EuGH entmachtet Schufa auch bei Restschuldbefreiung
Wer einen Kredit benötigt, eine neue Wohnung anmieten oder gar ein Haus bauen oder kaufen möchte, der wird schnell mit der Schufa konfrontiert. Banken, Telekommunikationsdienste oder Energieversorger überprüfen meist bei privaten Auskunfteien wie der Schufa die Kreditwürdigkeit einer Person. Die Schufa gibt dann den Unternehmen ihre Einschätzung weiter - den sogenannten Score-Wert. Mit Hilfe des Scores soll sich zeigen, wie gut der Verbraucher seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt. Neben dem Score stand am EuGH auch noch die Schufa-Praxis auf dem Prüfstand, die Restschuldbefreiung nach beendeter Privatinsolvenz länger zu speichern als beim amtlichen Insolvenzregister. In beiden Fällen erlitt die Schufa Niederlagen. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die Verfahren kurz zusammen:
- Im Rechtsstreit (Az.: C-634/21) verlangte der Kläger von der Schufa, seinen Eintrag zu löschen und ihm Zugang zu den Daten zu gewähren. Ihm war ein Kredit verwehrt worden. Die Schufa stellte sich jedoch quer, gab ihm nur seinen Score-Wert und allgemeine Informationen zur Berechnung bekannt. Der hessische Datenschutzbeauftragte sah im Vorgehen der Schufa keine Rechtswidrigkeit. Seiner Meinung nach ist das Scoring nach den Anforderungen an § 31 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Daraufhin klagte der Verbraucher. Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden legte den Fall dem EuGH vor, um grundsätzlich das Verhältnis zur europäischen Datenschutzgrundverordnung klären zu lassen.
- Das VG interessiert sich besonders für die Frage, ob es sich bei dem Schufa-Scoring um eine automatisierte Verarbeitung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 DSGVO handelt. Entscheidungen mit rechtlicher Wirkung dürfen nach dieser Norm, nicht nur durch die automatisierte Verarbeitung von Daten getroffen werden. Doch genauso verhält sich das Scoring nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts Priit Pikamäe. Die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Kreditwürdigkeit stellt eine solche verbotene automatische Entscheidung dar. Der EuGH folgte in seiner Entscheidung dem Generalanwalt. Ist das Scoring maßgeblich für die Entscheidung über die Kreditvergabe, so verstößt gegen die europäische DSGVO.
- Auch beim Thema Restschuldbefreiung erlitt die Schufa eine Niederlage. Die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung stehen nach Ansicht des EuGH im Widerspruch zur DSGVO, wenn private Auskunfteien solche Daten länger speichern als das öffentliche Insolvenzregister. Die erteilte Restschuldbefreiung soll nämlich der betroffenen Person ermöglichen, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen, und hat daher für sie existenzielle Bedeutung. Diese Informationen werden bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit der betroffenen Person stets als negativer Faktor verwendet. Im vorliegenden Fall hat der deutsche Gesetzgeber eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorgesehen. Er geht daher davon aus, dass nach Ablauf der sechs Monate die Rechte und Interessen der betroffenen Person diejenigen der Öffentlichkeit, über diese Information zu verfügen, überwiegen.
- Weiter entscheid der EuGH: „Soweit die Speicherung der Daten nicht rechtmäßig ist, wie dies nach Ablauf der sechs Monate der Fall ist, hat die betroffene Person das Recht auf Löschung dieser Daten, und die Auskunftei ist verpflichtet, sie unverzüglich zu löschen.“ (Az.: C-26/22 und C-64/22)
- Da die Schufa die Entscheidung zur Restschuldbefreiung wohl erwartet hat, löschte die Auskunftei bereits immer Sommer 2023 nach eigenen Angaben 250.000 Einträge zur Restschuldbefreiung.
Welche Auswirkungen hat das Schufa-Scoring-Urteil?
Die Entmachtung der Schufa durch das Scoring-Urteil des EuGH hat weitreichende Folgen für die Kreditwirtschaft und natürlich für die Verbraucher:
Konkret müssten Kreditgeber nun folgende Maßnahmen ergreifen:
- Sie müssten die individuellen Umstände des jeweiligen Kreditantrags berücksichtigen, bevor sie eine Entscheidung treffen. Dazu gehören beispielsweise die Einkommenssituation des Antragstellers, seine Zahlungshistorie und die Art des beantragten Kredits.
- Sie müssten den Antragstellern die Möglichkeit geben, Einwände gegen den Schufa-Score zu erheben.
- Sie müssten den Antragstellern eine Begründung für die Entscheidung geben, warum der Kredit gewährt wird oder nicht.
- Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird für Kreditgeber einen erheblichen Aufwand bedeuten. Sie müssen neue IT-Systeme entwickeln und ihre Mitarbeiter schulen.
- Verbraucher, die keinen Kredit erhalten haben, können nun Einwände gegen den Schufa-Score erheben. Sie können beispielsweise argumentieren, dass der Score ungenau oder nicht aktuell ist.
- Verbraucher, die einen Kredit erhalten haben, können nun verlangen, dass ihnen die Begründung für die Entscheidung gegeben wird. Das kann ihnen helfen, zu verstehen, warum der Kredit gewährt wurde oder nicht. Und es zu prüfen, ob gegen eine solche Entscheidung juristisch vorgegangen werden kann.
Die Auskunftei Schufa steht seit Monaten unter Druck. Am Bundesgerichtshof (BGH) und Europäischen Gerichtshof (EuGH) sind unterschiedliche Verfahren anhängig. Verbraucher beginnen, sich gegen die Macht der Schufa zu wehren. Und das zeigt Wirkung bei der Auskunftei Schufa. Im Frühjahr 2023 entschied sich die Schufa freiwillig, die Speicherdauer für Einträge zu abgeschlossenen Privatinsolvenzen von drei Jahren auf sechs Monate zu verkürzen und löschte 250.000 Einträge. Der EuGH hat mit den aktuellen Entscheidungen diese Maßnahme bereits im Vorfeld erzwungen.
Beim Score steht das komplette Geschäftsmodell nach dem Urteil auf der Kippe. Wie wichtig der Score tatsächlich für Unternehmen ist, zeigen aktuelle Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung. In einer Umfrage von NDR und SZ bestätigten mehrere große Energieversorger in Deutschland die Bedeutung des Schufa-Scores zur Beurteilung von Neukunden. Kunden mit guter Schufa-Bewertung erhalten attraktive Sonderverträge mit günstigeren Konditionen, während andere nur teurere Grundversorgung angeboten bekommen. Die Schufa bewerbe diese Praxis als wichtig für das Risikomanagement. Experten wie Matthias Spielkamp von Algorithmwatch und Johannes Müller vom Verbraucherzentrale Bundesverband äußern Bedenken hinsichtlich der Fairness und Transparenz des Schufa-Einsatzes bei Energieversorgern. Sie betonen die Bedeutung von Transparenz und Verständlichkeit für Verbraucher. Darüber hinaus wird der Schufa-Score auch von Verkehrsbetrieben und Versandhandels-Unternehmen zur Bonitätsbeurteilung genutzt. Banken und Sparkassen scheinen den Schufa-Score hingegen nicht als alleiniges Kriterium zu verwenden, sondern beziehen weitere Informationen in ihre Entscheidungen ein, so die Ergebnisse der Umfrage von NDR und SZ. Mit dieser Praxis wird nach der Entscheidung des EuGH vom 7. Dezember 2023 in diesem Ausmaß wohl Schluss sein. Verbraucher haben jetzt die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen.