Neu ist der Vorschlag, einen Koordinator oder eine Koordinatorin für die Straßenverkehrssicherheit in der EU zu ernennen. Er soll laut Dieter-Lebrecht Koch, Berichterstatter im Verkehrsausschuss, "keine weitere Behörde sein, sondern das Wirrwarr in der europäischen Verkehrspolitik vereinheitlichen". Dazu zählen die Kontrolle der Durchsetzung von beschlossenen Maßnahmen und die Umsetzung der europäischen Charta für Verkehrssicherheit in nationale und regionale Pläne ebenso wie die Harmonisierung der Straßenverkehrsvorschriften und Verkehrsschilder in Europa. Aus Sicht des ARCD müsste der Koordinator vor allem der EU-Kommission und den nationalen Verkehrsministern auf die Finger schauen, wenn wichtige Entscheidungen und Maßnahmen immer wieder verschleppt werden.
Der ARCD begrüßt auch die Forderung der Parlamentarier, innerhalb von zwei Jahren eine einheitliche Definition für die Kategorien "Lebensgefährlich Verletzte", "Schwer"- und "Leichtverletzte" zu erarbeiten, die dann überall in Europa gelten. Nur so wären die Unfallstatistiken der Länder seriös miteinander vergleichbar, um daraus Maßnahmen abzuleiten. "Hinzukommen müsste die Einführung einer vierten Kategorie, nämlich die der Schwerstverletzten", fordert Christian Wolf. Durch eine verbesserte Notfallmedizin würden heute viele Unfallopfer am Leben bleiben, die vor einigen Jahren noch gestorben wären. Ihre pauschale Einordnung als Verletzte berücksichtige nicht die oft schweren lebenslangen Folgen und die hohen volkswirtschaftlichen Kosten.
Mit Blick auf Risiken durch Fahrer mit gesundheitlichen Problemen fordert der EUVerkehrsausschuss in seinem Papier "einen Augentest für alle Inhaber von Führerscheinen der Klassen A und B alle zehn Jahre sowie für alle über 65-jährige Führerscheininhaber alle fünf Jahre". Auch sollten die EU-Länder eine obligatorische ärztliche Untersuchung für Fahrer "ab einem bestimmten Alter" einführen, um festzustellen, ob diese körperlich, geistig und psychisch nach wie vor in der Lage sind, zu fahren. Offenbar sehen die EU-Parlamentarier in dieser Frage vor allem die nationalen Regierungen am Zug. "Wir werden mit Sicherheit keine gesetzlichen Vorschriften einführen", stellte Berichterstatter und stellvertretender Ausschussvorsitzender Koch in Berlin aus Sicht der EU-Parlamentarier klar. In Deutschland hat Verkehrsminister Ramsauer solchen Plänen bereits eine Absage erteilt. Er setzt auf das Einsichtsvermögen älterer Verkehrsteilnehmer und die Verantwortungsbereitschaft ihrer Ärzte.
Kommen sollen hingegen einheitliche Mindeststandards für die Beleuchtung und die Sicherheitsausstattung von Fahrrädern einschließlich Pedelecs. Der Ausschuss plädiert für das Tragen von Schutzhelmen und reflektierender Kleidung bei Dunkelheit. Berichterstatter Koch mahnt: "Radfahrer haben auch eine Mitwirkungspflicht für die eigene Verkehrssicherheit." Die Verkehrspolitiker fordern in ihrem Papier zudem obligatorische Auffrischungskurse in Erster Hilfe alle zehn Jahre für Führerscheininhaber. Darüber hinaus befürwortet der Ausschuss die Einführung von Kontrollsystemen, mit denen Geschwindigkeitsverstöße von Motorradfahrern systematisch festgestellt und geahndet werden können. Europaweit verbieten lassen will der Ausschuss die Herstellung, die Einfuhr und den Vertrieb von Systemen, die Kraftfahrer vor Verkehrskontrollen warnen. Dazu zählen Radarwarn- und Laserstörgeräte oder Navigationssysteme mit automatischer Ankündigung von Verkehrskontrollen. Beim Thema Alkohol am Steuer empfehlen die Parlamentarier der EU-Kommission, bis 2013 für alle neuen Fahrzeuge des gewerblichen Personen- und Gütertransports Atemalkohol-Messgeräte (Alcolocks) vorzuschreiben. Koch könnte sich sogar vorstellen, solche Geräte in den Cockpits von Passagiermaschinen einzuführen, sagte er in Berlin.
Als wichtiges Ziel seiner Initiative nennt der EU-Ausschuss den Schutz von schwächeren Verkehrsteilnehmern. Die Wahrscheinlichkeit, im Straßenverkehr getötet zu werden, sei pro zurückgelegtem Kilometer für Fußgänger 9 Mal, für Radfahrer 7 Mal und für Motorradfahrer 18 Mal so hoch wie für Pkw-Insassen. Bis 2020 soll die Anzahl der getöteten Kinder bis 14 Jahre um 60 Prozent und der lebensgefährlich verletzten Personen um 40 Prozent sinken. Weiterhin wird eine Halbierung der Zahl der Verkehrstoten in der EU bis 2020 angestrebt. Wie der ARCD aus Brüssel erfuhr, soll am kommenden Dienstag über den Bericht im EU-Plenum abgestimmt werden, bevor er an die Europäische Kommission geht. Bis Ende 2011 soll die Kommission dann ein Aktionsprogramm mit Maßnahmenkatalog und klaren Zeitplänen vorlegen. Der ARCD warnt nach dem Motto "Qualität geht vor Quantität" vor einem Sammelsurium von Ideen und Absichtserklärungen und fordert stattdessen klare Prioritäten für schnell realisierbare und Erfolg versprechende Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit in Europa.