Worum geht es? Seit einem BSG-Urteil aus 2007 sind "überschneidende" Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen zwingend notwendig, um weiterhin Krankengeld zu bekommen. "Lückenlose" Bescheinigungen oder - wie eigentlich im SGB V geregelt - eine ununterbrochene ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit reichen nicht aus.
Wer zum Beispiel ohne Beschäftigungsverhältnis bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit eine AU-Bescheinigung bis Sonntag hat und die nächste ab Montag erhält, gehört allein wegen Formalien zu den schlimm Betroffenen und ist fast chancenlos. Mit Urteil vom 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, formulierte das BSG dazu: "Die Klägerin hätte die Möglichkeit gehabt, entweder bereits am Freitag erneut einen Arzt zur Feststellung der AU aufzusuchen oder aber den hausärztlichen Notfalldienst in Anspruch zu nehmen."
Die Krankengeld-Falle ist also vom Bundessozialgericht "hausgemacht" und wird vom Krankenversicherungs-System "gepflegt". Ganz anders als die Verantwortlichen dies darstellen, haben die unverhältnismäßigen und unerträglichen Auswirkungen der BSG-Krankengeld-Falle nichts mit einen Fallstrick im Gesetz zu tun. Der eindeutige Gesetzeswortlaut wird durch die Krankenkassen und Gerichte schlichtweg ignoriert. Ausnahmen bilden hier die Sozialgerichte Trier, Mainz und Speyer sowie das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen, die für ihre abweichende Rechtsauffassung von den Obergerichten scharf aber nicht überzeugend gerügt wurden.
Jedoch nicht alle Krankengeld-Richter haben Jura studiert, um per "Papageien-Rechtsprechung" aus dem Zusammenhang gerissene Sätze des BSG zu wiederholen. Durch einen aktuellen Beschluss des Sozialgerichtes Speyer vom 03.03.2015, S 19 KR 10/15 ER, ist inzwischen wieder alles offen.
Damit stehen erneut prägnante Vorwürfe im Raum: Zusammengefasst wird dem BSG vorgehalten, es versuche , nicht nachvollziehbar - unlauter - eine nicht existente gesetzliche Regelung zu suggerieren; seine Rechtsauslegung sei contra legem, gehe über Argumente hinweg und sei mit dem Gesetzbindungsgebot unvereinbar.
Vorwürfe der Untätigkeit treffen auch den Gesetzgeber, denn schon im Juni 2013 hatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen entsprechenden Antrag im Gesundheitsausschuss des Bundestages eingebracht, der aber mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt wurde. Und auch der Bundesrat meinte schon im Mai 2014 lapidar, dass es immer wieder zu "ungewollten Härten" komme.
Das Bundesgesundheitsministerium ignoriert dieses rechtliche Chaos. Es spekuliert wohl darauf, dass sich die Probleme durch Rechtsänderungen infolge des Versorgungsstärkungsgesetzes lösen lassen, ohne dass die Details allgemein bekannt werden. Allerdings wird auch dem Gesetzgeber bei der vorgesehenen Änderung des § 46 SGB V durch das Versorgungsstärkungsgesetz dies noch zu schaffen machen, denn der Entwurf der Bundesregierung vom 17.12.2014 baut einseitig auf der fragwürdigen BSG-Rechtsprechung auf.
Tatsächlich gibt es zum Vorhaben, auf den bisherigen gesetzlichen Karenztag (Wartetag) vor Beginn des Krankengeldes künftig zu verzichten, keine Einwände. Ganz nebenbei und unbemerkt entfallen auch die von der BSG-Rechtsprechung ohne ausreichende Legitimation zusätzlich eingeführten "Karenztage" anlässlich jeder Folge-Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung.
So bleibt der Anspruch auf Krankengeld künftig auch bei "lückenlosen" AU-Bescheinigungen erhalten. Unterbrechungen um Sonn- und Feiertage werden dann unschädlich sein. Aber schon zu Samstagen gibt es Klärungsbedarf. Andere "Lücken-Tage" - egal aus welchen Gründen, ob der Arzt im Urlaub oder krank war, ob er sich bei der AU-Bescheinigung oder bei der Terminvergabe im Tag irrte oder die Situation rechtlich unzutreffend einschätzte, ob der Versicherte wegen eines Blechschadens bei der Fahrt zum Arzt nicht mehr rechtzeitig in die Praxis kam usw. - lassen den Anspruch nach wie vor entfallen. Davon werden künftig auch Versicherte im Beschäftigungsverhältnis betroffen sein.
Mit Sicherheit ist es jedoch der falsche Weg, Versicherte der Gefahr der Krankengeld-Falle auszusetzen und nach dem Verlust des Krankengeldes sowie des damit verbundenen Versicherungsschutzes auf mögliche zivilrechtliche Schadenersatzsprüche gegen ihre behandelnden Ärzte zu verweisen. Wie weltfremd und un"sozial" muss das BSG wohl sein, wenn es seit Jahren solche Vorschläge macht?
Ein derart unwürdiger Umgang im Gesundheitswesen ist nur mit den Schwächsten in der sozialen Hierarchie, den Versicherten und ihren Interessen, denkbar. Deren Interessen- und Rechtsvertretungen wirken hilflos. Dabei sind die andauernden Verletzungen der sozialen Rechte der Krankengeld-Bezieher aus den allgemein gültigen Regelungen der Sozialgesetzbücher I und X noch gar nicht angesprochen. Ein weites Feld!