„Die Mehrzahl der seltenen Demenzformen beginnen nicht mit den typischen Symptomen der Vergesslichkeit und der Orientierungsstörung. Zu Beginn treten stattdessen meist Schwierigkeiten auf, sich im Alltag zurecht zu finden“, so Alexander Kurz von der TU München. Zu wissen, dass der Grund für die Persönlichkeitsveränderung nicht ein Burn-out, Depressionen oder gar Beziehungskonflikte sind, ist sowohl für die Betroffenen als auch für deren Familien wichtig.
Dies schilderten Betroffene und Angehörige im Rahmen der Fachtagung sehr eindrücklich. Als ihr Vater erste Persönlichkeitsveränderungen zeigte, war Melanie Liebsch gerade einmal zehn Jahre alt. Ihr Vater fing an, die meiste Zeit auf dem Sofa zu verbringen und sich nicht mehr für sie, ihre Schwester und Mutter zu interessieren. Es brauchte Jahre und mehrere Anläufe, bis ihr Vater die Diagnose Frontotemporale Demenz (FTD) erhielt. „Mit dem Wissen, dass es eine FTD-Erkrankung ist, hätte ich mich nicht so alleine gefühlt und nicht denken müssen, dass sich mein Vater nicht mehr für mich interessiert.“ Viele Konflikte und Missverständnisse wären ihr und der Familie erspart geblieben.
Erich Grau war in seiner Jugend Profi American-Football-Spieler. Erst sehr viel später tauchten in seinem Beruf als Lehrer Schwierigkeiten auf: Manchmal fand er sich in einer Klasse wieder, in der er keinen Unterricht hatte, oder er erkannte langjährige Schülerinnen und Schüler nicht mehr. Die Diagnose der sogenannten „Boxer-Demenz“ brachte endlich Klarheit. Grau setzte sich daraufhin mit den Auswirkungen einer Chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) auseinander. Heute weiß er, wenn er sich nur auf wenige ausgewählte Tätigkeiten konzentriert, klappt dies und er kann sich weiterhin aktiv einbringen. Aktuell trainiert er eine Schülergruppe beim Stabhochsprung.
Wissen prägt unser Verständnis, unsere Haltung, und „unsere Haltung beeinflusst unser Verhalten“, so Ute Hauser von der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg. Daher ist es so wichtig: Genau hinsehen! Es bedeutet, sich Wissen anzueignen zu den verschiedenen – auch seltenen – Formen der Demenz und zu Kommunikation und Umgang mit Menschen mit Demenz. Nur so erleben diese und ihre Familien Verständnis und können sich auch mit Demenz zugehörig fühlen.
Hintergrund
In Deutschland leben heute etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen. Etwa zwei Drittel davon werden in der häuslichen Umgebung von Angehörigen betreut und gepflegt. Jährlich erkranken rund 300.000 Menschen neu. Ungefähr 60 Prozent davon haben eine Demenz vom Typ Alzheimer. Rund 15 Prozent sind von einer der verschiedenen seltenen Demenzformen betroffen. Die Zahl der Demenzerkrankten wird bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt.