Autobauer stehen im Abgasskandal auf verlorenem Posten
Beim ersten Termin im Diesel-Abgasskandal von VW steht die ganze Branche auf dem Prüfstand. Mittlerweile steht nicht nur VW, sondern auch die anderen Automobilhersteller wie Daimler, BMW, Opel, Volvo, Suzuki und Fiat unter Verdacht das Abgaskontrollsystem mit Hilfe von sogenannten Abschaltreinrichtungen manipuliert zu haben. Der Fall rund um den VW-Dieselmotor EA 189 ist relativ klar. In den USA hat der Hersteller bereits zugegeben, betrogen zu haben. Und selbst VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess sprach in der ZDF-Talkshow „Lanz“ von „Betrug“.
In der neuen Motorengeneration der meisten Hersteller kommt das sogenannte „Thermofenster“ zum Einsatz. Eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung, die dazu führt, dass die normgerechte Abgasreinigung nur an wenigen Monaten im Jahr funktioniert. Das sei alles zum Schutz des Motors, behauptet die Automobilindustrie, und im Übrigen sind die Abgasgrenzwerte ausschließlich auf dem Prüfstand und nicht im Realbetrieb auf der Straße einzuhalten.
Mit diesen abenteuerlichen Argumenten kann der EuGH jetzt endgültig aufräumen. Nachhilfe für die Automobilindustrie gibt es bereits vom Europäischen Gericht. Nach dessen Auffassung müssen die Grenzwert der Normen Euro 5 und Euro 6 im Realbetrieb genauso eingehalten werden, wie auf dem Prüfstand (Urteil vom 13. Dezember 2018, Az. T-339/16). Eigentlich logisch. Warum sonst schreibt der Gesetzgeber sonst Grenzwerte vor?
Spannend wird es bei der Frage, ob der Schutz des Motors notwendig ist. Denn tatsächlich gibt es eine Ausnahmebestimmung im EU-Recht. Und diese wird von den Zulassungsbehörden und den Autoherstellern extensiv ausgelegt. Die Behörde müssen die Fahrzeuge mit dieser Art von Abschalteinrichtung genehmigen. Nach Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) 715/2007 ist eine Abschalteinrichtung zulässig, wenn sie "notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung" zu schützen. Die Reinigung des Abgassystems, so argumentieren die Autobauer, könne bei bestimmten Temperaturen nicht so gut funktionieren, ohne den Motor zu schädigen. Daher wird sie einfach abgeschaltet und die Verpestung der Luft in Kauf genommen. Das Argument leuchtet ein, wenn man an Bedingungen wie im finnischen Polarwinter oder an die Temperaturen in der Sahara denkt. Doch das Thermofenster schaltet die Abgasreinigung schon bei Temperaturen ab, die in Deutschland völlig normal sind. Letztlich funktioniert die Reinigung nur zwei, drei Monaten des Jahres.
Wie weit jetzt der Motorschutz gehen darf, darüber wird der EuGH im ersten Verfahren urteilen müssen. Und dabei ist kaum vorstellbar, dass das Gericht die Ausnahme zum Regelfall erklären wird. Zumal auch ganz offensichtlich ist, warum die Autobauer auf das Thermofenster setzen. Mit Hilfe von Katalysatoren könnte die Abgasreinigung zum gewünschten und gesetzlich vorgeschriebenen Ergebnis führen. Software hingegen ist günstiger. Dass es auch anders geht, zeigt BMW in den USA. Nach einem Frontal-Bericht ist im Modell X3 ein sogenannter SCR-Katalysator mit AdBlue-Technik eingebaut worden. So kann der Wagen auch bei niedrigen Temperaturen die Abgaswerte einhalten, ohne dass das Fahrverhalten beeinträchtigt wird. Auf europäischen Straßen findet sich die Technik aber nicht in dem Modell, obwohl für den AdBlue-Tank sogar eine Einbuchtung vorgesehen ist. Autobauer müssen nach einer Leitlinie der EU-Kommission immer die bestmögliche Technik für ihre Fahrzeuge verwenden. Schließt sich der EuGH dieser Argumentation an, fahren auf europäischen Straßen Millionen von Fahrzeugen, die über keine rechtmäßige Typenzulassung verfügen. Eine gigantische Rückrufwelle müsste das zur Folge haben.
Erstes EuGH-Verfahren im Abgasskandal von VW aus Frankreich
Im ersten verhandelten Fall vor dem EuGH lässt das französische „Tribunal de Grande Instance de Paris“ wichtige Fragen im Zusammenhang mit unzulässigen Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung klären. Dem Verfahren gegen VW haben sich 1200 Nebenkläger angeschlossen. Für die französische Justiz ist klar, dass laut der EG-Verordnung 715/2007 jeder Hersteller sein Fahrzeug mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 so konstruieren muss, dass die zulässigen Emissionswerte unter normalen Betriebsbedingungen eingehalten werden. Abschalteinrichtungen sind daher unzulässig. Außer sie dienen zum Schutz des Motors.
Die Verhandlung ist bereits dreimal verschoben worden. Im Kern des Verfahrens muss der EuGH nun zu folgenden Sachverhalten Stellung beziehen:
- Hat der Autohersteller eine unzulässige Abschalteinrichtung bei der Abgasrückführung verwendet?
- Sind die Käufer dadurch über wesentliche Merkmale des Fahrzeugs getäuscht worden?
- Hat die Abschalteinrichtung zu einem erhöhten Stickoxid-Ausstoß im realen Straßenverkehr geführt?
- Welche Bedingungen müssen gelten, damit die Abschalteinrichtung zum Schutz des Motors aktiviert werden darf?
Neun Verfahren im Diesel-Skandal am EuGH anhängig
Mittlerweile sind neun Verfahren im Diesel-Abgasskandal am EuGH anhängig – sechs aus Deutschland, zwei aus Österreich und eines aus Frankreich.
- Landgericht Gera: Az. C 663/19; C 759/19; C 809/19; C 808/19
Vier Verfahren befassen sich mit ähnlicher Thematik: Hat VW sich eine Typengenehmigung der EU erschlichen? Müssen die Verbraucher eine Nutzungsentschädigung bezahlen? - Verwaltungsgericht Schleswig C 873/19
In diesem Verfahren steht das Software-Update für den Dieselmotor EA 189 zur Prüfung an. Die Deutsche Umwelthilfe will wissen, ob es sich dabei auch um eine Abschalteinrichtung handelt. - Landgericht Stuttgart: 3 O 31/20
Hier steht das sogenannte Thermofenster von Porsche auf dem Prüfstand. Ist die Abgasreinigung in einem eng gefassten Temperaturfenster zulässig? Müssen die Verbraucher eine Nutzungsentschädigung bezahlen? - Oberste Gerichtshof Österreich: 10 Ob 44/19x
Auch hier geht es unter anderem um die Frage, ob das Software-Update von VW rechtskonform ist. Zudem soll geklärt werden, ob der ursprüngliche Mangel als geringfügig anzusehen ist, wenn der Käufer das Fahrzeug im Wissen um den Mangel gekauft hätte. - Landgericht Klagenfurt Österreich: C-343/19
Der EuGH muss klären, an welchem Standort VW verklagt werden kann. Der Generalanwalt hat bereits durchblicken lassen, dass eine Klage auch am Ort möglich ist, an dem der Schaden entstanden ist – also in diesem Fall Österreich. - Tribunal de Grande Instance de Paris: C-693/18
Das Gericht muss klären, ob der EA 189 von VW eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält und ob und unter welchen Bedingungen eine regulierte Abgasreinigung zulässig ist.