Illegale Abschalteinrichtung im Wohnmobil Boxstar von Knaus
Seit Sommer 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Fiat-Abgasskandal – bisher ohne veröffentlichte Ergebnisse. Vor allem Wohnmobile sind vom Skandal betroffen, da die meisten Hersteller von Wohnmobilen auf den Fiat Ducato als Basisfahrzeug vertrauen. 2020 sprach die Staatsanwaltschaft von 200.000 Freizeitfahrzeugen. Der Fiat-Diesel Multijet soll mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten und nicht im normalen Straßenverkehr. Bei den Abschalteinrichtungen handelt es sich unter anderem um einen sogenannten Timer, der nach 21 Minuten die Abgasreinigung ausschaltet, und das Thermofenster, das die Abgasregulierung von der Außentemperatur abhängig steuert. Das Oberlandesgericht Bamberg stellt fest, dass sich in dem Basisfahrzeug des Wohnmobils eine unzulässige Abschalteinrichtung befindet. Der Senat nimmt in seiner Urteilsbegründung explizit Bezug auf die neue Rechtsprechung von BGH und Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die das Verfahren führte, fasst das aktuelle Urteil und die Rechtslage zusammen:
- Der Kläger erwarb das neue Wohnmobil Boxstar 600 DQ von Knaus am 9. Januar 2020 zum Netto-Kaufpreis von 53.859,20 Euro. In dem Fahrzeug ist der Multijet-Motor F1AGL11C, Euronorm: 6, 2,3 ccm und 150 PS Leistung verbaut.
- In dem Wohnmobil Boxstar 600 DQ soll nach Ausführungen des Klägers die Abgasreinigung mithilfe eines sogenannten Thermofensters von der Außentemperatur abhängig geregelt– sprich manipuliert werden. Zwischen 15°C und 39°C wird die Abgasrückführung (AGR) nicht reduziert, außerhalb dieses Fensters erfolgt eine Reduzierung der AGR. Mithilfe eines Timers werde die Abgasreinigung zusätzlich nach rund 21 Minuten Laufzeit des Motors abgeschaltet.
- Der Kläger forderte unter anderem vom Händler die Neulieferung eines mangelfreien, baugleichen und fabrikneuen Wohnmobils. Das Fahrzeug befand sich bei Klageeinreichung noch in der zweijährigen Gewährleistungsfrist.
- Das Oberlandesgericht Bamberg folgte teilweise den Anträgen des Klägers und verurteilte den Wohnmobil-Händler zur Neulieferung eines baugleichen, fabrikneuen und mangelfreien Wohnmobils
- Der Senat sah zwar aufgrund der unsicheren Rechtslage kein vorsätzliches und sittenwidriges Handeln im Sinne von §826 BGB durch Fiat, hielt allerdings das unstreitig im Motor verbaute Thermofenster für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) 715/2007. Hier folgte der Senat ausdrücklich der Rechtsprechung des BGH (Az.: VIa ZR 335/21 vom 26. Juni 2023) und des EuGH (Az.: C-128/20 vom 14. Juli 2022).
- Das Thermofenster wird durch das Urteil als Sachmangel klassifiziert. Durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist das Wohnmobil der Gefahr der Betriebsuntersagung ausgesetzt. Auch hier stützt sich das OLG auf die Rechtsprechung des BGH (Az.: VIII ZR 190/1 vom 8. Dezember 2021).
- Da Händler und Fiat das Thermofenster nicht bestritten haben, sondern darauf hinwiesen, dass es zum Motorschutz notwendig sei, verurteilte das OLG den Händler zur Neulieferung des Wohnmobils. Das Thema Motorschutz spielte bei den Richtern ähnlich wie beim BGH und EuGH keine Rolle.
- Dass Knaus nach eigenen Angaben das streitgegenständliche Kanus-Modell nicht mehr fabrikneu auf Lager habe, interessierte das OLG nicht. Knaus produziere derzeit nur noch Wohnmobile mit Motoren der Schadstoffklasse Euro 6d und Euro 6dTemp. Auch der Hinweis der Beklagten, dass der Händler ein abgebrauchtes Wohnmobil im Gegenzug erhält, ließ das Gericht nicht gelten. Es verzichtete gemäß der BGH-Rechtsprechung auf einen Nutzungsersatz.
- Das OLG Bamberg ließ für das Urteil keine Revision zu. Damit ist das Urteil faktisch rechtskräftig. Der Händler hat jetzt noch die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH, die jedoch in den seltensten Fällen Erfolg hat – zumal sich die Rechtsprechung bei Neulieferung im Diesel-Abgasskandal seit Jahren verfestigt hat.
BGH-Entscheid zum Wohnmobil-Abgasskandal von Fiat setzt Maßstab
Für Fiat wird es jetzt im Diesel-Abgasskandal nicht nur aufgrund des Urteils am Landgericht Halle immer enger. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am 27. November 2023 erstmals zum Abgasskandal der Wohnmobile geäußert. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst das Urteil und die weiteren Entwicklungen kurz zusammen:
- Der BGH sieht auch bei Wohnmobilen aufgrund fahrlässigen Handelns nach §823 Abs. 2 BGB einen möglichen Differenzschaden. Der BGH hatte über die Frage verhandelt, ob FCA als italienischer Hersteller des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils nach § 823 Abs. 2 BGB haftet.
- Das deutsche Sachrecht ist auch für Fiat anwendbar, da das Wohnmobil in Deutschland in den Verkehr gebracht wurde.
- Eine Reaktion der italienischen Typengenehmigungsbehörde ist irrelevant, da es beim BGH nur auf die Frage ankommt, ob eine Abschalteinrichtung verbaut ist oder nicht.
- Der Umstand, dass es bislang zu keinen Einschränkungen wie Rückrufen gekommen ist, spielt auch keine Rolle.
- Der BGH stellt klar, dass die Regeln zum Schadensersatz bei PKW im Diesel-Abgasskandal auch auf Wohnmobile anwendbar sind.
- Zum Thema Vorsatz und Sittenwidrigkeit (§826 BGB) hat sich der BGH jedoch nicht geäußert, weil der Sachverhalt nicht vorgetragen wurde. Ob Fiat vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat, muss in anderen Verfahren geklärt werden. Dr. Stoll & Sauer hat mehrere Verfahren am BGH dazu anhängig.
- Bejaht der BGH Vorsatz und Sittenwidrigkeit bei Fiat, dann können Verbraucher ihren Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages leichter durchsetzen (großer Schadensersatz). Auch Preisminderung in der Größenordnung von bis zu 25 Prozent könnten dann durchsetzbar sein (kleiner Schadensersatz).