Der leitende Epileptologe der Universität Bonn forscht an der Schnittstelle von Neurologie und Ökonomie und hat sich mit einem Taktgeber unseres Handelns beschäftigt: das Belohnungszentrum im Gehirn. „Aktivität in diesem neuronalen Netzwerk kann gierig machen, süchtig oder leichtsinnig. Sie befeuert aber – das zeigen neuroökonomische Untersuchungen – auch den Fortschritt und unser soziales Miteinander“, erklärt Elger.
„Kasinomentalität und Zockerwirtschaft sind Schimpfworte, die nicht über kranke Spielsüchtige verbreitet werden. Sie werden bisweilen auch als Attribute für Herren im grauen Zwirn in den Banken angestrengt, um deren Gier nach mehr Geld und den damit verbundenen moralischen Untergang zu beschreiben“, so Professor Elger. Was bringt manche führende Manager einer überaus seriösen Branche trotz all ihrer Intelligenz, Ausbildung und Erfahrung dazu? „Die Antwort ist einfach: ein kleiner Teil des Gehirns, dessen Aktivität ein solches Wohlgefühl vermittelt, dass es nicht zu überbieten ist. Wir nennen es Belohnungssystem.“
Suchtfalle und treibende Kraft der Evolution
Alle bisher untersuchten Säugetiere verfügen über dieses besondere Netzwerk im Gehirn. Das Belohnungssystem hilft bei der Evolution, da Risiken nur noch minimal wahrgenommen werden, wenn es aktiviert wird. Rauschgifte können es aktivieren ebenso wie Erfolg. Es macht gierig und wahrscheinlich süchtig, weil dieses Wohlgefühl allzu schnell konditioniert wird. Es wird daher immer schwerer, der Versuchung zu widerstehen. Evolutionär ist das hervorragend. Wir wagen mehr, treiben die Dinge voran und haben sogar Spaß dabei. Aber wir ignorieren die Gefahr, insbesondere dann, wenn nicht nur der Erfolg aktivierend ist, sondern die Sache selbst, das Geld. Der Banker, das arme Opfer seines Belohnungssystems? Die gute Nachricht: Die Kultur hat uns gezeigt, dass wir die Gier überwinden können. Denn auch schöne Musik, Ästhetik, gute Gespräche sind aktivierende Faktoren des Belohnungssystems.
Das Gehirn strebt nach Fairness
Das Belohnungssystem ist nicht nur schlecht. Das so genannte Ultimatumspiel, ein klassischer psychologischer Versuch, zeigt, dass das Belohnungssystem auch auf einer ganz anderen Ebene bedeutsam ist und damit die Evolution fördert. Dieser Faktor heißt Fairness. Beim Spiel muss die Person A eine Summe Geld mit B teilen, der kein Geld hat. B hat aber die Macht, nein zu sagen, wenn ihm der abgegebene Teil der Summe zu gering erscheint. In diesem Fall verliert A all sein Geld. A ist daher bestrebt, die „Schmerzgrenze“ von B auszuloten. Es zeigt sich in zahlreichen Untersuchungen, dass die gerechte Teilung 50 : 50 die höchste Wahrscheinlichkeit hat, angenommen zu werden. Aber was veranlasst B, so zu handeln? B hat nichts, und jede Summe wäre ein Gewinn. Untersuchungen des Gehirns zeigen bei der Zurückweisung eines zu niedrigen Angebots von A eine Aktivierung des Belohnungssystems von B. Diese Reaktion ist offensichtlich besser als die Aktivierung durch das Geld, das A bereit ist abzugeben. Diese Wechselwirkung schafft Fairness, denn unfaires Verhalten wird sanktioniert. Ein großer Fortschritt für die Menschen. Jeder hat dazu schon Alltagserfahrungen gemacht. Man sieht aber auch: Wenn Computer statt Menschen Entscheidungen treffen, verliert der Faktor Fairness an Einfluss und die Wirtschaft an Menschlichkeit.
Verhaltensforschung im Kernspintomografen
Die Neuroökonomie untersucht mit Methoden der modernen Neurobiologie den Menschen bei seinen ökonomisch relevanten Handlungen. Neben Verhaltensexperimenten kommen vor allem die bildgebenden Verfahren für das Gehirn zum Einsatz. Beide müssen sich ergänzen. Im Verhaltensexperiment kann eine große Gruppe untersucht werden – die Gehirnbildgebung erklärt dann, warum etwas so und nicht anders passiert.
Diese Untersuchungen geben einen Einblick, warum wir für das berühmte Bio-Siegel bereit sind, über 50 % mehr auszugeben, oder warum wir leicht zu „Ebay-Junkies“ werden, uns aber das Lottospielen selten süchtig werden lässt. Viele Untersuchungen zeigen auch, dass uns ein risikobehaftetes visionäres Vorantreiben einer Sache schwerfallen kann, da wir Verluste so unangenehm wahrnehmen.
Die Neuroökonomie gibt ungeahnte Einblicke in das Verhalten des Menschen im ökonomischen Zusammenhang. Wir fangen an zu verstehen, warum wir uns wie verhalten. Dies kann der Schritt in einen Wandel sein, der den Herausforderungen der modernen Ökonomie besser gerecht wird.
Prof. Dr. Christian E. Elger ist Neurologe und leitet die Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die kognitive Neurowissenschaft. Er zählt zu den gefragtesten Experten in den Bereichen Neuroökonomie und Neuromarketing. Christian Elger wurde mit zahlreichen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet und hält seit Jahren Managementseminare. Was die Neuroökonomie uns über menschliches Verhalten im Wirt-schaftsumfeld lehrt, erläutert Christian Elger auch in seinem Festvortrag am 22. September 2016 bei der Eröffnungsveranstaltung des 89. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Mensch im Blick – Gehirn im Fokus. 89. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 21. bis 24. September in Mannheim
Rund 6000 Experten für Gehirn und Nerven tagen im September in Mannheim. Von Demenz bis Epilepsie, von Schlaganfall bis Multiple Sklerose – der DGN-Kongress ist das zentrale Wissen-schafts-, Fortbildungs- und Diskussionsforum der neurologischen Medizin in Deutschland. Journalisten bietet er Gelegenheit zur Recherche sowie für persönliche Gespräche mit den führenden Köpfen der deutschen und internationalen Neuromedizin. Die DGN bietet ein gut ausgestattetes Pressezentrum. Die Publikumspressekonferenz findet am Mittwoch, 21. September, von 10.00 bis 11.00 Uhr statt, die Fachpressekonferenz am Freitag, 23. September, von 11.30 bis 12.30 Uhr. Akkreditierung und weitere Informationen: www.dgnkongress.org/presse/presseservice