ansprechen. Nachweislich sind diese Gebiete bei einem Migräneanfall aktiv.
Dodick und Gargus halten Migräne für eine Krankheit, bei der viele Gene, aber auch Außeneinflüsse zusammenwirken. Offenbar sind Signalprozesse an Nervenzellen labil. Vor diesem Hintergrund entwickeln Forscher bereits die ersten Medikamente, die speziell auf Migräne abzielen. Besonderes Augenmerk gilt vorbeugenden Arzneimitteln oder anderen Maßnahmen, die eine Attacke von vornherein verhindern. Migräne ist keine Einbildung, wie die Patienten früher oft zu hören bekamen. Das haben die Mediziner nun endlich erkannt.