Die diesjährige Auflage des traditionsreichen 24-Stunden-Rennens von Spa-Francorchamps markiert einen Meilenstein im Motorsport. Zum ersten Mal wird sich der beidseitig beinamputierte Zanardi das Cockpit mit anderen, körperlich nicht beeinträchtigten Fahrern teilen. Dieses Projekt ist in seiner Form einzigartig und auch für BMW Motorsport etwas ganz Besonderes. In den vergangenen Monaten hat ein Team aus bis zu neun Ingenieuren zahlreiche innovative technische Lösungen entwickelt. Dank dieser Lösungen können alle drei Fahrer problemlos eine Renndistanz von 24 Stunden bestreiten und die Fahrerwechsel zwischen einem körperlich beeinträchtigten Fahrer und anderen Piloten schnellstmöglich zu absolviert werden.
"Dieses Projekt ist wirklich eine spannende Herausforderung. Es ist eine echte Premiere für uns und wir alle widmen uns diesem Projekt mit großer Begeisterung - die Fahrer, die Ingenieure und jeder bei BMW Motorsport", sagt BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt. "Unsere Ingenieure haben intensiv an der Entwicklung einer ganzen Reihe von Modifikationen und Features für den BMW Z4 GT3 gearbeitet. Diese haben sich bereits auf der Rennstrecke bewährt. Wir sind stolz auf die großartige Arbeit, die jeder in diesem außergewöhnlichen Projekt geleistet hat und können es kaum erwarten, das 24-Stunden-Abenteuer gemeinsam mit Alex, Bruno und Timo anzugehen."
Modifikationen wurden in den folgenden Bereichen vorgenommen: Pedalbox, Kupplung und Lenkräder. Zudem haben die Ingenieure die Sitzposition optimiert, eine Klimaanlage eingebaut und die Software für die Motorsteuerung überarbeitet. Insgesamt hat die Entwicklungsarbeit rund fünf Monate gedauert.
Am 11. und 12. Juni haben die Fahrer, BMW Motorsport und ROAL Motorsport ein erfolgreiches Rollout auf dem Adria Raceway (IT) absolviert. Am vergangenen Wochenende haben sie den nächsten Schritt gemacht: Zanardi, Glock und Spengler haben am Sechs-Stunden-Rennen von Paul Ricard in Le Castellet (FR) teilgenommen, um die Modifikationen an ihrem BMW Z4 GT3 unter Rennbedingungen zu testen.
Im Folgenden finden Sie einen detaillierten Überblick über alle technischen Modifikationen und Features.
BMW Z4 GT3 für Alessandro Zanardi, Timo Glock, Bruno Spengler, 24 Stunden von Spa-Francorchamps - Technische Modifikationen und Features im Detail:
Fahrzeug:
BMW Motorsport verwendete das Grundchassis, mit dem Zanardi in der vergangenen Saison in der Blancpain Sprint Series gefahren ist. Dieses wurde jedoch komplett überarbeitet und optimiert. Beim Aufbau des Autos wurden ein paar Komponenten übernommen, die meisten Teile sind jedoch neu. So handelt es sich im Prinzip um ein vollkommen neues Auto.
Vom Grundaufbau her entspricht das Fahrzeug allen anderen im Rennsport eingesetzten BMW Z4 GT3. BMW Motorsport hat nur die Modifikationen durchgeführt, die es Zanardi ermöglichen, das Auto zu fahren. Alle anderen Komponenten sind homologiert. Modifikationen wurden in den folgenden Bereichen vorgenommen: Pedalbox, Kupplung und Lenkräder. Zudem haben die Ingenieure die Sitzposition optimiert, eine Klimaanlage eingebaut und die Software für die Motorsteuerung überarbeitet.
Pedalbox allgemein:
Von rechts nach links finden sich in der Pedalbox: das Bremspedal für Zanardi, ein Trennelement, das Gaspedal und das Bremspedal für Glock und Spengler sowie ganz links eine Fußstütze für Zanardi. Die gesamte Pedalbox wurde tiefer gelegt, das hilft Zanardi beim Bremsen.
Die Bedürfnisse aller drei Fahrer werden erfüllt: Für Zanardi ist es wichtig, dass der Abstand zwischen seinen Pedalen so groß wie möglich ist, während Glock und Spengler ihre Pedale so nah beieinander wie möglich benötigen.
Bremspedal und Fußstütze Zanardi:
Im vergangenen Jahr hat Zanardi ein normales Bremspedal verwendet, auf das eine Halterung montiert war. Er hat mit seinem rechten Bein ziemlich weit links gebremst und musste deshalb seine Hüfte verdrehen. Dies war nicht optimal und kostete beim Bremsen Kraft. So haben die BMW Motorsport Ingenieure nach einer Lösung gesucht, mit der Zanardi seine Hüfte beim Bremsen so gerade und natürlich wie möglich bewegen und somit die Kraft seiner Muskeln voll ausnutzen kann. Zudem war wichtig, dass das Bremspedal nicht zu viel Platz in Anspruch nimmt, da es auch die Pedale für Glock und Spengler gibt und deren Gaspedal im Vergleich zur normalen Position nicht zu weit nach links wandern sollte.
Diese Aufgaben löste BMW Motorsport mit einem Stift, der auf dem Bremspedal angebracht ist und auf den Zanardi seine Beinprothese schieben kann. Diese Stift-Lösung bringt mehrere Vorteile: Sie benötigt nicht viel Platz und sorgt für eine feste Verbindung zwischen dem Bremspedal und Zanardis Beinprothese. Da Zanardi sein Bein nur eingeschränkt kontrollieren kann, kann es passieren, dass der Fuß zur Seite verrutscht. Dies ist mit dem Stift nicht möglich - er hält das Bein fest in seiner Position.
Auch die Beinprothese selbst wurde modifiziert. Der obere Teil, der Oberschenkel, ist seine normale Prothese. Doch er kann den unteren Teil, den Unterschenkel, anpassen. Für diesen Teil unterhalb des Knies haben die BMW Motorsport Ingenieure einen speziellen Fußadapter entworfen. Er ist so designt, dass er auf den Stift passt, und ist zudem justierbar.
Neben dem Bremspedal wurde ein seitliches Trennelement eingebaut. Es verhindert, dass Glock oder Spengler aus Versehen mit ihrem Fuß auf Zanardis Bremspedal rutschen.
Das Kupplungspedal auf der ganz linken Seite der Pedalbox wurde entfernt und stattdessen eine Fußstütze für Zanardi eingebaut. Diese Fußstütze ist für Zanardi sehr wichtig, da er sich mit seinem linken Bein darauf abstützen kann und in der Folge zum Bremsen seine volle Kraft auf das rechte Bein bringen kann.
Die Bremse selbst wird durch Glocks und Spenglers Bremspedal aktiviert. Die beiden Bremspedale sind miteinander verbunden. Wenn Zanardi sein Bremspedal drückt, geht das andere mit nach unten und aktiviert die Bremse - die beiden Pedale bewegen sich simultan. Wenn Zanardi nicht im Auto sitzt, wird sein Bremspedal durch einen Federmechanismus in seiner Position gehalten.
Da Zanardi weniger Kraft auf die Bremse bringen kann als andere Fahrer, haben die BMW Motorsport Ingenieure die Bremsratio für ihn schrittweise erhöht. Seine Bremsratio liegt nun etwa 30 Prozent höher als bei anderen BMW Z4 Fahrern wie Glock oder Spengler. Das ermöglicht ihm, mit einem Druck von rund 105 bar zu bremsen.
Kupplung:
Die BMW Motorsport Ingenieure haben das Kupplungspedal komplett aus der Pedalbox entfernt und es durch ein Clutch-by-Wire-System ersetzt. Dieses System wird über zwei Kupplungswippen gesteuert, ähnlich den Schaltwippen, die am Lenkrad sowie am Dashboard montiert sind. Damit kommen auch Glock und Spengler bestens zurecht.
Lenkrad Glock/Spengler:
Beim Lenkrad für Glock und Spengler handelt es sich um das BMW Z4 GT3 Standard-Lenkrad, mit folgenden Modifikationen: Das Lenkrad wird nun über ein externes Kabel angeschlossen, und seitlich hinten am Lenkrad wurde die Handkupplung montiert. Die Fahrer können sie mit der Hand aktivieren und losfahren. Die Schaltwippen sind Standard. Zudem haben die BMW Motorsport Ingenieure ein Schwarzlicht installiert. Damit sind die Beschriftungen im Dunkeln sichtbar, ohne dass die Fahrer gestört werden. BMW Motorsport verwendet dieses Schwarzlicht auch bei anderen 24-Stunden-Rennen.
Lenkrad Zanardi:
Zanardis Lenkrad ist vollkommen neu, basiert aber auf dem, das er im vergangenen Jahr verwendet hat. Auf der Rückseite befindet sich weiterhin ein Ring, mit dem er Gas gibt. Die BMW Motorsport Ingenieure haben dieses System jedoch weiter optimiert.
Anstelle von zwei Schaltwippen (rechts und links) gibt es nur noch ein Schaltsystem auf der rechten Seite. Während Zanardi mit dem Ring Gas gibt, kann er mit dem hinteren Schaltpedal nach oben schalten. Mit dem Daumen schaltet er nach unten.
Die Knöpfe und Schalter auf dem Lenkrad sind Standard, es wurden jedoch einige besondere Features hinzugefügt. Zu diesen Features gehört ein LED-Streifen in der Mitte. Die wichtigsten Funktionen werden nicht nur auf dem Dashboard, sondern auch direkt auf dem Lenkrad angezeigt, zum Beispiel die Schaltanzeige. Die Positionen der Knöpfe wurden angepasst und optimiert.
Das komplette Lenkrad ist von innen beleuchtet, deshalb benötigt er kein Schwarzlicht.
Die Form des Lenkrads ist ähnlich wie im vergangenen Jahr, aber die BMW Motorsport Ingenieure haben es an der Unterseite noch flacher gestaltet. Damit hat Zanardi noch mehr Platz für seine Knie.
Sitz / Gurt:
Im vergangenen Jahr haben ROAL Motorsport und Zanardi viel Zeit und Arbeit in das Thema Sitz investiert und eine Lösung gefunden, die für ihn perfekt ist. Diese Lösung diente als Basis für dieses Jahr. Für Zanardi wurde ein Karbon-Insert angefertigt, das fest verbaut ist, damit es sich nicht mehr bewegen kann. Dieses Insert ist gefüttert und hat eine Lordosenstütze integriert, die er rechts aufpumpen kann. Die Kombination aus Sitzbasis und Zanardis Insert bildet den Sitz als solchen. Auf dieser Basis haben die Ingenieure ein Insert für Glock und Spengler angefertigt. Beim Fahrerwechsel müssen sie also nur ihr Insert auf den Sitz legen.
Zudem haben die BMW Motorsport Ingenieure auch die Sitzposition optimiert. Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist sie nun vollständig gerade, und der Sitz wurde nach hinten versetzt. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass es so möglichst viel Platz für den Fahrerwechsel gibt.
Im vergangenen Jahr hat Zanardi einen Gurt verwendet, der kein Schnellwechselgurt war. Da er in diesem Jahr Fahrerwechsel absolvieren muss, entschied man sich für den Standard- GT3-Endurance-Gurt.
Software zur Motorsteuerung:
BMW Motorsport hat auch die Software für die Motorsteuerung überarbeitet, da nun zwei Fahrpedalkennlinien benötigt werden - eine vom Gaspedal in der Pedalbox und eine vom Lenkrad. Das Fahrzeug muss zwischen beiden wechseln, wenn der Fahrer wechselt. Die Software wurde so überarbeitet, dass sie bei einem Wechsel des Lenkrads erkennt, wer gerade im Auto sitzt. Wenn Zanardis Lenkrad befestigt wird, schaltet die Software automatisch auf seine Kennlinie um.
Klimaanlage:
Da Zanardi keine Beine hat, kann sein Körper die Körpertemperatur nicht optimal regulieren. Deshalb muss sein Körper im Cockpit gekühlt werden. Im vergangenen Jahr verwendete er ein Kühlsystem mit Trockeneis. Dies ist jedoch keine optimale Lösung für die Anforderungen in einem 24-Stunden-Rennen. Deshalb haben die Ingenieure eine Klimaanlage eingebaut, wie sie im BMW Z4 GTE eingesetzt wird.