Martin Luther protestiert in seinen 95 Thesen gegen den Ablasshandel und zwar auch deshalb, weil die Käufer sich damit nur um ihr eigenes Ergehen kümmern, sagt Kaufmann und zitiert These 43: „Man muss die Christen lehren: Wer einem Armen gibt oder einem Bedürftigen leiht, handelt besser, als wenn er Ablässe kaufte.“
An diese Gedanken knüpfen zum Reformationsjubiläum 2017 die Evangelische Landeskirche und ihre Diakonie an. Unter dem Titel „Schuldenfalle? Schuldenschnitt! – Freiheit durch Entschuldung“ haben sie jeweils 150.000 Euro zur Finanzierung regionaler Entschuldungsfonds bereitgestellt. Damit unterstützen sie in Zusammenarbeit mit den diakonischen Schuldnerberatungsstellen Menschen, die aus eigener Kraft ihre Überschuldung nicht überwinden können. Geeignete Betroffene sollen durch einen Schuldenschnitt Entlastung von ihrer Schuldenlast, also „Freiheit“, finden. „Unsere Schuldnerberaterinnen und –berater begleiten die Empfänger bei der Schuldenregulierung und gehen mit ihnen die Ursachen und Folgen ihrer Überschuldung an. Uns ist auch wichtig, diese Thematik aus einer schambesetzten Tabu-Zone herauszuholen. Nur so können wir Mechanismen einer Überschuldung aufzeigen und Prävention organisieren“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann
In Deutschland gelten aktuell 3,3 bis 3,7 Millionen private Haushalte als überschuldet, informiert Thomas Stürmer, Leiter der Abteilung Landkreis- und Kirchenbezirksdiakonie, Existenzsicherung im Diakonischen Werk Württemberg. Direkt oder indirekt betroffen sind von den damit oft verbundenen materiellen Notlagen insgesamt rund 6 bis 7 Millionen Menschen, häufig auch Familien mit Kindern. „Die Ursachen und Auslöser dieses sozialen Problems sind vielfältig.“ Neben Arbeitslosigkeit, Krankheit einschließlich Sucht, Trennung und Scheidung sowie gescheiterter Selbstständigkeit seien Niedrigeinkommen und Armut zentrale Faktoren, die eine private Überschuldung verursachen, auslösen oder begünstigen. Ebenso spielten das Kreditmarketing und die Praxis der Kreditvergabe eine Rolle. Auch die Ausgestaltung von sozialstaatlichen Leistungen und ihre in Teilen nicht bedarfsdeckenden Leistungsniveaus können in Überschuldung führen.
Zunächst dient die Beratung dazu, die wirtschaftliche Existenz der Schuldnerinnen und Schuldner sowie ihrer Angehörigen zu sichern. Die Beratung und Vermittlung von Kompetenzen helfen den Ratsuchenden, ihre wirtschaftliche Selbständigkeit (wieder) zu erlangen. Die Schuldnerberatungsstellen helfen auch beim Umgang mit Gläubigern, Mahnungen und Pfändungen, durch Überprüfung und gegebenenfalls Abwehr von übermäßigen und unberechtigten Forderungen. Weiter unterstützen die Berater beim Erhalt von Wohnung, Heizung und Energie sowie beim Beantragen von Sozialleistungen und einem pfändungsfreien Bankkonto.
Die 29 Schuldnerberatungsstellen der Diakonie in 22 Landkreisen und Städten Württembergs konnten ein Grundkapital zur Einrichtung lokaler Entschuldungsfonds beantragen. 22 haben diese Möglichkeit genutzt. Nach der Startfinanzierung durch die Evangelische Landeskirche und dem Diakonischen Werk Württemberg sollen diese Fonds durch Spenden von Bürgern weiteres Kapital für Entschuldungsdarlehen einwerben. Nach dieser Starthilfe sollen die Fonds durch Spenden leben. Die unverzinste Leihgabe zahlt die Person an den Entschuldungsfonds in für sie leistbaren Raten zurück. Das Geld versiegt nicht, sondern wird in den Kreislauf zurückgeführt und an eine weitere hilfebedürftige Person weitergeleitet.
Kaufmann mahnt das unzureichende Angebot der Schuldnerberatung in Baden-Württemberg an. „Unsere Forderung ist, die Schuldnerberatung so auszubauen, dass allen Überschuldeten in einem überschaubaren Zeitraum eine soziale Beratung und Hilfe zur Schuldenregulierung geboten werden kann.“ Die Verbände halten einen Beratungsschlüssel von einem Schuldnerberater pro 25.000 Einwohner für notwendig. Das wären in Baden-Württemberg 440 Beraterinnen und Berater, was ungefähr eine Verdopplung der vorhandenen Kapazität bedeutet. Es hänge vom Wohnort ab, ob ein Überschuldeter überhaupt eine Beratung erhält und wie lange er warten muss; teilweise gebe es Wartezeiten von über einem Jahr. „Hier kann nicht mehr von Hilfe gesprochen werden“.
Die Finanzierung der Beratungsstellen ist unterschiedlich. Größere Schuldnerberatungsstellen der Diakonie erhalten oft Zuschüsse der Kommune, die für einen Teil der Personalkosten der Berater ausreichen (50-70 Prozent), manche können die Fallpauschalen des Landes für die außergerichtliche Regulierung oder die Vorbereitung des gerichtliche Insolvenzverfahrens von 200 bis 600 Euro behalten. Bei allen Schuldnerberatungsstellen, vor allem bei kleinen Stellen, die oft nur mit einem oder zwei (Teilzeit-)Beratern besetzt sind, bringen die Kirchenbezirke teilweise erhebliche Eigenmittel ein– bis zu 80 Prozent.
Die Initiative „Freiheit durch Entschuldung“ ist Teil der Veranstaltungen der württembergischen Landeskirche zu 500 Jahre Reformation mit dem Slogan „…da ist Freiheit“.
Die Auftaktveranstaltung „Schuldenfalle? Schuldenschnitt! – Freiheit durch Entschuldung“ ist am 10. November 2016 um 19 Uhr in der Stiftskirche in Stuttgart. Um 19.30 Uhr referiert der Professor für Finanzierung und Autor zahlreicher Veröffentlichungen Christian Kreiß über „Wege in eine menschliche Wirtschaft.“