- Abweichungen von der Ideallinie können präzise analysiert werden.
- Olympiasieger und Weltmeister Felix Loch begeistert von den gewonnen Erkenntnissen.
Erstmalig haben BMW Motorsport Ingenieure modernste Messund Analysetechnologie von der Rennstrecke für den Eiskanal adaptiert. Die erfassten Daten ermöglichen es den Rennrodlern des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland (BSD) ihre Fahrten präzise auszuwerten und entsprechend zu optimieren.
"Eine Runde auf der Rennstrecke oder ein Lauf im Eiskanal - in beiden Fällen geht es da um Hundertstel- bzw. sogar Tausendstelsekunden, die man herausholen muss, um auf dem Podium ganz oben zu stehen. Innovative und präzise Messtechnologie und Datenanalysen sind ein Schlüssel dazu," sagt BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt. "Diese Aufgabenstellung gibt uns die Möglichkeit, unsere Rennsport- Kompetenz in einem anspruchsvollen Wettbewerbsumfeld außerhalb des Automobilbereichs unter Beweis zu stellen. Racing bleibt Racing - ganz gleich ob auf Asphalt oder im Eiskanal. Entsprechend motiviert widmen wir uns dem Technologietransfer in den Kufenrennsport."
Seit fast drei Jahrzehnten leistet BMW mit seiner technologischen Expertise und innovativen Infrastruktur einen wertvollen Beitrag für Sportgeräte und Athleten des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland. Hierbei standen bisher die Optimierung von Aerodynamik und Material im Fokus.
Rennrodel-Juniorenweltmeister Julian von Schleinitz, der neben seiner aktiven Laufbahn als Athlet ein Ingenieursstudium absolviert, hatte die Idee, die BMW Motorsport Ingenieure zu konsultieren und nach Unterstützung im Bereich der Messtechnik zu bitten. Gemeinsam mit dem dreimaligen Olympiasieger und Weltmeister Felix Loch tüftelten sie an einem System, das es erstmalig ermöglicht, die bis zu 150 km/h schnellen Fahrten präzise auszuwerten und minimalste Abweichungen von der Ideallinie zu erfassen.
Herzstück der Messetechnologie ist ein Cluster von Sensoren, wie sie in den BMW DTM-Fahrzeugen eingesetzt werden, darunter Beschleunigungs-, Drehraten- und Temperatursensoren. Dieses System ermöglicht es, verschiedene Läufe miteinander zu vergleichen und in extrem hoher Auflösung zu analysieren. Bisher standen im Rennrodeln dazu nur die Zwischenzeiten und das erfahrene Auge der Trainer zur Verfügung.
Die Rennrodel-Athleten erhalten somit wertvolle Informationen über den Einfluss ihrer Anschub- und Steuerbewegungen auf die Beschleunigung und Geschwindigkeit des Schlittens. Auch bei der Suche nach der Ideallinie sowie bei der Berechnung der Eisreibung - die physikalisch sehr komplex und bis heute noch nicht vollständig verstanden ist - eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. BMW Motorsport Ingenieur Sebastian Meyer hat das System in einen Rennschlitten implementiert und gemeinsam mit Loch sowie dem sechsmaligen Juniorenweltmeister von Schleinitz und Rodeltrainer Georg Hackl getestet und weiterentwickelt. Die gewonnenen Erkenntnisse sind beeindruckend, wie das Quartett im Gespräch bestätigt.
Felix Loch, Sie sind ein Rennrodler, der es sehr gut versteht, nach einem Lauf präzises Feedback zu Ihren Fahrten zu geben. Wie wertvoll sind diese neuen Analyse-Methoden?
Felix Loch: "Bei diesen neuen Methoden geht es darum, Fahrspuren zu analysieren. Man braucht generell viel Erfahrung und viele Versuche um sich der Idealspur zu nähern. Mit der Technologie von BMW Motorsport kommen wir dem sehr hoch gesetzten Ziel des perfekten Laufes schneller nahe."
Die Initiative stammt von Ihnen, Julian von Schleinitz. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Julian von Schleinitz: "Felix, Schorsch und ich hatten schon lange das Ziel, unsere Auswertungen und Analysen zu verbessern. Wir haben in viele Richtungen gedacht, wie wir das realisieren können. Dann kam die Idee auf, Technik aus dem Motorsport einzusetzen. In BMW haben wir als Technologiepartner des BSD den idealen Ansprechpartner. Sebastian Meyer hat daraufhin einen Schlitten mit High-End- Technik ausgerüstet. Am Ende der vergangenen Saison konnten wir dann schon erste Testfahrten durchführen und uns die Systeme erklären lassen. Die Ergebnisse waren von Anfang an sehr beeindruckend, wir konnten sofort interessante Erkenntnisse gewinnen."
Sebastian Meyer, wie sind Sie mit der Herausforderung umgegangen, diese Technologie vom Motorsport für den Rennrodelsport zu adaptieren?
Sebastian Meyer: "Die besondere Herausforderung dieser Aufgabe war, die extrem eingeschränkten Platzverhältnisse im Rennrodel bestmöglich zu nutzen. Auch die Herangehensweise im Kufenrennsport ist eine andere: Ein Testtag beim Rennrodeln ist auf vier bis fünf Läufe beschränkt, da die Kräfte, die auf den Athleten im Eiskanal einwirken, extrem hoch sind. Das macht es für uns Ingenieure so spannend: Aus einer sehr begrenzten Datenmenge müssen wir das Maximale herausholen. Das ist im Motorsport prinzipiell genauso. Technologie in eine andere Sportart zu transferieren, ist methodisch und analytisch immer ein Erkenntnisgewinn für beide Seiten. Die neuen Erfahrungen sind deshalb auch für unsere Arbeit im Motorsport nützlich."
Felix Loch, welche neuen Erkenntnisse haben Sie durch die BMW Motorsport Technologie gewonnen? Wie nahe kommen Sie der Ideallinie?
Loch: "Wir sind noch im Anfangsstadium und müssen uns in das Thema noch viel stärker einarbeiten. Mit der Unterstützung von den BMW Motorsport Renningenieuren wollen wir uns immer weiter verbessern. Das Ziel ist es, den perfekten Lauf hinzubekommen, auch wenn das eigentlich fast nicht möglich ist. Aber wir können uns Dank der der BMW Technologie die schwierigen Passagen der Strecken deutlich schneller erarbeiten."
Julian von Schleinitz, welches zusätzliche Potenzial versprechen Sie sich in Zukunft noch von dieser Mess-Technologie? Kann diese auch für andere Eiskanal-Disziplinen genutzt werden?
Von Schleinitz: "Für den Rodelsport verspreche ich mir durch das System weitere Fortschritte auf mehreren Ebenen. Wir stehen bei der Datenanalyse in manchen Bereichen noch am Anfang und sind noch nicht in der Lage, das volle Potenzial auszunutzen. Ich arbeite derzeit an einem Analyse-Programm, welches speziell auf die Anforderungen im Rodelsport zugeschnitten ist. Zwar ist die Methodik vergleichbar mit dem Motorsport, so dass wir schon sehr viel von der Erfahrung von BMW profitiert haben. Aber dennoch: Ein Rennrodel ist eben kein Rennauto. Es gibt bei uns keine Gangwechsel, dafür müssen wir die Gegebenheiten in Steilkurven berücksichtigen und interessieren uns sehr für die Reibung auf Eis. Was den Bob- und Skeletonsport betrifft, so sehe ich gute Chancen, unsere Vorgehensweise zu übernehmen und die gewonnenen Ergebnisse zu übertragen. Beim Skeleton dürfte das beengte Platzangebot für Sensoren eine Herausforderung werden, in den Bobs hingegen sollte das System problemlos anwendbar sein."
Sebastian Meyer, welche Weiterentwicklung des Systems können Sie sich aus Ingenieurssicht vorstellen? Können Sie auch Erkenntnisse für den Motorsport gewinnen?
Meyer: "Wir haben uns mit dem aktuellen System darauf fokussiert, die Fahrt des Rennrodels genauestens zu analysieren und in kleinste Bruchstücke aufzuteilen. Weitere wichtige Erkenntnis versprechen wir uns auch von der Möglichkeit, den Einfluss des Fahrers auf sein Sportgerät zu messen. Weitere zusätzliche Sensoren könnten beispielsweise die Kräfte, die auf die Kufen wirken, und deren Verformungen aufzeichnen. Damit könnten wir Athleten und Trainern noch präziser Feedback zu den jeweiligen Läufen geben, so dass möglichst exakt die Ideallinie durch den Eiskanal getroffen wird."
Georg Hackl, Sie gelten als der Rodel-Tüftler schlechthin. Wie bewerten Sie diesen BMW Technologie-Transfer?
Georg Hackl: "Wir schätzen BMW schon sehr lange als einen großartigen Partner, dessen Technologie-Expertise und modernste Infrastruktur uns an vielen Stellen enorm weiterhilft. Nun kommt auch noch der Transfer aus dem Motorsport hinzu. Der BSD erhofft sich von dieser innovativen Messtechnik, dass wir uns in allen BSDDisziplinen bei der Analyse der Fahrspuren entscheidend weiterentwickeln."