Das Chemnitzer Fernkältesystem, das bereits seit 1973 in Betrieb ist, besteht aus einem 4,5 Kilometer langen Rohrsystem, in dem fünf Grad kaltes Wasser fließt. Dieses Wasser wird durch eine so genannte Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung mit überschüssiger Wärme aus dem Heizkraftwerk Chemnitz Nord gekühlt und versorgt nahezu alle großen Kälteabnehmer der Stadt, von der Oper über Museen bis zum Kaufhaus. Auch der Universitätsteil Straße der Nationen 62 ist an dieses Netz angeschlossen. Die Fernkälte ist aus mehreren Gründen eine vorteilhafte Art der Klimatisierung: Der Platzbedarf im Gebäude ist gering, es müssen keine Geräte an die Fassade angebracht werden, es gibt keinen Maschinenlärm, Wartungen und aufwändige Bedienung von Geräten fallen nicht an.
Das bisherige Problem der Fernkälteversorgung in Chemnitz beschreibt Ulf Uhlig von den Stadtwerken: "Zu normalen Zeiten ist das System nur zum Teil ausgelastet. Zu Spitzenzeiten - wenn im Sommer die Außentemperaturen über 30 Grad liegen - sind die Maschinen aber nun überlastet, weil immer mehr Kälteabnehmer an das Netz angeschlossen werden." Abhilfe schafft jetzt ein Tank von 19 Metern Höhe (mit einem Füllstand von rund 17 Metern) und 16,5 Metern Durchmesser, in den 3.500 Kubikmeter Wasser passen. Dieses Wasser dient als Speichermedium - auf fünf Grad Celsius gekühlt, reicht es aus, um die Abnehmer in der Chemnitzer Innenstadt zu Spitzenlastzeiten fünf Stunden lang mit Kälte zu versorgen. Die Idee dahinter: Der gut gedämmte Kältespeicher wird nachts mit Hilfe überschüssiger Wärme aus dem Kraftwerk Nord durch Absorptionskältemaschinen aufgeladen und kann tagsüber die Engpässe im Fernkältesystem ausgleichen. Diese Lösung ist nach Meinung von Experten nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ökonomisch ausgewogen. "Die oberirdische Kurzzeit- Speicherung von Kälte ist in Deutschland neu, während es ein großes Langzeit-Kältedepot unter dem Reichstag in Berlin gibt", berichtet Urbaneck. In Europa würden auch anderenorts - etwa in Barcelona, London und Stockholm - Projekte zur Kurzzeit-Großkältespeicherung vorangetrieben, jedoch habe Chemnitz nun ein Vorzeige-System. "Wir freuen uns, dass wir selbst Interessenten aus Dubai schon auf unserer Baustelle begrüßen konnten", ergänzt Urbaneck. Jedoch benötigt man im arabischen Raum Anlagen, die einhundert Mal leistungsstärker sind.
Nach Machbarkeitsuntersuchungen, Konzeptentwicklung, Simulation und technischer Planung werden die Forscher der TU in Zukunft das umweltfreundliche Speicher-System in Chemnitz optimieren: "Dazu werden wir in einer Langzeitüberwachung mit mehr als 100 Messstellen die Funktion der Anlage mit den Ergebnissen unserer Simulationen vergleichen", erläutert Urbaneck. Das Projektteam der TU unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Platzer steht den Stadtwerken auch weiterhin beratend zur Seite. Neben den Stadtwerken zeigte sich auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie begeistert - es übernahm die Kosten für die Forschung der TU zu 100 Prozent und steuerte knapp 247.000 Euro bei. Insgesamt förderte das Bundeswirtschaftsministerium das 1,1 Millionen Euro teure Vorhaben mit etwa 588.000 Euro.
"Die Berechnungen der Strömungsverhältnisse im Speicher übernahm der neue Hochleistungsrechner CHiC der TU Chemnitz - herkömmliche Rechner könnten diese Datenmengen nicht bewältigen", erklärt Dr. Urbaneck. Der Rechner selbst wird auch durch das Fernkältesystem gekühlt: "Zukünftig sorgt bestimmt auch der neue Kältespeicher der Stadtwerke dafür, dass das Rechenwerk nicht heiß läuft. Damit würde sich einmal mehr der Kreis von Forschung und nützlicher Anwendung schließen", so Urbaneck.