Außergewöhnliche Umstände bedeuten kostenfreien Reiserücktritt
Die Corona-Pandemie hat vor allem in der Reisebranche erhebliche Spuren hinterlassen. Airlines und Veranstalter versuchen immer wieder auf Kosten der Verbraucher, ihre Verluste zu minimieren. Wann ist der Reiserücktritt des Verbrauchers kostenlos, wann werden Gebühren fällig? Pauschal lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in drei Verfahren am 30. August 2022 deutlich gemacht, dass jeder Fall einzeln betrachtet werden müsse. Da geht es um die Art der Reise, um das Alter der Reisenden und die genauen Umstände. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die Eckdaten der drei Verfahren am BGH zusammen:
- Der Senat wertete die Corona-Pandemie im Sommer 2020 als außergewöhnliche Umstände, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigten. Pauschalurlauber haben grundsätzlich das Recht von einer Reise zurückzutreten. Im Gegenzug hat der Veranstalter eine angemessene Entschädigung als Stornogebühr zu erhalten. Der kostenlose Rücktritt setzt außergewöhnliche Umstände voraus. Dann wären bei den vorliegenden drei Fällen der kostenfrei Rücktritt also rechtens – oder nicht? Der BGH hat sich die Fälle genauer angeschaut.
- Im ersten Fall ging es um eine Flussfahrt auf der Donau. Zwei Wochen vor dem Beginn der Reise stornierte die Frau eines 80-Jährigen die Reise. Die Hausärztin hatte davor abgeraten, weil der Senior Probleme mit der Lunge hat. Das Hygienekonzept auf dem Schiff sah Maskenpflicht auf den Gängen und Essen in zwei Schichten vor. Das Ansteckungsrisiko sei für den Man zu hoch. Der Veranstalter wollte jedoch 85 Prozent des Reisepreises einbehalten. Der BGH entschied: Das Ehepaar muss nichts bezahlen. Zum Zeitpunkt der Buchung Anfang 2020 waren das Alter und der gesundheitliche Zustand kein Problem. Im Sommer sah das durch die Pandemie anders aus. Die Ansteckungsgefahr auf dem Schiff war zudem höher als zu Hause. Impfungen und Therapien habe es im Sommer 2020 auch noch nicht gegeben. Es lagen klare außergewöhnliche Umstände vor. Wer jedoch nach Ausbruch der Pandemie gebucht habe, der wusste, worauf er sich einlässt. Der müsste Stornogebühren bezahlen.
- Im nächsten Fall ging es um eine Mallorca-Reise einer Familie. Die trat von der Reise zurück, weil das gebuchte Hotel pandemiebedingt geschlossen hatte. Das geschlossene Hotel ist für den BGH jedoch kein Grund, der Familie die Stornogebühren zu erlassen. Auf dem Feriengelände hätte es sogar ein besseres Hotel gegeben. Der Veranstalter hätte das der Familie anbieten können. Die Vorinstanz muss sich den Fall jetzt erneut anschauen, weil auch nicht geklärt worden war, wie die Corona-Situation vor Ort gewesen war.
- Im nächsten Fall steht eine Kreuzfahrt auf der Ostsee im Mittelpunkt, die im August 2020 stattfinden sollte. Der Verbraucher trat bereits im März von der Reise zurück, weil es eine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts vor „nicht notwendigen, touristischen Reisen in das Ausland“ gegeben hatte. Der Reiseveranstalter behielt ein Teil der Anzahlung als Stornogebühr ein, obwohl er im Juli die Reise selbst komplett annullierte. Der BGH setzte das Verfahren aus, weil zu einer ähnlichen Konstellation ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erwartet wird. Der BGH tendiert jedoch dazu, zur Beurteilung des Rücktritts nicht nur den Zeitpunkt des Rücktritts heranzuziehen, sondern auch die spätere Entwicklung zu berücksichtigen. In solchen Fällen neigen Gerichte derzeit dazu, Verbraucher kostenfrei aus den Reiseverträgen zu lassen.