Demnach gibt es bei leichten Sehbeeinträchtigungen einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen von Ocriplasmin und bei mittelschweren Sehbeeinträchtigungen einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen.
Wirkstoff soll Verkleben mit Netzhaut lösen
Der Glaskörper des Augapfels (Corpus vitreum) schrumpft mit dem Älterwerden und löst sich normalerweise von der Netzhaut (Retina) ab. Bei Menschen mit vitreomakulärer Traktion (VMT) ist die Ablösung nicht vollständig, der Glaskörper bleibt stellenweise an der Netzhaut kleben. Dadurch kann ein Zug im Bereich des schärfsten Sehens (Makula) und dadurch ein verzerrtes oder unscharfes Bild bis hin zum Sehverlust entstehen.
Das Enzym Ocriplasmin soll, in den Glaskörper des Auges injiziert, die Eiweißverbindung zwischen dem Glaskörper und der Netzhaut lösen und dadurch die Sehstörungen beheben. Möglicherweise lässt sich so eine Operation ersparen.
G-BA unterscheidet drei Teilpopulationen
Für Patientinnen und Patienten, die keine oder nur leichte Symptome haben, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das beobachtende Abwarten als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt, d. h. das Beobachten der Erkrankung und die weitere Behandlung entsprechend der Entwicklung der Erkrankung. Bei schwerer Symptomatik mit fortschreitender Verschlechterung von Sehschärfe und Netzhautveränderungen, steht die Behandlung mit Ocriplasmin zum Vergleich mit dem operativen Entfernen des Glaskörpers (Vitrektomie).
Das Herstellerdossier liefert allerdings nur Daten für die leichte Symptomatik, die im Dossier leichte bis mittelschwere Sehbeeinträchtigungen umfasst. Erwachsene ohne Symptomatik schließt der Hersteller aus seiner Fragestellung aus und für Erwachsene mit schweren Symptomen legt er keine Daten zum Vergleich mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor. Für keine der beiden Teilpopulationen beansprucht der Hersteller einen Zusatznutzen.
Keine Unterschiede in Bezug auf Lebensqualität und Nebenwirkungen
Bezüglich der Lebensqualität ließen sich keine relevanten Unterschiede zwischen der Behandlung mit oder ohne Ocriplasmin feststellen. Nebenwirkungen wie Netzhautablösung und verschlechterte Sehschärfe sowie Studienabbrüche wegen Nebenwirkungen traten mit Ocriplasmin nicht häufiger auf als unter der Vergleichstherapie.
Zusatznutzen hinsichtlich Sehschärfe und Vitrektomie
Bei Erwachsenen mit leichten Symptomen verbesserte sich die Sehschärfe (unabhängig von der Stufe der Sehbeeinträchtigung): Nach der Behandlung mit Ocriplasmin konnten mehr Patientinnen und Patienten auf einer Sehtesttafel (EDTRS) mindestens zwei zusätzliche Zeilen (zehn zusätzliche Buchstaben) erkennen als in der Vergleichsgruppe. Das bedeutet, sie konnten alle Buchstaben, die sie vor der Behandlung aus einer Entfernung von 4 m erkannt hatten, nun auch aus knapp 6,5 m erkennen. Daraus ergibt sich für beide Stufen der Sehbeeinträchtigung ein Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen.
Die Studien zeigen außerdem, dass bei Menschen mit leichter Symptomatik unter der Behandlung mit Ocriplasmin seltener eine Vitrektomie notwendig wird als unter der Vergleichstherapie. Der Zusatznutzen unterscheidet sich hier hinsichtlich der Stufen der Sehbeeinträchtigung: Bei leichten Sehbeeinträchtigungen gibt es einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen und bei mittelschweren Sehbeeinträchtigungen gibt es einen Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen, der nicht quantifizierbar ist, höchstens aber beträchtlich.
In der Gesamtschau lassen sich für die Teilpopulation mit leichter VMT-Symptomatik folgende Vorteile von Ocriplasmin feststellen: Für Menschen mit leichten Sehbeeinträchtigungen gibt es einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen und für Menschen mit mittelschweren Sehbeeinträchtigungen einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen von Ocriplasmin im Vergleich zum beobachtenden Abwarten.
Studienergebnisse sind mit Unsicherheit behaftet
Da die Ergebnisse der Studien unsicher sind, lassen sich daraus keine Belege ableiten. So wurde beispielsweise in den beiden größeren von insgesamt drei Studien (TG-MV-006 und TG-MV-007) in der Kontrollgruppe ein Placebo injiziert. Weil die Injektion an sich Auswirkungen auf die Ergebnisse haben könnte, haben diese beiden Studien ein hohes Verzerrungspotenzial für den eigentlich interessierenden Vergleich mit einem beobachtenden Abwarten.
G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens
Die Dossierbewertung ist Teil des Gesamtverfahrens zur frühen Nutzenbewertung, das der G-BA leitet. Nach der Publikation von Herstellerdossier und Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch, das ergänzende Informationen liefern und in der Folge zu einer veränderten Nutzenbewertung führen kann. Der G-BA trifft einen Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens, der die frühe Nutzenbewertung abschließt.
Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt die Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem eine allgemeinverständliche Kurzinformation.
Auf der Website des G-BA sind sowohl allgemeine Informationen zur Nutzenbewertung nach §35a SGB V als auch zur Bewertung von Ocriplasmin zu finden.