Wie Stress Herz und Gefäße belastet
Stress hat unmittelbaren Einfluss auf das vegetative Nervensystem: Herz und Atmung beschleunigen sich, die Muskeln werden stärker durchblutet, wir werden aufmerksamer und reizbarer. Für unsere Vorfahren war das überlebenswichtig, denn bei Gefahr mussten sie kämpfen oder fliehen. Auch heute ermöglicht uns diese Körperreaktion, in Gefahrensituationen schnell zu reagieren und die maximale Körperkraft einzusetzen. Der heutige Stress ist allerdings – anders als früher – nur selten mit Muskelaktivität verbunden und hält häufig länger an – mit gesundheitlichen Folgen: „Eine Aktivierung von Herz und Kreislauf ohne Muskelaktivität lässt den Blutdruck steigen“, sagt Herrmann-Lingen. „Geschieht das über einen längeren Zeitraum, gewöhnt sich der Organismus an die zu hohen Werte. Eine Hochdruckerkrankung entwickelt sich.“ Auch die Blutgefäße verengen sich und verstopfen leichter, weil sich die Blutgerinnung bei Stress verändert. Fehlen die Erholungsphasen, belasten all diese Faktoren das Herz: „Langfristig können sich die Herzkranzgefäße stark verengen, es kann zu Schäden am Herzmuskel, Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzinfarkt oder Herzversagen kommen“, so der Mediziner.
Allerdings sind nicht alle Menschen gleich anfällig für Stress. Genetische Faktoren sowie Erfahrungen in der Kindheit entscheiden mit, wie stressanfällig wir später als Erwachsene sind. Manche Menschen empfinden bereits den Gedanken oder die Erinnerung an eine emotional belastende Situation als Stress. Die Körperreaktionen sind dann die gleichen wie bei „echtem“ Stress, obwohl die unmittelbare Gefahrensituation fehlt.
Teufelskreis aus Angst und Herzbeschwerden
Nicht selten erleben Betroffene bei Angst und Stress funktionelle Herzbeschwerden wie Herzrasen oder Herzstolpern, obwohl das Herz (noch) gesund ist. Eine rein körpermedizinische Behandlung bleibt dann erfolglos. Das verunsichert Betroffene und schränkt sie in ihrem Alltag ein. „Einige Patienten beobachten Puls, Blutdruck sowie Herzbeschwerden besonders genau und meiden positive Aktivitäten wie Sport, aus der – eigentlich unbegründeten – Sorge vor einem Herzinfarkt“, berichtet Prof. Herrmann-Lingen. Auch eine tatsächlich bestehende Herzkrankheit kann die Psyche stark belasten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Therapie mit zusätzlichen Belastungen einhergeht, etwa mit Schockabgaben eines implantierten Defibrillators oder häufigen Krankenhausaufenthalten. „In der Folge können sich Ängste und weitere psychische Probleme entwickeln, die wiederum das Herz belasten. Nicht selten kommt es zu einem Teufelskreis aus Herzkrankheit und psychischen Problemen.“
Hilfsangebote der Psychokardiologie
Um diesen Teufelskreis gar nicht erst entstehen zu lassen, arbeiten viele kardiologische Akutkliniken inzwischen eng mit psychosomatischen Diensten zusammen. Sie bieten den Patienten schon während des Krankenhausaufenthaltes unterstützende Gespräche sowie Hilfe bei der weiteren Therapieplanung an. So ist es hilfreich, zusätzlich zur medizinischen Behandlung Informationsveranstaltungen sowie Kurse zur Stressbewältigung zu besuchen. Auch Gespräche mit anderen Betroffenen können nützlich sein. Nicht zuletzt hilft oft ein konsequentes körperliches Trainingsprogramm, wieder Vertrauen in Herz und Körper zu fassen. Weitere Infos zu den Hilfsangeboten und einen Patienten-Erfahrungsbericht bietet der Expertenbeitrag „Hilfe für das Herz – und für die Seele“ von Prof. Herrmann-Lingen in HERZ heute 1/2020.