Zum Hintergrund: Obwohl die Bilanzen der Wirecard AG nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft möglicherweise schon seit 2015 unrichtig waren, haben die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young dem Unternehmen Jahr für Jahr wieder ein uneingeschränktes Testat erteilt. Erst nach einem Sonderprüfungsbericht wurde das Testat von den Abschlussprüfern für den Jahresabschluss 2019 verweigert. „Anleger vertrauen natürlich auf ein uneingeschränktes Testat. Daher haben wir für unseren Mandanten Schadenersatzansprüche gegen die Wirtschaftsprüfer geltend gemacht, die offensichtlich nicht genau hingesehen und ihre Prüfungspflichten vernachlässigt haben“, sagen die beiden Rechtsanwälte Franz Braun und Nikola Breu von der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte.
Das Oberlandesgericht München bestätigte in der Verfügung vom 9.12.2021 zum einen, dass das Landgericht von den Anlegern überzogene Angaben zur Kausalität verlangt hatte. Denn das Landgericht hatte von den Anlegern bislang ganz genaue Angaben dazu gefordert, ob, wann und wie sie die Geschäftsberichte der Wirecard AG und die Bestätigungsvermerke von Ernst & Young zur Kenntnis genommen hatten. Das Oberlandesgericht stellte nun zum einen klar, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein kausaler Zusammenhang zwischen einem fehlerhaften Bestätigungsvermerk und einer Anlageentscheidung auch vorliegen kann, wenn der Anleger den Geschäftsbericht selbst gar nicht gelesen hat. Denn zum einen könne es bei einem DAX-Unternehmen genügen, dass durch den Geschäftsbericht eine positive Anlagestimmung für die Aktie entsteht und diese auf den Anleger wirkt. Eine positive Anlagestimmung könne auch durch einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk der Wirtschaftsprüfer erzeugt werden. Außerdem könne aber auch unabhängig von einer solchen positiven Anlagestimmung ein entsprechender Erfahrungssatz aufgrund des gewöhnlichen Laufs der Dinge den Anlegern im Rahmen der Kausalität zugutekommen. Denn hätte Ernst & Young das Testat früher verweigert, wäre vermutlich auch die Aktie früher eingebrochen und der Insolvenzantrag früher gestellt worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Anleger die Aktien dann nicht erworben hätten. Denn es sei sehr unwahrscheinlich, dass ein Anleger noch Aktien kauft, wenn bereits ein Insolvenzverfahren droht, führte das Oberlandesgericht aus.
Außerdem stellte das Oberlandesgericht in der Verfügung klar, dass Schadensersatzansprüche gegen die Abschlussprüfer wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB bestehen können. Die Ansprüche kämen in Betracht, wenn das Testat nicht nur unrichtig ist, sondern der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt hat und z.B. nur unzureichende Ermittlungen angestellt oder Angaben ins Blaue hinein gemacht hat. Auf Grund der Bedeutung eines Bestätigungsvermerks, z.B. für eine Anlageentscheidung, könne dieses Verhalten als „gewissenlos“ erscheinen. Die Frage, ob die Abschlussprüfer hier tatsächlich vorsätzlich gehandelt haben, könne aber nur sachgerecht beantwortet werden, wenn zunächst geklärt wird, in welchen Punkten die Geschäftsberichte der Wirecard AG Fehler enthalten. Das Oberlandesgericht rügte weiter, dass das Landgericht sich mit der Frage, ob hier eine Pflichtverletzung der Abschlussprüfer vorlag, nur oberflächlich befasst habe. Da es dem Landgericht wohl an „eigener Sachkunde“ fehle, um die von der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte vorgetragenen Pflichtverletzungen von Ernst & Young, welche durch das Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG untermauert werden, beurteilen zu können, hätte das Gericht zum einen ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Ferner habe das Landgericht aber auch den von der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte vorgelegten Bericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestages zum Nachteil der klagenden Anleger ignoriert.
Da das Landgericht nicht ausreichend in die Beweisaufnahme eingestiegen ist, wird das OLG das Verfahren möglicherweise an das Landgericht zurückverweisen.
„Die Einschätzung des OLG München zeigt, dass Wirecard-Anleger gute Aussichten haben, Schadenersatz durchzusetzen“, so die Rechtsanwälte Franz Braun und Nikola Breu von der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte.
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