"Mit dem AGG ist ein wichtiger Prozess begonnen worden. Nie zu vor wurde so viel über Diskriminierung in Deutschland diskutiert. Und nie zuvor wurde deutlich, wie viel Arbeit noch vor uns liegt", so Evers-Meyer. Die Vorkommnisse auf der Urlaubsinsel Usedom, dort wurde vor kurzem eine Familie mit einem behinderten Kind vor die Tür ihrer angemieteten Ferienwohnung gesetzt, mache aus Sicht der Beauftragten deutlich, dass die Diskussion um das AGG nur ein Anfang gewesen sein kann. Evers-Meyer: "Wir werden in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene weiter darüber diskutieren, wie gegen Diskriminierung vorgegangen werden kann. Auch weitere gesetzliche Maßnahmen bleiben in diesem Zusammenhang denkbar. Die EU konnte sich mit der Antirassismusrichtlinie und der Richtlinie zur Gleichstellung von Männern und Frauen auf einen umfassenden Diskriminierungsschutz einigen. Da ist es schwer nachvollziehbar, dass das Thema Menschen mit Behinderung ausgeklammert bleiben soll."
Insbesondere im Bereich der Versicherungswirtschaft sei die Situation für Menschen mit Behinderungen nach wie vor unbefriedigend. Die Beauftragte appellierte heute noch einmal an die privaten Versicherungsunternehmen, jeden Fall individuell und gewissenhaft zu prüfen, damit auch Menschen mit Behinderungen ihre Lebensrisiken absichern können. "Ich werde die Auswirkungen des Gesetzes gerade in diesem Bereich weiter sehr genau beobachten", so Evers-Meyer.
Der Beauftragten sei bewusst, dass es ein beschwerlicher Weg sein wird. Die Erfahrungen mit dem AGG hätten gezeigt, dass es große Widerstände aus den unterschiedlichsten Richtungen gäbe. Seitens der Wirtschaft sei jahrelang versucht worden, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu blockieren, u. a. mit der überzogenen Befürchtung vor einer Klageflut.
"Ideologische Grabenkämpfe haben die sachliche Diskussion teilweise völlig an den Rand gedrängt. Dabei existierten Klagemöglichkeiten und Dokumentationspflichten für Arbeitgeber bereits nach bisherigem Recht, etwa nach § 611a BGB. Eine Klageflut hat es damals nicht gegeben. Eine erneute Umfrage meines Hauses bei sämtlichen Amtsgerichten und Arbeitsgerichten in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Berlin hat daher erwartungsgemäß kein anderes Ergebnis geliefert", so die Beauftragte.
Von den 140 Amtsgerichten hätten sich 106 Gerichte an der Umfrage beteiligt. Lediglich 2 Verfahren mit Bezug zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hätte es dort seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegeben. Von den 20 angeschriebenen Arbeitsgerichten hätten 14 Gerichte sowie das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz geantwortet. Dort seien bislang insgesamt 96 Verfahren mit Bezug zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geführt worden.
Evers-Meyer: "Die aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geführten Gerichts-verfahren bewegen sich in einer Größenordnung, die marginal ist. Die Befürchtungen der Wirtschaft haben sich damit eindeutig nicht bestätigt."
Gesetze allein reichen jedoch auch nach Ansicht der Behindertenbeauftragten nicht aus, um das Problem der Diskriminierung behinderter Menschen in den Griff zu bekommen: "Ich möchte das einjährige Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes daher auch dazu nutzen, alle Arbeitgeber und die Wirtschaft dazu aufzurufen, ihr Augenmerk noch stärker auf Menschen mit Behinderungen zu richten. Arbeitgeber sollen nicht danach fragen, was Menschen mit Behinderungen nicht können, sondern auf ihre individuellen Fähigkeiten schauen. Die Bundesregierung stellt zahlreiche finanziellen Hilfen zur Förderung der Beschäfti¬gung von Menschen mit Behinderung bereit. Die Wirtschaft muss Menschen mit Behinderungen noch mehr als Kunden am Markt wahrnehmen."