Frage: Wie gehen Sie bei der Farbkonzeption eines Kindergartens vor?
Martina Lehmann: Wenn es um ein bestehendes Objekt geht, schaue ich mir die zu gestaltenden Räume an und spreche mit den Beteiligten – in der Regel sind das die Kindergartenleitung, Erzieherinnen, Architekten und Handwerker. Wichtig ist es, alle einzubeziehen, die Rahmenbedingungen abzuklären, ein Gefühl für die Örtlichkeit und die Bedürfnisse der jeweiligen Nutzer zu bekommen. Meistens gibt es Vorgaben wie beispielsweise Bodenbeläge oder Möbel, die in das Farbkonzept zu integrieren sind. Diese bilden dann die Basis für das Konzept. Wenn es noch keinerlei Vorgaben gibt, dann stelle ich die drei Collagenbücher Lernwelten | Farbwelten vor, um mögliche Farbrichtungen zu erläutern. Die dargestellten Collagen sorgen dann schnell für lebhafte Diskussionen und erleichtern den Start in die konkrete Farbplanung.
Frage: Was wird denn in den Collagenbüchern Lernwelten | Farbwelten genau gezeigt?
Martina Lehmann: Jedes der drei Bücher präsentiert eine eigene Farbwelt innerhalb eines bestimmten Farbspektrums speziell für die Raumgestaltung von Kindergärten, Schulen, Fach- und Hochschulen. Die dargestellten Collagen zeigen mögliche Wand- und Bodenkombinationen mit Originalmustern von CAPAROL und FORBO. Sie sind auf die Altersstufen der Nutzer und die unterschiedlichen Raumfunktionen und Verweilzeiten abgestimmt. Gerade wenn große Unsicherheit in Sachen Farbwahl besteht, sind die Lernwelten eine gute Orientierungshilfe.
Frage: Was ist allgemein bei der Farbplanung von Kindergärten wichtig?
Was sollten die Räumlichkeiten den Kindern bieten?
Martina Lehmann: Gruppenräume, in denen Kinder sich lange aufhalten, sollten farblich deutlich dezenter und zurückhaltender gestaltet werden als Flure mit kurzer Aufenthaltsdauer. Hier dürfen kräftigere Farben zum Einsatz kommen, die diesem Bereich einen deutlich anderen Charakter verleihen und stärker anregen. In den Gruppenräumen gilt es, eine ruhige, ausgeglichene Atmosphäre zu erzeugen, die Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Das ist besonders wichtig für Krippenkinder, die oft das erste Mal ihr gewohntes familiäres Umfeld verlassen und in der Kindertagesstätte ihre ersten Erfahrungen in einer fremden Umgebung machen. Eine ruhige Farbstimmung ist auch deshalb sinnvoll, weil die vielen einströmenden Reize noch nicht gefiltert werden können – sie führen dann schnell zu einer Überreizung. Da auch viele Spielsachen stark farbig sind, ist eine zurückhaltende Farbgebung im Wand- und Bodenbereich anzustreben. Willkürliche und plakative Buntheit ist unbedingt zu vermeiden.
Aber nicht nur die Farbgebung sollte berücksichtigt werden, auch die Materialwahl ist entscheidend. Natürliche Materialien sind zu empfehlen, denn die Raumgestaltung sollte ein Erfahrungsfeld für die Sinne sein – für den Seh-, Hör-, Tast-, Geschmacks-, Geruchs- und Gleichgewichtssinn. Die Sinne – in der farbigen Raumgestaltung vor allem das Auge – sollten wandern und immer wieder etwas Neues entdecken können. Die so niedlichen und putzigen Wanddekorationen, mit stereotypen Teddybären und ähnlichem können das nicht leisten – Kinder brauchen Gestaltungsräume für ihre eigene Fantasie.
Frage: Welche Besonderheiten gilt es bei der farblichen Konzeption von Kindergärten noch zu beachten?
Martina Lehmann: Man begegnet oft dem Argument „aber Kinder mögen es doch bunt und knallig“. Das ist sicherlich richtig, wenn Kinder spontan lieber nach bunten Gegenständen greifen. Es bedeutet aber nicht, dass die Vorliebe für kräftige Farben bei kleinen Gegenständen eins zu eins auf eine kindgerechte Farbigkeit von Räumen übertragen werden kann. Der Raum ist an dieser Stelle Hülle – er sollte für das kreative Spiel der Kinder offen bleiben. Im Krippen- und Kindergartenalter sind die Erlebnisfähigkeit und die Beeindruckbarkeit über die Sinne durch äußere Reize viel ausgeprägter als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die Kleinen erleben äußere Reize, zum Beispiel Farben, viel intensiver. Das erfordert einen sensiblen Umgang bei der Farbgestaltung hinsichtlich Atmosphäre und Anmutung. Helle, zarte Pastelltöne mit einzelnen sparsam dosierten Farbakzenten sind daher ratsam für Räume in denen sich Kinder länger aufhalten.
Frage: Welche Bodenmaterialien und -farben werden typischerweise verwendet? Welche empfehlen Sie?
Martina Lehmann: Sehr häufig sind Linoleumbeläge vorgegeben oder gewünscht. Manchmal sind es auch Kautschuk- oder Korkböden. Parkett kommt leider aus Kostengründen eher selten zum Einsatz. Farblich empfiehlt sich ein Boden, der dunkler als die Wände gehalten ist und einen Kontrast zur Möblierung bietet. Häufig finden sich Buchenmöbel in Kitas, die beispielsweise kaum Kontrast zu orangeroten Bodenbelägen aufweisen. Das kann grenzwertig wirken und sollte genau geprüft werden. Der Boden ist eine große Fläche, und oft findet das Spiel der Kinder hier statt. Daher hat der Boden wesentlichen Einfluss. Sehr helle oder sogar weiße Böden sind zu vermeiden, denn sie bieten keine Trittsicherheit. Auch von sehr intensiven Bodenfarben ist abzuraten – sie sind zu dominant. Farben mit Naturbezug sind zumeist die beste Wahl.
Frage: Wie gehen Sie damit um, wenn Unstimmigkeiten in Beratungsgesprächen auftauchen?
Martina Lehmann: Zu Farben hat jeder einen Bezug. Daher ist es normal, dass Gespräche zur Farbgebung schnell sehr emotional werden. Hier ist es wichtig, allen klarzumachen, dass es nicht um das private Wohnzimmer geht, wo jeder machen kann, was er will. Es gilt, sich in die Lage und Sichtweise der Kinder zu versetzen und von seinen eigenen Farbvorlieben abzurücken. Wird der Fokus auf das zu gestaltende Gebäude, die Kinder und die Verweilzeiten der verschiedenen Bereiche gelegt, kommt man auf sachlicher Ebene zu einer schlüssigen Farbentscheidung. Wenn die Bodenfarbigkeit dann definiert ist, sind die Wandfarben meist schnell und übereinstimmend ausgewählt. Wenn die Argumentation verständlich und für alle einleuchtend ist, gibt es normalerweise keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Ich versuche immer deutlich zu machen, dass sich die Farbgestaltung wie ein roter Faden durch ein Haus ziehen sollte, um der Kita ein geschlossenes und prägendes Gesamterscheinungsbild zu verleihen. Das leuchtet allen ein, denn eine bunte, unruhige Atmosphäre will in Zeiten der Reizüberflutung niemand.