Meilensteine in der Diagnostik der progredienten MS
Die wissenschaftlichen Leistungen des gebürtigen Iren Thompson sind in der internationalen Fachwelt als Meilensteine in der Grundlagenforschung der MS anerkannt. Sie erstrecken sich auf die drei Themenbereiche: Definition des klinischen Phänotyps der MS mit dem Schwerpunkt auf den progredienten Formen der MS, MS-Therapie einschließlich Neurorehabilitation und diagnostische Relevanz der Kernspintomografie.
Alan Thompson leistete Pionierarbeit bei der Aufklärung der besonders schwer verlaufenden und bis heute nur begrenzt therapierbaren primär progredientem Form der MS. Seine, mit anderen Experten gemeinsam, durchgeführten wissenschaftlichen Arbeiten haben entscheidend dazu beigetragen, die von seinem früheren Lehrer, dem 2006 verstorbenen Prof. W. Ian McDonald begründeten Diagnose-Kriterien aller verschiedenen MS-Verlaufsformen zu erweitern und für Neurologen weltweit verbindlich zu definieren. Diese erweiterten „McDonald-Kriterien“ bilden die Basis für die klinischen Therapiestudien der letzten zwei Jahrzehnte, die für die MS-Betroffenen eine grundlegende Verbesserung und einen noch besser differenzierten Einsatz der modernen Therapie-Optionen ermöglicht haben.
Schon Anfang der 1990er Jahre gelang Thompson und seiner Arbeitsgruppe die diagnostische Abgrenzung zwischen der sekundär progredienten Form, der schubförmigen MS und der primär progredienten Form. Ein weiterer bedeutender Fortschritt für den patientengerechten Einsatz von Therapien war Thompsons Definition klinischer und insbesondere kernspintomografischer Kriterien, die eine frühzeitige Prognose des Krankheitsverlaufs ermöglichen. Richtungsweisend waren auch seine funktionellen Kernspin-Studien am betroffenen Sehnerv, die den Nachweis einer Regenerationsfähigkeit durch Neuroplastizität erbrachten. Einen neuen Schwerpunkt seiner neurologischen Forschungen setzt Thompson auf traumatische Hirnverletzungen: aus dem Studium der Krankheitsmechanismen nach Gehirntrauma verspricht er sich Erkenntnisse zu den bis heute rätselhaften Progressionsmechanismen in späteren Stadien der MS.
Prof. Thompson publiziert in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften, hielt zahlreiche bedeutende Vorträge weltweit und erhielt mehrere Ehrungen für seine Arbeiten. Er hat ein internationales Netzwerk von MS-Forschern im Gebiet der progredienten MS aufgebaut, die „International Progressive MS Alliance“, um die noch ungeklärten Krankheitsmechanismen aufzuklären. Neben der Forschung engagiert er sich stark in der Lehre und ist Herausgeber von Lehrbüchern über MS und Neurorehabilitation.
Leukozyten mit Suppressionswirkung auf das Autoimmungeschehen
Mit dem mit 15.000 Euro dotierten Nachwuchspreis zeichnete die Sobek Stiftung Privatdozent Dr. med. Benjamin Knier von der Neurologischen Universitätsklinik im Klinikum rechts der Isar der TU München aus.
Dr. Knier ist seit 2019 Oberarzt der Klinik und Leiter des neurologischen Labors für Optische Kohärenztomografie (OCT). Krankhafte Veränderungen der Netzhaut bei MS-Erkrankten sind seit 2015 einer seiner klinischen Forschungsschwerpunkte. Sie lassen sich mittels OCT genau abbilden, vermessen und analysieren. Seine teils bahnbrechenden Forschungsergebnisse in diesem Bereich haben Dr. Knier ein weithin anerkanntes Forschungsprofil verschafft. So konnte er nachweisen, dass das OCT bereits im Vorstadium der MS sichtbare Veränderungen der Netzhaut aufzeigt, die Hinweise auf den späteren Krankheitsverlauf geben können. Das OCT ist zudem ein wichtiges Instrument für die Beurteilung des MS-Krankheitsverlaufs.
In seinem grundlagenwissenschaftlichen Arbeitsbereich gelang Dr. Knier Nachweis und Definition spezieller Leukozyten in Gehirn und Liquor (Nervenwasser), der „myeloiden Suppressorzellen“. Diese können offensichtlich die schädliche Aktivität autoimmuner B-Lymphozyten dämpfen. Knier und Kollegen konnten die molekularen und zellulären Prozesse aufzeigen, die konventionelle Leukozyten zu solch immunregulatorischen „Suppressoren“ umwandeln können. Speziell gezüchteten Mäusen wurde diese Leukozytenart im Experiment entfernt mit dem Effekt, dass sich die Hirnentzündung verstärkte. Wurde im Gegenzug die Suppressor-Wirkung dieser Regulatorzellen verstärkt, nahm die Entzündung ab und der Krankheitsverlauf wurde gedämpft. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich künftig Substanzen entwickeln, die ein hohes therapeutisches Potenzial für eine erfolgreiche Behandlung der MS erwarten lassen.
Mit Prof. Thompson und Dr. Knier zeichnete die Sobek Stiftung auch in diesem außergewöhnlichen Jahr 2020 zwei herausragende Wissenschaftler aus, die mit ihren Forschungsergebnissen neue Perspektiven für die Diagnose und Therapie der MS als Autoimmunerkrankung eröffnen. Die Sobek Stiftung verleiht jährlich ihren Forschungspreis auf Vorschlag eines wissenschaftlichen Beirates in Zusammenarbeit mit der AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG, und DMSG-Bundesverband.