Wichtige Fragen und Antworten zum EuGH-Urteil im Abgasskandal
Seit über siebeneinhalb Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dem Diesel-Abgasskandal. Im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen Mercedes-Benz hatte sich das Landgericht Ravensburg an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewendet. Unter anderem ging es im Zusammenhang mit dem Abgasskandal darum, ob nur vorsätzliches sittenwidriges Handeln des Fahrzeugherstellers zu Schadensersatzansprüchen führt oder auch schon fahrlässiges. Dr. Stoll & Sauer erläutert das bahnbrechende Urteil:
Um welche Fahrzeuge ging es in dem Diesel-Verfahren am EuGH?
Letztlich betrifft das Urteil am EuGH die allermeisten Diesel-Fahrzeuge. Zwar ging es in dem Verfahren um einen Mercedes CDI 220, aber die in dem Fahrzeug verbaute illegale Abschalteinrichtung wird in beinahe allen Fahrzeugen der anderen Hersteller verwendet. Das Fahrzeug spielte in dem Verfahren jetzt nicht die große Rolle.
Was hat der EuGH genau entschieden?
Der EuGH hat entschieden, dass Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn ihnen durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Dabei hat sich der EuGH mit der Frage beschäftigt, ob die europäischen Regelungen, die sich mit den Genehmigungen von Kraftfahrzeugen auseinandersetzen, auch die Interessen der jeweiligen Käufer schützen. Und diese Frage hat das Gericht bejaht.
Welche Folge hat das Urteil für den Abgasskandal?
Der Europäische Gerichtshof hat grundsätzlich entschieden, dass Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Hersteller bereits aufgrund von fahrlässigem Verhalten berechtigt sind. Damit werden Klagen enorm erleichtert. Bisher mussten geschädigte Verbraucher nachweisen, dass die Hersteller wie VW und Mercedes vorsätzlich und sittenwidrig, vereinfacht gesagt betrügerisch, gehandelt haben. Der Nachweis des Vorsatzes ist sehr schwierig zu führen, weil keiner genau weiß, wie Großkonzerne entscheiden. Wer hat den Diesel-Betrug angewiesen? Wer hat die Manipulation umgesetzt?
Welche Konsequenzen hat das Urteil für die Verbraucher?
Erstens können Verbraucher einfacher zu Schadensersatz kommen. Zweitens sind vermutlich alle Hersteller von Dieselfahrzeugen betroffen. Im Mittelpunkt der Dieselverfahren steht unter anderem die temperaturabhängige Abgasreinigung – Stichwort Thermofenster. Und die hat der EuGH in verschiedenen Verfahren für illegal erklärt. Deutsche Gerichte wie der Bundesgerichtshof müssen sich jetzt mit dem EuGH-Urteil beschäftigen. Nach Meinung der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer müssen sich die deutschen Gerichte an die europäischen Vorgaben halten.
Was bedeutet das für den Eigentümer betroffener Fahrzeuge?
Die Fahrzeuge entsprechen nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Sie sind daher illegal auf den Straßen unterwegs. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat in einem VW-Verfahren zum Software-Update beim EA189 klargemacht, dass den Fahrzeugen die Stilllegung droht. Daher sollten die Eigentümer von Diesel-Fahrzeugen jetzt schnell handeln, und ihre Ansprüche auf Schadensersatz sichern.
Müssen Verbraucher jetzt in irgendeiner Form aktiv werden oder gilt es erst einmal abzuwarten?
Abwarten ist immer die falsche Entscheidung. Die Geschichte des Diesel-Abgasskandals bei VW hat gezeigt, dass jene, die abgewartet haben, keinen Schadensersatz erhalten haben, obwohl ihnen ein Schaden entstanden ist. Die Fälle waren verjährt. Darauf hat VW immer gesetzt, die Aufklärung verhindert und die Verfahren verschleppt. Eine schnelle Prüfung, ob Schadensersatz geltend gemacht werden kann, wie viel dabei rausspringen kann, sollte daher zügig erfolgen, ehe man erneut aufgrund der eingetretenen Verjährung leer ausgeht.
Hat das Urteil auch Auswirkungen darüber hinaus?
Das Urteil ist nach siebeneinhalb Jahren Diesel-Abgasskandal für die Verbraucher ein klarer Sieg. Das Urteil hat Vorbildcharakter für die laufenden und kommenden Diesel-Verfahren. Am 8. Mai 2023 wird der Bundesgerichtshof darüber verhandeln, wie er das EuGH-Urteil bewerten wird. In drei unterschiedlichen Diesel-Fällen muss der BGH Recht sprechen und den untergeordneten Gerichten Handlungsempfehlungen an die Hand geben.
Muss der BGH dem Urteil des EuGH folgen?
Der BGH hat in einer Pressemitteilung vom 1. Juli 2022 Verständnis für Landgerichte und Oberlandesgerichte geäußert, die Diesel-Verfahren bis zur EuGH-Entscheidung ausgesetzt hatten. Andererseits deutet der BGH durch sei eigenes Abwarten an, dass er der Rechtsauslegung des EuGH in jedem Fall Beachtung schenkt, um sie dann in die eigene Rechtsprechung aufnehmen will, damit Land- und Oberlandesgerichte die Dieselfälle anhand der BGH-Entscheidung durchentscheiden können. Daher ist davon auszugehen, dass der BGH den EuGH nicht ignorieren wird. Lehnt er das Votum des EuGH ab, dann wird der BGH in große Erklärungsnot geraten.