„Damit lassen sich Schadenersatzansprüche im Abgasskandal wesentlich einfacher durchsetzen. Denn bisher sind die deutschen Gerichte einschließlich des BGH davon ausgegangen, dass der Autohersteller den Käufer vorsätzlich sittenwidrig geschädigt haben muss, um schadenersatzpflichtig zu sein. Nun reicht schon Fahrlässigkeit für Schadenersatzansprüche aus und die lässt sich einfacher nachweisen als Vorsatz“, sagt Rechtsanwalt Franz Braun, CLLB Rechtsanwälte.
Der EuGH hatte schon mehrfach deutlich gemacht, dass Abschalteinrichtungen nur dann ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie dem unmittelbaren Schutz des Motors vor Beschädigung dienen. Thermofenster führen dazu, dass die Abgasreinigung nur in einem festgelegten Temperaturkorridor optimal arbeitet und bei höheren und kühleren Außentemperaturen reduziert wird. Folge ist, dass der Stickoxid-Ausstoß steigt. Autohersteller führen an, dass die Thermofenster aus Motorschutzgründen notwendig seien. Der EuGH hat dieser Argumentation jedoch eine klare Absage erteilt und schon mehrfach entschieden, dass Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen.
Im vorliegenden Fall ging es um einen Mercedes 220 CDI mit Thermofenster. Der Käufer hatte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadenersatzansprüche geltend gemacht. Das Landgericht Ravensburg wollte vom EuGH nun wissen, ob Schadenersatzansprüche auch dann bestehen, wenn Mercedes bei der Verwendung des Thermofensters nur fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hat.
Der EuGH hat verbraucherfreundlich entschieden und klar gemacht, dass schon Fahrlässigkeit für Schadenersatzansprüche ausreicht. Das EU-Recht schütze die individuellen Interessen des Käufers eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, so der EuGH. Die Mitgliedsstaaten der EU müssten daher dafür sorgen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller hat.
In dem konkreten Fall geht es um einen Mercedes. Thermofenster wurden jedoch auch von anderen Autoherstellern wie VW, Audi oder BMW verwendet. „Das Urteil des EuGH dürfte sich auch auf die Fahrzeuge anderer Hersteller mit einem Thermofenster anwenden lassen. Millionen Dieselbesitzer könnten nun Anspruch auf Schadenersatz haben, da die Autohersteller schon bei einfacher Fahrlässigkeit gemäß § 823 BGB haften“, so Rechtsanwalt Braun.
Schadenersatzklagen im Dieselskandal dürften nun wieder Schwung aufnehmen, nachdem die Gerichte in Deutschland etliche Verfahren auf Eis gelegt haben, da sie das Urteil des EuGH abwarten wollten. Allein beim BGH sind nach Medienberichten mehr als 1.900 Revisionen oder Nichtzulassungsbeschwerden anhängig. „Es ist zu erwarten, dass die Gerichte sich der Rechtsprechung des EuGH anschließen und verbraucherfreundlich entscheiden werden“, sagt Rechtsanwalt Braun.
Dabei kann das EuGH-Urteil weitreichende Folgen haben und bis in die Anfänge des Abgasskandals zurückreichen. Denn nachdem der VW-Abgasskandal 2015 aufgeflogen war, musste auf Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit dem Skandalmotor des Typs EA 189 ein Software-Update aufgespielt werden. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat allerdings am 20. Februar 2023 entschieden, dass das Software-Update bei einem VW Golf 6 unzulässig ist, weil es eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters enthält. Nach dem EuGH-Urteil können nun auch bei diesen Fahrzeugen wieder Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Rechtsanwalt Braun: „Grundsätzlich können bei allen Fahrzeugen mit Thermofenster oder einer anderen unzulässigen Abschalteinrichtung Schadenersatzansprüche bestehen.“
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