Abermals sind es die Spezialpräparate im Hochpreissegment, die für die Ausgabendynamik sorgen. Von den rund 3,7 Mrd. Euro Arzneimittelkosten der BARMER GEK für 2009 entfallen rund 20 Prozent bzw. 700 Millionen Euro auf die Top 20-Präparate. Auf Platz 1 und 2 finden sich zwei innovative Rheumamittel mit Ausgabensprüngen um 20 bis 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Jahrestherapiekosten: 16.000 bis 24.000 Euro). Auf Platz 3 bis 5 liegen Präparate gegen Multiple Sklerose mit einem Ausgabenanstieg um 12 bis 24 Prozent (durchschnittliche Jahrestherapiekosten von 40.000 Euro). Für das führende Krebsmittel Glivec, Platz 8 bei BARMER GEK, Platz 3 bei den Industrieumsätzen in Deutschland, wurde ein Ausgabenzuwachs von 17 Prozent verzeichnet (Jahrestherapiekosten zwischen 38.000 und 50.000 Euro).
"Deutschland kann gut darauf verzichten, Referenzland für europäische Preisbildung zu sein", erklärte Schlenker. Es sei an der Zeit, die Arzneimittelpreisbildung vernünftig zu gestalten, ohne gleichzeitig Innovationshemmnisse zu fördern. Ausdrücklich begrüßt er die Passage im Referentenentwurf zum "Arzneimittelneuordnungsgesetz" (AMNOG), wonach Schiedsverfahren zur Festlegung von Erstattungshöhen die Höhe des tatsächlichen Abgabepreises in anderen europäischen Ländern berücksichtigen sollen: "Die europäische Perspektive muss bereits vorher Maßstab für die direkten Verhandlungen zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und den Pharma-Unternehmen sein. Das wäre der Durchbruch für faire Preise und gute Verträge."
Autor Professor Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen sieht neben echten Innovationen auch fragwürdige Arzneimittel in den Top-20: "Wir können mit Arzneimitteln sparen, wir können aber auch weiterhin an Arzneimitteln sparen." Das Mitglied im bisherigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesens äußerte erhebliche Zweifel am Zusatznutzen manch angeblich innovativer und viel verordneter Arzneimittel. Das Einsparvolumen für drei bestimmte Präparate aus der Top-20-Liste bezifferte Glaeske auf rund 50 Millionen Euro. Nach wie vor sieht der Pharmaexperte große Effizienzreserven in einer gesteigerten Generikaquote: "Hebt man den Anteil der Nachahmerprodukte von 81 auf 85 Prozent, bringt das 400 Millionen Euro." Weitere Einsparpotentiale ergeben sich 2010/ 2011 mit dem Patentablauf von rund 60 patentgeschützten Wirkstoffen im Gesamtvolumen von rund 2,9 Milliarden Euro.
In seiner Kommentierung des aktuellen Gesetzesvorhabens geht Glaeske einen Schritt weiter. Für die Klasse patentgeschützter Arzneimittel ohne vergleichbaren Zusatznutzen fordert er eine Kassenzulassung auf Zeit: "Der tatsächliche Patientennutzen lässt sich nicht abschließend auf Grundlage von Schnellbewertungen klären. Wir brauchen unbedingt ein herstellerunabhängiges Prüfverfahren, das verlässliche Aussagen über den Therapieerfolg unter alltäglichen Versorgungsbedingungen ermöglicht. Die nachträgliche Kosten-Nutzen-Bewertung muss zur Pflicht werden." Bestätige sich dann die vorläufige Einschätzung, könne der Preis bleiben. Sei hingegen kein Zusatznutzen feststellbar, könne man den vorläufigen Preis wieder absenken und die überzahlten Beträge an die Kassen zurückerstatten.
Der Report bietet auf Basis von 8,5 Millionen Versicherten einen ersten verlässlichen Überblick zu aktuellen Entwicklungen und Ausgabentrends im deutschen Arzneimittelmarkt. Überdies enthält der zum zehnten Mal erscheinende Report spezielle Auswertungen zur Versorgung mit Zytostatika-Rezepturen, des Prostatakarzinoms oder der Multiplen Sklerose. Im aktuellen BARMER GEK Arzneimittel-Report 2010 wurden erstmals auch Verordnungsdaten der ehemaligen Einzelkassen BARMER und GEK aus den Jahren 2008 und 2009 zusammengeführt.