Unterschiedliche Motorenhersteller stifteten bisher Verwirrung
Die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals bei Fiat Chrysler ist wieder ein Stück weitergekommen. In einem Verfahren vor dem Landgericht Osnabrück hat FCA zugestanden, die Motorsteuerung in den Dieseln selbst zu installieren. Iveco liefere nur die Antriebsmaschine ohne Software, so Anwälte von FCA. Mit diesen Äußerungen lässt sich die Verantwortlichkeit für die mögliche Abgasmanipulation an den Dieselmotoren von FCA eindeutig auf den Autobauer selbst zurückführen.
In den Abgasskandal ist vor allem die Wohnmobilbranche verwickelt. Die meisten Hersteller der kostspieligen Fahrzeuge verwenden den Fiat Ducato als Basisfahrzeug für ihre Wohnmobile. Während Fiat den Ducato herstellt, liefern unterschiedliche Hersteller den passenden Motor. Jedoch sind die Hersteller in irgendeiner Form mit dem Fiat-Imperium verbandelt. Der Motorhersteller SOFIM (Société franco-italienne de moteurs) gehört zu Iveco. Und Iveco steht mit FCA über die Holdinggesellschaft Exor wiederum in Verbindung. Selbst das französische Unternehmen PSA (Peugeot, Citroen) liefert Motoren für den Ducato. PSA fusionierte 2021 mit FCA zum Unternehmen Stellantis. Bei dieser undurchsichtigen Unternehmenskonstellationen lassen sich Verantwortlichkeiten und damit berechtigte Ansprüche im Abgasskandal nur schwierig zuordnen. Mit der Äußerung des FCA-Anwaltes, dass FCA den Motor mit Software selbst bespielt, löst sich das Dickicht langsam auf. Damit ist aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer der Autobauer verantwortlich für das implementieren einer etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtung. Hier kurz der Inhalt des Verfahrens:
- Der Kläger kaufte im Oktober 2013 das Wohnmobil „Globebus I15“ des Herstellers Dethleffs für 61.999 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 130 PS der Euronorm 5b ausgestattet. Motorkennung: F1AE3481D.
- Die Multijet-Motoren sind nach Ansicht der Kanzlei so konstruiert worden, dass die gesetzlich vorgeschriebene Abgasnachbehandlung ca. 22 Minuten nach jedem Motorstart deaktiviert wird. Da der Testlauf auf einem Abgasprüfstand nur ca. 20 Minuten andauert, führt die Deaktivierung der Abgasnachbehandlung dazu, dass in der Prüfungssituation der Anschein vermittelt wird, das Fahrzeug würde den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgrenzwert für NOx-Mengen genügen. Tatsächlich beträgt das reale Abgas-Emissionsverhalten insgesamt bis zum 19-Fache und übersteigt somit beträchtlich den Grenzwert.
- Vom Fiat-Abgasskandal sind nach dem Experten der Deutschen Umwelthilfe Axel Friedrich alle Motoren mit den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 betroffen. Erst die Motoren mit Euro 6dTemp halten die Abgasnormen auch im realen Straßenbetrieb ein.
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist mit diesem weiteren Mosaiksteinchen die Beweislast gegen den Autobauer mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der Entwicklungen aus dem Jahr 2021:
- Das Landgericht Landau hat Fiat Chrysler am 6. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 48.155,93 Euro verurteilt ( 2 O 169/21). Das Urteil ist das erste Nicht-Versäumnisurteil im Abgasskandal von Fiat.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof in einem VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft über den Stand der Ermittlungen einholen.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat-Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Das Landgericht Saarbrücken lässt ein Gutachten zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia einholen. Der Stickoxidausstoß soll überprüft werden (Az. 12 O 18/21).
- Das Landgericht Ansbach hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 ein Gutachten in Auftrage gegeben, das herausfinden soll, ob „in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind“ (Az. 3 O 761/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden. Und Iveco gehört zum weitverzweigten Fiat-Imperium.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.