Auch wenn der Erblasser seine Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten oder Lebenspartner durch ein Testament vom Erbe ausgeschlossen hat, haben diese trotzdem einen Anspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, den so genannten Pflichtteil. Der Erblasser hinterlässt zum Beispiel einen Sohn und eine Tochter als Erben. Da er seit Jahren keinen Kontakt mehr zum Sohn hatte, setzt er seine Tochter als Alleinerbin ein. Auch wenn der Sohn "enterbt" wurde, hat er trotzdem Anspruch auf die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils. Der gesetzliche Erbteil würde hier eigentlich 50 Prozent für den Sohn sowie 50 Prozent für die Tochter betragen. Der Sohn kann also einen Pflichtteil von 25 Prozent (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) des Nachlasses geltend machen.
Der Anspruch an sich bleibt durch die Reform unverändert. Der Gesetzesentwurf überarbeitet aber die Gründe, die den Erblasser zu einer Entziehung des Pflichtteils berechtigen. So sollen die Entziehungsgründe künftig für alle Pflichtteilsberechtigen gleichermaßen Anwendung finden - in der bisherigen Gesetzesfassung gelten für Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten unterschiedliche Voraussetzungen.
Zudem sollen künftig auch alle Personen geschützt werden, die dem Erblasser wie Ehegatten, Lebenspartner oder Kindern vergleichbar nahe stehen. Der Pflichtteil soll auch dann entzogen werden können, wenn der Pflichtteilsberechtigte diesen Personen nach dem Leben trachtet oder sie körperlich schwer misshandelt (Beispiel: Der Sohn der Erblasserin tötet ihren langjährigen Lebensgefährten). Das derzeitige Gesetz ermöglicht eine Pflichtteilsentziehung nur bei entsprechenden Vorfällen gegenüber einem viel engeren Personenkreis. Außerdem soll der Entziehungsgrund des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" entfallen. Dieser war laut ARAG Experten oft zu unbestimmt. Stattdessen soll nach dem Gesetzesentwurf eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zur Pflichtteilsentziehung berechtigen, sofern es dem Erblasser deshalb unzumutbar ist, dem Verurteilten seinen Pflichtteil zu belassen. Gleiches soll bei Straftaten gelten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden.
Gleitende Ausschlussfristen für Pflichtteilsergänzungsansprüche
Hat der Erblasser zu Lebzeiten einen Vermögenswert an Dritte verschenkt, führt das zu einem so genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben oder den Beschenkten. Nach derzeitigem Recht bleibt die Schenkung erst unberücksichtigt, wenn seit der Schenkung zehn Jahre verstrichen sind. Künftig ist laut ARAG Experten eine gleitende Frist vorgesehen: Die Schenkung soll für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs immer weniger Berücksichtigung finden, je länger sie zurückliegt. Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in die Berechnung einbezogen, im zweiten Jahr nur noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 usw.
Erweiterung der Stundungsmöglichkeiten für Pflichtteilsschuldner
Wer zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs Erbschaftsgegenstände - z. B. eine Immobilie oder ein Unternehmen - veräußern müsste, soll zukünftig von den Pflichtteilsberechtigten unter erleichterten Voraussetzungen eine Stundung der Ansprüche verlangen können. Ausreichend soll sein, dass die Erfüllung des Anspruchs eine "unbillige Härte" darstellt. Außerdem soll die Stundung - anders als nach bestehender Rechtslage - für jeden Erben durchsetzbar sein.
Berücksichtigung von Pflegeleistungen beim Erbausgleich
Eine wichtige Neuerung außerhalb des Pflichtteilsrechts ist die bessere Berücksichtigung von Pflegeleistungen bei der Erbauseinandersetzung. Hat der Erblasser in seinem Testament keine Regelung zum Ausgleich solcher Leistungen getroffen, gehen die pflegenden Angehörigen nach bisheriger Gesetzeslage häufig leer aus. Künftig soll deshalb jeder gesetzliche Erbe einen Ausgleich für Pflegeleistungen erhalten und zwar unabhängig davon, ob er für die Pflegeleistungen auf eigenes berufliches Einkommen verzichtet hat. Die Bewertung der Leistungen soll sich an der gesetzlichen Pflegeversicherung orientieren.
Abkürzung der Verjährung
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. Für familien- und erbrechtliche Ansprüche gilt eine Sonderverjährung von 30 Jahren, jedoch mit zahlreichen Ausnahmen. Die große Kluft zwischen diesen beiden Verjährungsfristen führt in der Praxis laut ARAG Experten oft zu Wertungswidersprüchen: Daher wird die Verjährung familien- und erbrechtlicher Ansprüche an die Regelverjährung von drei Jahren angepasst. Die 30-jährige Verjährungsfrist bleibt nur noch in wenigen Ausnahmefällen erhalten.
Was kann schon vor Inkrafttreten der Reform geregelt werden?
Für Erbfälle nach Inkrafttreten der Reform soll schon das neue Erbrecht gelten - unabhängig davon, ob es um Ereignisse (z. B. eine Schenkung) vor Inkrafttreten der Vorschriften geht. Es kann deshalb sinnvoll sein, die geplanten Änderungen schon jetzt bei der testamentarischen Gestaltung zu berücksichtigen, zum Beispiel zur Frage der Pflichtteilsentziehung. Zudem kann man durch rechtzeitige Schenkungen die Möglichkeit ausnutzen, die Pflichtteilsansprüche deutlich zu mindern und somit als Erblasser möglichst frei über den Nachlass zu bestimmen.