Unter der Leitung von Gert Scobel vom TV-Sender 3sat diskutierte eine kleine, illustre Runde vor internationalen Journalisten und Sammlern dieses brisante Thema. Ob nun grünes Bauen, Energiemanagement, Technologie, Produktdesign oder die Entwicklung eines Rolls-Royce, nach wie vor Inbegriff des Luxus - in einem waren sich die Gesprächsteilnehmer einig: Der Begriff Nachhaltigkeit muss, wenn er mehr sein soll als nur ein aktuelles Modewort, einen Paradigmenwechsel beschreiben, der ein gewachsenes Bewusstsein für den Preis des Konsums und seine Folgen für die Umwelt umfasst. Nachhaltiges Design, richtig verstanden, würde sich so nicht nur auf das Produkt beziehen, sondern auf den gesamten Entstehungsprozess. Zukünftig entstünden durch die Technologie und einer neuen Generation intelligenter Anwendungen mehr Transparenz und ein tieferes Verständnis für die Komplexität dieser Zusammenhänge.
Nachhaltigkeit ist wie Design ein Begriff, der sich kaum bündig fassen lässt. Allein eine Anfrage bei Google brachte, wie Gert Scobel in seiner Einleitung feststellte, die gigantische Zahl von über 28 Millionen Treffern. Trotz seiner aktuellen Brisanz hat das Konzept historische Wurzeln. Schon vor vierhundert Jahren haben Forstbesitzer in Europa verstanden, dass man nur fällen kann, was man nachpflanzt, um langfristig Gewinn zu erzielen: kein Holz, kein Einkommen.
Dieser Ansatz - heute würde man von "long term investment" sprechen, bewegt auch die Panelisten des BMW Group Design Talk bei ihrem Nachdenken über zeitgemäße, nachhaltige Ansätze. Die Engländerin Alice Rawsthorn, renommierte Designkritikerin bei der "International Herald Tribune" sowie dem Magazin der "New York Times", beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit Möglichkeiten und Beispielen nachhaltigen Gestaltens. Der Amerikaner John Picard, Gründungsmitglied sowohl von Picard & Associates wie von dem einflussreichen Green Building Council, ist ein leidenschaftlicher Vordenker und Pionier nachhaltigen Bauens. Der preisgekrönte junge amerikanische Künstler Aaron Koblin, Tech Lead in Googles Kreativschmiede in San Francisco, macht mit spektakulären Datenvisualisierungen von Mustern kulturelle Trends und komplexe Wandlungsprozesse sichtbar. Als Repräsentant des Automobildesigns in der Runde hat der Chief Designer von Roll-Royce Motor Cars, Ian Cameron, mit seiner zeitgemäßen Gestaltung einer ehrwürdigen Marke diesem Inbegriff des Luxusautomobils eine neue Käuferschaft zugeführt.
Stand 2009 der Villa d'Este Design Talk mit dem Thema "Is Modesty the new Luxury?" noch unter dem Eindruck der Erschütterung durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, so kennzeichnete das diesjährige Gespräch das Vertrauen in neue Entwicklungen, angetrieben von den Veränderungen eines sich erholenden Marktes. "Die Zeitenwende ist jetzt", versicherte John Picard, der sich mit Herzblut ökologischen Geschäftsmodellen verschrieben hat. "Ich könnte Sie alle mitnehmen zu einer Reise durch das Silicon Valley, und Sie würden die Aufbruchsstimmung spüren. Folgen Sie dem Geld, und Sie werden sehen, dass das Risikokapital sich sehr stark für die Verbindung von Technologie mit grünem Bauen interessiert." Manager von unterbewerten Immobilienportfolios sehen bei Gebäuden, die dank dem Einsatz von Picard und seinen Mitstreitern energie- und kostenbewusst renoviert wurden, einen Zuwachs an Rendite. Was einst als die Domäne von Öko-Kriegern - auch John Picard zählte einst dazu - und grünen Romantikern belächelt wurde, ist heute in den Mainstream gerückt. Global agierende Unternehmen wie die Allianz und auch BMW sind dabei, ihre Prozesse in Richtung Nachhaltigkeit neu zu definieren und lassen sich von Experten wie eben John Picard beraten.
Themen wie Klimawandel, erneuerbare Energien, Recycling und soziale Verantwortung stehen längst auch im Focus des World Economic Forum in Davos, wo sich alljährlich Hochfinanz, Wirtschaft und Politik zu informellen Gesprächen treffen. Alice Rawsthorn erinnerte sich an eine Gesprächsrunde zum Thema Nachhaltigkeit, die sie dort selbst moderiert hatte. Beim ersten Mal stieß sie noch auf Desinteresse oder Ablehnung der Vorstände; im Jahr darauf erschienen die Beteiligten bestens vorbereitet und hochinteressiert. "Ein Beispiel für den Wandel, den wir jetzt erleben, ist, wie schnell die Entscheider gelernt haben umzudenken. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die verschiedenen Aspekte nachhaltigen Wirtschaftens und Produzierens nicht als Phantasie einiger weniger wahrgenommen werden, sondern als belegbare Ergebnisse."
Der Künstler Aaron Koblin, der mit seinen dokumentarischen Arbeiten Bilder bestechender Schönheit zum Thema dieses Wandels geschaffen hat, glaubt an die Kraft, Prozesse sichtbar und nachvollziehbar zu machen. "Wenn Menschen gezeigt bekommen, wie viel sie konsumieren und welche Folgen für Umwelt und Ressourcen jeder Schritt der Herstellungskette birgt, schalten sie nachweisbar einen Gang zurück. Dieser bewusstere Umgang verdankt sich auch einer Fülle von Daten in einer 'open source community', die frei zugänglich sind und wie in einem Bienenstock als Information von vielen geteilt und verbreitet werden können." Design entwickle somit über seine klassische Anwendung hinaus nicht nur funktionale und ästhetisch überzeugende Gegenstände, sondern gestalte Maßnahmen mit, die der sogenannten cradletocradle-Philosophie entsprechen: intelligente, ökologisch effektive Produktionsprozesse, die Abfall und Verschwendung minimieren, inspiriert von den Lebenszyklen der Natur. Schon jetzt, so Koblin, würden Strichcodes entwickelt, die Verbrauchern erlaubten, die Provenienz und den Werdegang eines einzelnen Produktes zu verfolgen. Diese komplexen Vorgänge bringt Picard auf eine griffige Formel: "Die Technosphäre bewegt sich auf die Biosphäre zu."
In zahlreichen Gesprächen mit der jungen Designergeneration hat Alice Rawsthorn immer wieder festgestellt, dass Nachhaltigkeit kein aufgeklebtes Label für trendbewusste Großstädter sein dürfe, sondern von den Jungen als Teil ihres Aufgabenbereichs verstanden werden will. Gleichzeitig fühlten sich viele durch diese Verbindung von Kreativität und Verantwortung auch enorm unter Druck gesetzt. Die Frage, "wie würde grünes Design aussehen?" entzieht sich genauso einer eindeutigen Antwort wie die Suche nach der "guten Form." "Wir tragen ja schon jetzt wegen unseres Lebensstils ein schlechtes Gewissen mit uns herum", sagt die Designkritikerin. "Nachhaltiges Design darf kein Büßerhemd sein, es sollte vielmehr zeigen, wie man sinnvolle, innovative und dabei faszinierende und interessante Dinge gestaltet."
Möglicherweise zeichnet sich eine leuchtende Zukunft ab, in der weniger der alten Fehler gemacht werden, aber Ian Cameron bleibt bei vielen Heilsversprechen skeptisch und stellt eine Frage, die das Thema des BMW Design Talks noch einmal um seine Achse dreht. "Haben wir heute überhaupt eine Denkweise, die Design nachhaltig erlaubt?" Er meint damit einen rasanten Verlust an Lebensqualität, den er täglich beobachten kann. "Design bedeutet auch, sich Zeit zu nehmen und sich einzulassen. Es ist das Gegenteil von schnell und sofort, hier und jetzt." Das Gegengewicht zum gedankenlosen Konsum wäre für ihn die Wertschätzung und die Einsicht, dass Qualität mit der Zeit reift. Nachhaltig wäre somit der Gegenstand, den man hegt und pflegt statt ihn zu entsorgen, weil man ihn schätzen gelernt hat. Daß zu dieser Kategorie auch ein bestechend sorgfältig gebautes Auto zählen könnte, liegt nahe. Leise, aber nicht ohne einen gewissen Stolz erzählt der Chefdesigner von Rolls-Royce, dass das britische Werk in Südengland nach ökologischen Richtlinien verändert wurde und dafür auch einschlägige Auszeichnungen erhalten habe. "Das ist Ausdruck unseres Selbstverständnisses als in die Zukunft ausgerichtetes Unternehmen."
Hier macht John Picard auch einen wirksamen Ansatz aus, beim Versuch, Industrieunternehmen umweltfreundlich umzubauen. "Wie macht man den neuen "Phantom" von Rolls-Royce zu einem grünen Auto?", fragte er keck. "Ich würde nur die Zulieferer zulassen, deren Komponenten einen günstigen Energiekoeffizienten besitzen. Sie könnten damit den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit vorantreiben". Picard weiß, dass die Autoindustrie viel unternommen hat, um beispielsweise konsequent CO2-Emissionen zu senken. "Fahrzeuge werden von ihren Lebenszyklen bestimmt - das ist ein eingebauter Antrieb für nachhaltige Verbesserung. In der Bauwirtschaft ist das leider anders, denn für uns gelten oft überholte Baubestimmungen und das Diktat des niedrigsten Angebots. Eine unheilvolle Kombination." Seine Vision einer Zukunft nachhaltiger Architektur basiert auf Lebenszyklen, auf quasi erneuerbaren Gebäuden, deren Komponenten wie Solaranlagen oder ähnlichem regelmäßig mit einem verbesserten Update ausgetauscht werden könnten, ohne Abriss. Denkbar wäre diese Verfahrensweise nach seiner Meinung auch für Kleidung. "Wir haben immer noch keine Vorstellung davon, wieviel die Dinge, die wir benutzen tatsächlich im Sinne ihrer Umweltverträglichkeit oder Nichtverträglichkeit kosten."
Ein Gedanke, den Alice Rawsthorn aufgreift. "Wir wissen immer noch mehr über unsere persönlichen großen Anschaffungen wie Wohnung, Eigenheim oder Auto, aber was ist mit dem "carbon footprint" - dem Kohlenstoffausstoss - von Konsumgütern? Das wäre jetzt der nächste Schritt." Sie beobachtet erste Ansätze in einer entstehenden Infrastruktur nachhaltigen Handelns und nennt als Beispiele Time-Sharing-Modelle und andere Formen gemeinsamer Nutzung sowie den Trend, Bedürfnisse einzuschränken, die als nicht klimakompatibel eingeschätzt werden. Mit Ian Cameron ist sie der Meinung, dass nachhaltiges Design durch unsere Bereitschaft befördert wird, langsamer und bewusster zu leben und zu erleben, und in der Entdeckung der einfachen Freuden. Auch Designer dächten über solche Möglichkeiten nach. Auf der Suche nach Antworten warnte sie vor allzu radikalen Ansätzen. Es falle jedem schwer, auf den gewohnten Komfort zu verzichten. Solche Wege, so die Kritikerin, versprächen selten eine praktikable Option.
Aber ein Weg, Vergeudung und Redundanz zu vermeiden ohne auf die schönen Dinge im Leben verzichten zu müssen, so die Überzeugung der Panelisten, ist die Unterstützung für intelligentes und effizientes Design, das Technologie ebenso einbindet wie Vorbilder aus der Natur. Dazu zählen Beleuchtungssysteme, die selbstständig ihren Verbrauch und Bedarf regeln und den Nutzer über ihren Status informieren können, außerdem die Forschung im Bereich Bionik, wo industrielle Entwicklung und Produktion auf die evolutionären Prozesse der Biodiversität treffen oder die Betonung regionaler Nachhaltigkeit, um die groben Raster globaler Normen zu vermeiden. Wie Aaron Koblin bemerkt, kann man nachhaltige Strategien im High-Tech-Sektor bereits heute erleben. Er nennt als Beispiel Geräte, deren regelmäßige Software-Updates immer benutzerfreundlicher und funktionaler ausgelegt sind. Früher musste dafür die komplette Hardware ausgetauscht werden.
Jedes Exemplar der seltenen, historischen Fahrzeuge, die vor der Villa Erba, dem Ort des BMW Group Design Talk, stehen, wurde für eine lange Lebensdauer gebaut und erfuhr schon als neues Auto enorme Wertschätzung. Dennoch verkörpert jeder dieser Klassiker der Automobilhistorie die optimistische Zukunftsvision seiner Epoche, eine gestalterische Philosophie, die von den Gesprächsteilnehmern der Runde auch heute leidenschaftlich geteilt wird, mögen die Herausforderungen dieser Zeit auch komplexer erscheinen. Nachhaltiges Design steckt noch mitten im Entstehungsprozess - das spiegelt sich auch in den diversen Ansätzen und Überlegungen der Experten. Wenn es ein Resumee gibt, dann dies, dass Nachhaltigkeit wohl nicht der Stoff von Phantasten ist, sondern auf faktenbezogenen Ergebnissen beruht.