Die Firma Envion aus Zug wollte in Schiffscontainern Kryptowährungen minen.
Und die Behörden schauen lange zu. Wie es zum Schweizer Bitcoin-Skandal kam.
Nur ein Jahr hat die Firma überlebt. Die Idee dahinter klang einfach: Die Rechner in den Containern hätten Kryptowährungen produzieren sollen, und weil das viel Energie benötigt, hätte man sie immer dort aufgestellt, wo der Strom gerade günstig war. Dadurch sollten extrem hohe Renditen zu erwirtschaften sein. Daran glaubten viele Anleger. Über 80 Millionen Euro haben sie in Envion investiert.
Der Geschäftsführer der Trado GmbH, Herr M.L. kam genau im richtigen Moment, auf dem Höhepunkt des Hypes um die Kryptowährungen auf die Idee für das Projekt „Envion“.
Doch weil dieses Geschäft noch kaum kontrolliert wird, zieht es, so die Ausführungen der NZZ, auch Betrüger an, viele Projekte enden im Debakel. Und so stellte sich auch bei Envion heraus, dass alle Beteiligten, die Anleger und die Behörden, hätten genauer hinschauen müssen. Die Firma und ihr Container wurden zum Symbol für den Bitcoin-
Luckow und einige seiner Kollegen hatten eine Idee und wollten eine Firma gründen, aber sie brauchten einen Geschäftsführer. So kommen sie in Kontakt mit Matthias Woestmann, 58, ein ehemaliger Fernsehjournalist mit Erfahrung in der Solarbranche. Über die Blockchain-Technologie weiß er wenig, genau deshalb steigt er in das Projekt ein. Man einigt sich auf ein Honorar von € 750,00. Pro Tag, so berichtet die NZZ weiter.
Bei aller Mühe, die man sich gibt, an die Unschuld der Beteiligten zu glauben, stellt sich an der NZZ an einigen Stellen dieser Geschichte doch die Frage, ob alles korrekt abgelaufen sei. Einer dieser Momente tritt schon früh auf.
Am 12. Oktober 2017 erfolgt der Eintrag im Handelsregister des Kantons Zug. Als Verwaltungsratspräsident erscheint Woestmann. Zweiter Verwaltungsrat wird Cyrill Stäger, 35, als gesetzlich vorgeschriebener Vertreter mit Schweizer Wohnsitz. Seine
Treuhandfirma in Baar wird zum offiziellen Sitz von Envion. Bemerkenswert am Eintrag ist auch für die NZZ, wer fehlt: Luckow. Niemand – auch er selber nicht – würde bestreiten, dass er die Schlüsselfigur für das gesamte Envion Projekt war.
Wollte sich der Gründer verstecken, bis die Kasse gefüllt war, fragt die NZZ. Hätte sein Name die Investoren abgeschreckt, weil von ihm im Schuldnerverzeichnis in Berlin ein alter Eintrag existierte? Der Mann, der es geschafft hat, innert eines halben Jahres aus einer Idee ein 100-Millionen-Projekt zu machen, spricht gegenüber der NUU davon, dass er lieber im Hintergrund bleibe und sich auf die Arbeit in der Firma konzentriere.
Dass er nicht im Verwaltungsrat der Envion AG esessen habe, habe sich bei der Gründung so ergeben, sagt Luckow.
Mitarbeiter ziehen zwar keine nach Baar, stellt auch die NZZ fest, doch das stört kaum im Kanton der Multiverwaltungsräte, Briefkastenfirmen und Treuhänder.
Kaum hat Woestmann die Envion AG im Handelsregister eingetragen, gerät sie auf den Radar der Behörden. Ein Sprecher der Finanzmarktaufsicht bestätigt: «Die Finma hatte im November 2017 Hinweise aus dem Publikum auf eine möglicherweise unerlaubte Tätigkeit der Envion AG erhalten.», berichtet die NZZ. Woher der Tipp kam, ist nicht bekannt.
In jenem November, als die Schweizer Behörde auf Envion aufmerksam wird, arbeitet das Team in Berlin fast Tag und Nacht. Damit die Investoren anbeissen, muss die Marketingmaschine angeworfen werden. Nun steht der Auftritt des Containers bevor. Kaum ist er halbwegs fertig, unternimmt er seine erste Reise, die auch seine letzte sein wird.
Die Fahrt führt bis zum Flugplatz Eberswalde. Die schimmernden Panels sind die perfekte Kulisse für die weiße Metallkiste mit dem blauen Schriftzug.
Der unglaubliche, aber kurze Erfolg von Envion wäre nicht möglich gewesen ohne den Container und seine Inszenierung, so die NZZ.
Ende November wird der Prototyp in Berlin den Medien vorgestellt. Auch Luckow ist dort, aber niemand kommt darauf, dass er der Kopf hinter dem Projekt ist, so die NZZ. Stattdessen setzen sich Woestmann und Laurent Martin in Szene, ein Amerikaner, ehemaliger Opernsänger und guter Freund von Luckow.
Vor allem in einschlägigen Internetforen und auf Social-Media- Kanälen werden die Vorzüge von Envion angepriesen. In einer Präsentation taucht die Zahl 161 auf. So hoch soll die jährliche Rendite in Prozent sein.
In einem Brief vom 22. November 2017 will die Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA von Envion wissen, was geplant sei. Aus der Antwort geht hervor, dass man Geld über einen ICO einnehmen und dafür eine Anleihensobligation ausgeben will.
Da Envion keine staatlich beaufsichtigte Revisionsfirma verpflichtet hat, darf sie gar keine solche Transaktion durchführen. Envion beteuert gegenüber der Finma, es handle sich nur um einen Entwurf.
Inzwischen geht es in Berlin drunter und drüber. Man hat sich den Rat eines Schweizer Anwalts geholt. Dieser empfiehlt, von der Finma ein sogenanntes Ruling einzuholen, eine Bestätigung, dass alles rechtens sei. Das würde jedoch den Start um Wochen oder Monate verzögern. Die Verantwortlichen bei Envion wollen nicht warten.
Es ist Luckow, der nach dem Bericht der NZZ in diesen Tagen die Fäden in der Hand hält. Er verschickt diverse Nachrichten und Anweisungen über seine E-Mail-
Adresse michael@envion.org.
Später wird der Untersuchungsbeauftragte der Finma zum Schluss kommen, so die NZZ weiter, Luckow, der in den Unterlagen der Firma nirgends namentlich erwähnt wird, sei «faktischer Verwaltungsrat» gewesen.
Das könnte dereinst wichtig werden, wenn es um die Frage nach der Verantwortlichkeit geht und entspricht auch der Rechtsauffassung der Kanzlei CLLB, die bereits eine Vielzahl geschädigter Anleger des Envion ICO gerichtlich und außergerichtlich vertritt.
Nach dem Streit zwischen Gründern und dem Verwaltungsrat ist an eine Zusammenarbeit zwischen Gründern und Verwaltungsrat nicht mehr zu denken. Woestmann muss feststellen, dass er gar keinen Zugriff auf die Millioneneinnahmen aus dem ICO hat. Diese befinden sich auf sogenannten Wallets von Luckow und der Trado. Die Beteiligten erklären gegenüber der NZZ, man habe das in der hektischen Phase gemacht, weil es einfacher schien.
Es bleibt unfassbar, stellt die NZZ fest. Man stelle sich Firmen vor, die ihre Guthaben auf Privatkonten der Mitarbeiter einzahlen.
Die Folgen davon zeigen sich noch heute. Luckow bestätigt, dass er aufgrund «technischer Hindernisse» nicht alle Einnahmen aus dem ICO an Envion überwiesen habe. Damals dürften das 15 Millionen Franken in Kryptowährungen gewesen sein. Diese hält Luckow «auf Anraten meiner Berater» noch immer zurück, ihr Wert liegt derzeit bei 4,6 Millionen.
Was genau während des ICO ablief, wissen nur Luckow und seine Truppe. Sie haben das entsprechende Blockchain-Programm entwickelt, den sogenannten Smart Contract, über den alles gesteuert wird.
Eine unheimliche Vorstellung, so die NZZ. Ein paar IT-Experten sitzen in einem Büro und können Millionen auf die eigenen Konten lenken. Niemand kann sie kontrollieren. Nur sie verfügen über die Daten.
Als sicher gilt, dass 127 Millionen Token beim ICO geschaffen wurden. Dies deckt sich auch mit den öffentlich zugänglichen Informationen auf Etherscan.io. Darunter sollen sich aber bis zu 20 Millionen befinden, die illegal erzeugt wurden. Für die anderen Investoren ist das wichtig, denn sofern das stimmt, würden alle Gewinne auf weitere 20 Millionen Token verteilt – und sie erhielten entsprechend weniger. Hier spricht man dann von Verwässerung.
Luckow bestreitet das gegenüber der NZZ, räumt aber ein, dass Token existieren, die nicht an Investoren ausgegeben und somit nicht bezahlt wurden. Er erwähnt 5 bis 7 Millionen Token, die an einen russischen Investor hätten gehen sollen, der jedoch nicht bezahlt habe. Diese Token sollen laut Luckow zerstört werden. «Sie befinden sich unter meiner Kontrolle und warten auf die Vernichtung.»
Was tut die Finma? Dass Envion inzwischen trotz Warnungen und gegen den Rat des eigenen Juristen einen spektakulären 100Millionen-ICO durchgezogen hat, kann der Behörde unmöglich entgangen sein.
Die Probleme werden nicht kleiner. Zwar erklärt sich mit PWC endlich eine Revisionsfirma bereit, die Bücher zu prüfen. Aber kaum erfährt man dort von den dubiosen ICO-Transaktionen, bekommt man kalte Füsse und zieht sich zurück. Im März tritt Cyrill Stäger ab. Envion hat jetzt keinen Schweizer Verwaltungsrat und auch kein Domizil mehr, weil ihr Briefkasten bei Stäger in Baar eingerichtet war. Lauter höchst alarmierende Signale, so die NZZ.
Aber nach außen tun im Frühling 2018 alle Beteiligten des ICO noch so, als ob nichts wäre. Intern rührt sich kaum etwas, jedenfalls nichts, was auf eine Serienproduktion von Containern schliessen lässt. Trotzdem veröffentlicht Envion positive Meldungen. Ende März teilt man mit, das Mining sei im Januar angelaufen. Die Gewinne werde man ausschütten, sobald diese geprüft seien.
Diese Irreführung ist besonders kritisch, weil Luckow zur gleichen Zeit Envion-Token verkaufte. Dafür musste aber zunächst der Smart Contract verändert werden, weil dieser eine Sperrfrist von sechs Monaten vorsah. Auch das ist ein problematischer Vorgang, da die Sperre offiziell kommuniziert worden war, so die NZZ.
Luckow bestreitet nicht, dass er Token über Handelsplattformen verkauft hat. Dies habe er getan, weil Woestmann ab Januar kein Geld mehr freigegeben habe. Luckow erklärt, das Ziel sei gewesen, das Geschäft am Leben zu halten. «Den Erlös aus den Token-Verkäufen haben wir vollständig in das Projekt investiert, für Löhne, Miete, Dienstleister.»
Selbst wenn das stimmt, bleibt es heikel, führt die NZZ aus. Als er Token verkaufte, ahnte niemand etwas von den internen Problemen, auch die Token-Käufer nicht. Luckow hingegen wusste alles – er war das, was man einen Insider nennt.
Sieben Monate nach den ersten Hinweisen greift die Finma durch. Am 19. Juli 2018 erlässt sie eine superprovisorische Verfügung gegen Envion. Auf Nachfrage erklärt die Behörde der NZZ, man habe ab November «eigene Abklärungen» durchgeführt, und auf dieser Grundlage sei dann das Verfahren eröffnet worden.
Nun übernimmt die Finma die Kontrolle. Woestmann muss das Amt per sofort abgeben. Stattdessen wird ein Untersuchungsbeauftragter eingesetzt, Markus Brülhart von der Kanzlei GHR in Zürich. Der Anwalt und zwei Kollegen fahren am frühen Morgen des 25. Juli in Baar vor. Sie scheinen dort ernsthaft eine Firma zu erwarten, müssen aber feststellen, dass sich weder Firmenschilder noch Büros von Envion vorfinden lassen. Nach drei Monaten legt Brülhart der Finma seinen Bericht vor.
Das Kantonsgericht Zug interessiert das nicht. Am 14. November 2018, um 10 Uhr, verfügt es die Auflösung von Envion. Genau dreizehn Monate hat das Unternehmen existiert.
Inzwischen läuft die Liquidation von Envion. Das wird sich Monate hinziehen. Laut der ersten Bestandesaufnahme, so die NZZ, liegen auf dem Konto bei der Bank Frick 43,4 Millionen Franken. Hinzu kommen die 4,6 Millionen, die Luckow noch bei sich hat. Somit haben sich 50 der einst 100 Millionen in Luft aufgelöst. Dies liegt wohl vor allem am Absturz der Kryptowährungen.
Etliche der 37 000 Investoren haben sich zusammengeschlossen und klagen mit der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte aus Berlin und München gegen die Verantwortlichen.
Vor fünf Wochen veröffentlichte die Finma eine bemerkenswert harsche
Mitteilung: Envion sei «illegal tätig» gewesen und habe das «Aufsichtsrecht schwer verletzt», da sie «unerlaubt gewerbsmäßig Publikumseinlagen entgegengenommen» habe.
Etliche Spuren hat die Finma gar nicht verfolgt, so die NZZ, weil das nicht zu ihren Aufgaben als Aufsichtsbehörde gehört, etwa die illegal geschaffenen Token, die aufgehobene Sperrfrist, die mutmaßliche Täuschung der Anleger oder den Insiderhandel.
Zudem findet sich in einer Zwischenbilanz von Envion eine Forderung von 578 225 Dollar gegenüber Stäger, so die NZZ weiter. Diese Summe soll er sich als Bonus für den ICO ausbezahlt haben. Stäger sagt auf Anfrage, er könne die Zahl nicht kommentieren.
Im Inventar des Liquidators findet sich auch der Prototyp, der in Spandau steht. Im Februar 2018, als der Krach voll ausgebrochen war, verkündete Envion, der erste Container habe begonnen, Kryptowährungen zu produzieren. Auf 44 279 Dollar belaufe sich der Gewinn im Januar. Luckow wie auch Woestmann erklärten hingegen später in Befragungen, der Prototyp sei einzig zu Test- und Vorführzwecken eingesetzt worden. In der Bilanz stehen keinerlei Erträge. Der Container hat nie auch nur einen Franken erwirtschaftet.
„Anleger sollten in jedem Fall handeln, um Zugriff auf die Vermögenswerte zu erhalten und die ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche von einem Rechtsanwalt ihrer Wahl prüfen lassen“, erklärt die Kanzlei CLLB, die bereits zahlreiche Investoren des Envion ICO vertritt und entsprechende Schadensersatzklagen vor dem LG Berlin eingereicht hat.
Mehr Informationen: https://www.cllb.de/