Hintergrund der Entscheidung
Das Unterhaltsrecht wurde zum 1. Januar 2008 in vielen Punkten reformiert. Unverändert blieb jedoch - neben der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1581 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) - die Regelung der Höhe des nachehelichen Unterhalts. Dieser wird nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei der Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse richtete sich der BGH vor der Reform grundsätzlich nach den finanziellen Verhältnissen zum Zeitpunkt der Scheidung. Inzwischen geht der BGH aber davon aus, dass sich die Lebensverhältnisse einer geschiedenen Ehe später verändern können und spricht in diesem Zusammenhang von "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen". Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehepartner werden deshalb nach der "Dreiteilungsmethode" in die Bemessung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten einbezogen. Der Unterhaltsbedarf des Ex-Ehepartners berechnet sich danach laut ARAG Experten wie folgt: Seine bereinigten Einkünfte, die des Unterhaltspflichtigen und die des neuen Ehegatten werden addiert und durch drei geteilt. Mit einer Kontrollrechnung stellt der BGH anschließend sicher, dass dem geschiedenen Ehepartner nicht mehr Unterhalt zugesprochen wird, als er bekommen hätte, wenn der Unterhaltspflichtige nicht wieder geheiratet hätte.
Zugrundeliegender Fall
In dem zugrundeliegenden Fall war eine Frau 24 Jahre lang verheiratet. Im Zuge der Scheidung wurde ihr zunächst ein Aufstockungsunterhalt von 618 Euro monatlich zugesprochen. Nach der erneuten Heirat ihres Ex-Mannes reduzierte das Amtsgericht den monatlichen Unterhalt auf 488 Euro, da es die Einkünfte der neuen Ehegattin nach der "Dreiteilungsmethode" des BGH in die Bedarfsberechnung einbezog. Das Oberlandesgericht hielt das Urteil aufrecht. Dagegen legte die Ex-Frau Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein.
Rechtssprechung verfassungswidrig
Das BVerfG hielt die Rechtsprechung des BGH für verfassungswidrig. Die Begründung: Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB entwickelte BGH-Rechtsprechung zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" unter Anwendung der "Dreiteilungsmethode" löse sich vom gesetzgeberischen Konzept zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetze es durch ein eigenes Modell. Das Konzept des Gesetzgebers unterscheide zwischen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten, seinem Unterhaltsbedarf, der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen und der Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter. Für die Unterhaltsberechnung müsse zunächst der Unterhaltsbedarf bestimmt werden. Daran schließe sich die Prüfung der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen und die Verteilung der verfügbaren Mittel im Mangelfall an. Das BVerfG wies darauf hin, dass der Gesetzgeber anlässlich der Reform an dieser Strukturierung ebenso festgehalten habe wie an der Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung.
BGH nimmt Systemwechsel vor
Nach Auffassung des BVerfG setzt sich der BGH über dieses Konzept hinweg. Er nehme einen Systemwechsel vor, indem er die nach der Ehe entstandenen Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehegatten schon auf der Ebene des Bedarfs des Ex-Ehepartners berücksichtigt. Und nicht erst - wie vom Gesetz vorgesehen - auf der Ebene der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Damit hebe der BGH die gesetzliche Unterscheidung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit auf. Die "Dreiteilungsmethode" in Verbindung mit der Kontrollrechnung habe zur Folge, dass der geschiedene Ehepartner regelmäßig weniger, nur selten dasselbe, nie aber mehr Unterhalt erhalte als nach einer an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierten Berechnung.
Grundrechte verletzt
Die neue Rechtsprechung des BGH lässt sich nach Auffassung des BVerfG mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden rechtfertigen. Sie widerspreche sowohl dem eindeutigen Wortlaut als auch dem Zweck des Gesetzes. Zudem setze sie sich über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers bei der Unterhaltsreform hinweg. Das BVerfG sah deshalb die Ex-Frau in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (allgemeine Handlungsfreiheit) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Das Oberlandesgericht muss nun erneut über den Fall entscheiden.