Die hohe Zufriedenheit der Patienten mit ihren Hausärzten belegt der Arztnavigator, eine Online-Arztsuche, die AOK, BARMER GEK und Weisse Liste seit Kurzem gemeinsam betreiben. "Die Patienten, die ihren Hausarzt bewerten, vergeben im Artztnavigator ganz überwiegend Bestnoten", erklärte Viktor Bernecker, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des AOK-Bundesverbandes und Vorsitzender des Verwaltungsrats der AOK PLUS (Arbeitgeberseite). Der Vergleich mit anderen Industrienationen zeigt jedoch, dass deutsche Hausärzte anders mit ihren Patienten umgehen als ihre ausländischen Kollegen: Sie sprechen häufiger mit ihnen, nämlich durchschnittlich zwölf Mal im Jahr, dafür aber mit acht Minuten pro Konsultation erheblich kürzer als die ausländischen Kollegen, die sich beispielsweise in Belgien und der Schweiz doppelt so viel Zeit für ihre Patienten nehmen. So kommt es, dass ein deutscher Hausarzt pro Woche über 300 Patientenkontakte hat, die Kollegen in den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Spanien, Belgien und der Schweiz im Durchschnitt nur die Hälfte. "Da liegt schon der Schluss nahe, dass in den kurzen Gesprächen manches, was der Arzt sagt, nicht oder nicht richtig beim Patienten ankommt und der Patient dann noch einmal kommen muss", schlussfolgerte Professor Antje Bergmann von der Technischen Universität Dresden aus den Daten.
Bergmann, Sachsens erste Professorin für Allgemeinmedizin, zeigte, dass in Deutschland der Anteil der Hausärzte an der ambulanten Versorgung seit 1996 kontinuierlich abnimmt und der der Fachärzte wächst. Inzwischen gebe es mehr Fachärzte als Hausärzte, notwendig sei jedoch das umgekehrte Verhältnis. Sorge bereite ihr ferner, dass in Sachsen in den nächsten Jahren 648 Hausärzte in den Ruhestand gingen, so Bergmann.
Vertreter des AOK-Bundesverbandes wollten davon aber nicht auf einen generellen drohenden Ärztemangel schließen. Fritz Schösser, Aufsichtsratsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes (Arbeitnehmerseite), erklärte, in seiner Heimat Bayern existiere eher eine Überversorgung, insgesamt seien in Deutschland die Ärzte schlecht über die Fläche verteilt. Der Ärzteatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeige zudem, dass derzeit so viele Ärzte niedergelassen seien wie nie zuvor. "In Thüringen haben wir weder bei den Hausärzten noch bei den Fachärzten Über- oder Unterversorgung. Dennoch betreiben wir Analysen, was kommen könnte. Mit ersten Ergebnissen rechnen wir im August", fasste Bernecker die Situation in seiner Heimatregion zusammen. Wolfgang Metschurat, ebenfalls Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des AOK-Bundesverbandes und Verwaltungsratsvorsitzender der AOK Nordost (Arbeitnehmerseite),betonte seinerseits die Verteilungsproblematik: "In Brandenburg können manche Versicherten froh sein, einen Arzt im Umkreis von 30 Kilometern zu finden, in Berlin finden Sie an jeder Ecke einen."
Unterschiedlich bewerteten die Podiumsteilnehmer Qualitätsindikatoren für die Beurteilung ärztlicher Leistungen. Dr. Günther Egidi, Allgemeinmediziner aus Bremen, sagte: "Es kann nicht darum gehen, welcher Arzt bei welcher Diagnose welches Antibiotikum verschreibt. Hausärzte müssen eine Familie möglichst über mehrere Generationen sowie das Umfeld des Patienten kennen und außerdem richtig kommunizieren können. Darum geht es doch." Sein Kollege Dr. Christian Klepzig aus Offenbach gab ihm Recht: "Natürlich können Sie ohne Empathie als Arzt nicht bestehen." Dennoch gebe es harte Fakten, die Aufschluss über die Qualität medizinischer Leistungen ermöglichten: "Wenn wir die Amputationsrate beim diabetischen Fuß um 30 Prozent senken, dann sagt das sehr wohl etwas aus."
Honorarsystem korrekturbedürftig
Konsens herrschte unter den Diskussionsteilnehmern, dass das derzeitige Honorarsystem in der ambulanten Versorgung unverständlich sei und leistungswillige Mediziner eher demotiviere. Dazu Egidi: "Wenn ich meine Patienten vor schädlichen Behandlungen oder Übermedikamentierung bewahren will, mache ich das für lau. Was ich verdiene, weiß ich erst Monate später. Das Honorarsystem verstehen in Deutschland nur noch zwei bis drei Leute. Das alles zusammen ist nicht gerade aufbauend." Eine Lanze für mehr Logik im Honorarsystem brach auch Klepzig: "Wir haben bei uns in Hessen eine Extragebührenordnung im Vertrag zur Integrierten Versorgung. Da gibt es für schwere Fälle mehr Geld."
Als Beispiel für ein weiteres gelungenes Vergütungssystem, das parallel zu dem der Regelversorgung existiert, nannte Ulrich Weigeldt, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, das Modell innerhalb des Hausarztvertrages zwischen AOK und Hausärzten in Baden-Württemberg. Dieses sei sehr einfach, übersichtlich und unbürokratisch und motiviere Ärzte zu vernünftigem Verhalten. Weigeldt plädierte dafür, in weiteren Regionen derartige Alternativen zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab, also der Gebührenordnung der Regelversorgung, auszuprobieren und die Entwicklung über mehrere Jahre hinweg zu beobachten.
Klepzig warf der Politik vor, der wachsenden Demotivation der Mediziner tatenlos zuzuschauen: "Die Besten haben die Schnauze am meisten voll. Die Politik guckt sich nur an, wie versucht wird, tote Pferde zu reanimieren." Dr. Rolf Koschorrek, Mitglied im Bundestag und im Bundestagsausschuss für Gesundheit, wies die Handlungsaufforderung jedoch zurück: "Wir haben bei der jüngsten Honorarreform gesehen, was passiert, wenn wir Politiker bundeseinheitliche Vorgaben machen: Diese Reform ist gescheitert. Viel lieber sollten die Ärzte Druck auf die Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen machen, damit sich etwas ändert." Eine weitere bundeseinheitliche Vorgabe kritisierte Dr. Volker Hansen. Der Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes (Arbeitgeberseite) wandte sich gegen die gesetzliche Vorgabe, dass die Krankenkassen Hausarztverträge abschließen müssen.
Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass die Lotsenfunktion des Hausarztes gestärkt werden müsse, schon allein weil die Tendenz zur Multimorbidität zunehme. "Das hat bei unserem Hausarztvertrag in Bayern noch nicht geklappt", sagte Schösser. Er zeigte sich optimistisch, dass durch mehr Kooperation und den Einsatz von Telemedizin sogar noch Einsparpotenziale gehoben werden könnten. "Das Geld, das wir intelligent und ohne Nachteil für die Versicherten sparen, setzen wir gerne für die Honorierung besonders engagierter Hausärzte ein", erklärte er.
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