Eingangs herrscht Konsens darüber, dass die soziale Pflegeversicherung weiterentwickelt werden müsse. Partei übergreifend wählen die Pflegeex-perten denselben inhaltlichen Bezugspunkt: Das seit Februar 2009 vorlie-gende Konzept des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbeg-riffs scheint allen Parteien als Ausgangsbasis geeignet. Auf das daraus ableitbare Motto "Weg von der Minutenpflege" lässt es sich leicht einigen. Und auch die grundsätzliche Forderung nach einer "Aufwertung der Pfle-geberufe" vertreten CDU/CSU, FDP, SPD und DIE LINKE unisono.
Verdopplung des Pflegebeitrags?
Bevor die konzeptionelle Einigkeit in den Himmel wächst, führt Heinz Lan-fermann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, die Diskussion auf den harten Boden der Finanzierungsfrage zurück. Nachdem im Pflegedialog ein großes "Wunschkonzert" angestimmt worden sei, müsse man sich jetzt damit beschäftigen, "was geht, was ist bezahlbar". Die Verdopplung des Pflegebedarfs bis 2050 bedeute mindestens die Verdopplung des Beitrags-satzbedarfs von heute rund 2 auf 4 Prozent. Die Umsetzung des Pflegebe-dürftigkeitsbegriffs bedeute zusätzlich rund 4 Milliarden Euro, was rund 0, 4 Beitragssatzpunkte entspreche. In der Koalition sei man sich einig darüber, dass die demographische Entwicklung und die angemessene Einbeziehung der Demenz in die Pflege über das Umlagesystem langfristig nicht zu fi-nanzieren seien. Statt einer Finanzierung von der Hand in den Mund brau-che man deshalb eine "Finanzierung mit eingebauter Zukunftssicherung". Eine ergänzende individuelle Kapitaldeckung verspreche die "Umgehung der demographischen Falle".
Willi Zylajew, Pflegeexperte der CDU/CSU Bundestagsfraktion, bekräftigt das Vorhaben der Koalition, noch dieses Jahr eine Pflegereform auf den Weg zu bringen. Er macht unmissverständlich deutlich, dass die CDU/CSU das Ansparen einer Demographiereserve für unverzichtbar hält. Nur so lasse sich der Kostenanstieg "untertunneln". Um die Rücklage vor Zweck-entfremdung zu schützen, müsse sie verpflichtend und individualisiert aus-gestaltet sein. Eckpunkte einer Pflegereform seien nicht vor der Sommer-pause zu erwarten, so Lanfermann. Zylajew ergänzt, dass der Sommer bis September reiche.
Finanzierung innerhalb der sozialen Pflegeversicherung
Vom bisherigen "Jahr der Pflege" zeigen sich die Pflegeexperten der Op-position enttäuscht. Die pflegepolitische Sprecherin der SPD, Hilde Mattheis, sieht vor allem "Vertröstungsaktionen". Den Anspruch an die Pflegereform formuliert sie deutlich: "Es darf niemand schlechter gestellt werden, aber viele müssten besser dastehen." Deshalb dürfe auch ein hö-herer Beitragssatz kein Tabu sein, ebenso wie die Verbreiterung der Ein-nahmen durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Ni-veau der Rentenversicherung und die Verbeitragung anderer Einkom-mensarten. Zentral sei zudem, dass aufgrund der unterschiedlichen Vertei-lung des Pflegerisikos die Private Pflegeversicherung einen Ausgleich an die Soziale Pflegeversicherung zahle.
Die Pflegeexpertin der LINKEN, Kathrin Senger-Schäfer, geht noch einen Schritt weiter: Eine Stärkung der Solidarität gehe nur mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung der LINKEN. Innerhalb dieser sei unter anderem nicht nur die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erforderlich, perspektivisch müsse man sie ganz abschaffen. Auch sei es sinnvoll, die Arbeitgeber an der Finanzierung der Pflegeversicherung zu gleichen Teilen zu beteiligen. Solidarische Ausgestaltung sei das Gebot der Stunde, Investments in Kapitalanlagen nach der Finanzkrise das falsche Signal. Senger-Schäfer verweist auf wachsende Produktivkräfte - auch in der Pflege. Insofern sei das Heraufbeschwören einer demographischen Gefahr ein "Mythos".
Dass an diesem Tag die Gegner einer individuellen Kapitaldeckung knapp in der Mehrheit sind, liegt an Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BARMER GEK: "Statt über eine unsichere Teil-kapitaldeckung zu spekulieren, sollten wir die Beitragsfinanzierung stärken und zusehen, wie wir die private Pflegeversicherung an der Solidarität beteiligen. Sie hat nur die halbe Pflegelast zu tragen." Den jährlichen Aus-gabenanstieg in der Pflegeversicherung um rund 200 bis 300 Millionen Eu-ro bezeichnet Schlenker als "beträchtlich, aber nicht immens. Bei guter Konjunktur dürften die Finanzmittel der sozialen Pflegeversicherung nach heutiger Schätzung bis ins Jahr 2014 reichen. Uns bleibt genügend Zeit, eine zukunftsfähige Lösung zu finden."