VW-Papier enttarnt Vorgehensweise in Dieselgate 2.0
VW gerät in Dieselgate 2.0 rund um den Motor EA288 gehörig unter Druck. Eine Medienkampagne auf der VW-Website gegen Verbraucheranwälte wirkt wie das Pfeifen im Wald. Denn anders als VW behauptet, wachsen die Chancen der Verbraucher, ihre Ansprüche gegen den Autobauer vor Gericht durchzusetzen, enorm. Munition in der juristischen Auseinandersetzung liefert VW unfreiwillig in einem Schriftsatz, der der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vorliegt. Daraus lässt sich ablesen, dass VW auch im EA288 eine Strategie für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte entwickelt hat - allerdings ausschließlich auf dem Teststand. Diesen Umstand fand bereits das Landgericht Offenburg merkwürdig. In einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Audi letztlich diese Teststandserkennung eingestanden (Az. 3 O 38/18).
Ein jetzt der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vorliegender Schriftsatz erhärtet den Verdacht eindrucksvoll. Darin stehen die folgenden etwas kryptischen Sätze: „Allerdings wurde in einer Aktualisierung der Applikationsrichtlinie vom 18.11.2015 im Juli 2016 entschieden, generell die Fahrkurve bei Feldfahrzeugen anlässlich von Software-Änderungen ab KW 04 /2018 auszubauen. Das führt im Ergebnis dazu, dass aus sämtlichen im Feld befindlichen EA288-Fahrzeugen die Fahrkurve aus den oben geschilderten Gründen entfernt wird - auch bei denen, deren SOP vor KW 22 / 2016 liegt oder bei denen nach KW 22/ 2016 keine Modellpflegemaßnahme durchgeführt wurden.“
Was heißt das konkret?
- Erst im Juli 2016 wurde für den Motor EA288 entschieden, bei der Motorsteuerung die sogenannte Fahrkurve auszubauen. Mit der Fahrkurve soll es der Motorsteuerung möglich sein zu erkennen, ob sich das Fahrzeug im Straßenverkehr oder auf einem Prüfstand befindet. Übrigens soll die Lenkwinkelerkennung zum gleichen Ergebnis führen. Wenn das Lenkrad eingeschlagen ist, weiß die Software, dass sich das Auto auf der Straße befindet, falls nicht, wird ein Prüfstand vermutet und der Prüfstandmodus in Gang gesetzt.
- Spannend an diesem Schriftsatz ist auch das Datum zur Einführung der Applikationsrichtlinie. Diese Richtlinie legt bei VW grob gesagt fest, mit welcher Software die Fahrzeuge ausgestattet werden. Noch am 18. November 2015 entschieden also VW-Manager, eine Fahrkurvenerkennung in den EA288 aufspielen zu lassen. Obwohl am 22. September 2015 in der Ad-hoc-Mitteilung von VW zum Abgasskandal rund um den EA189 klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass die VW-Führung „keine Gesetzesverstöße dulde“. Und weiter: „Ausschließlich“ der Motorentyp EA 189 sei betroffen. Auch sollten alle seinerzeit angebotenen Fahrzeuge der Euronorm 6 die gesetzlichen Anforderungen und Abgasnormen erfüllen.
- Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Tatsächlich weiß man heute, dass auch noch nach der Ad-hoc-Mitteilung Tausende Euro-6-Autos von Volkswagen vom Kraftfahrt-Bundesamt wegen vorhandener Abgasmanipulationen zurückgerufen wurden – etwa 2018 nahezu alle Dieselmodelle von Audivom A4 bis zum Q7 der Abgasnorm Euro 6. Und beim EA288 wurde bis Juli 2016 die Modelle mit Fahrkurvenerkennung ausgeliefert.
- Die fehlerhafte Börsenmeldung hat vor allem für die geschädigten Verbraucher fatale Folge. Der Bundesgerichtshof ging VW auf den Leim und bewertete die Ad-hoc-Mitteilung als inhaltlich richtig. In einem Grundsatzurteil vom 30. Juli 2020 ( VI ZR 5/20) war für die Richter klar, dass die Mitteilung ein Anzeichen dafür sei, dass Volkswagen ab diesem Zeitpunkt geläutert gewesen sei. Wer nach dem 22. September 2015 einen VW-Diesel gekauft hat, hat kaum noch Chancen, seine Ansprüche wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung durchzusetzen.
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass VW bei der Ad-hoc-Mitteilung nicht die Wahrheit kundgetan hat. Zumal jetzt auch der EA288 verstärkt in den Fokus der Gerichte rückt, und Richter in Urteilen davon ausgehen, dass unzulässige Abschalteinrichtungen in den Motoren verbaut worden sind. Verbraucheranwälte haben deshalb bei der Staatsanwaltschaft Trier gegen VW-Bosse Strafanzeige wegen Prozessbetrugs gestellt. Sie richtet sich gegen Vorstandschef Herbert Diess sowie den VW-Rechtsvorstand Hiltrud Werner und den ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn.
Die Chancen, sich gegen den VW-Konzern vor Gericht durchzusetzen, steigen auch im Hinblick auf die neue Motorengeneration – beispielsweise den EA 288. Am Europäischen Gerichtshof EuGH in Luxemburg sind am 30. April 2020 in einem Gutachten temperaturabhängige Abschalteinrichtungen als unzulässig eingestuft worden. Und im EA 288 ist unter anderem ein sogenanntes Thermofenster verbaut. Das hat VW bereits am Landgericht Duisburg zugegeben. Daher geht Dr. Stoll & Sauer davon aus, dass betroffene Verbraucher erneut geschädigt worden sind und rät zur anwaltlichen Beratung. Denn die Fahrzeuge sind im Wert erheblich gemindert. VW hat eine umweltfreundliche Motorisierung angepriesen. Letztlich könnte die Umwelt genauso wie beim EA 189 verpestet werden, weil der Stickoxid-Grenzwert nur auf dem Prüfstand und nicht im Normalbetrieb auf der Straße eingehalten wird. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden.
Erste Urteile und Beschlüsse gegen VW zum EA 288
Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer stellt einige Urteile und Beschlüsse zum Motor EA 288 vor, die zeigen, dass Dieselgate 2.0 bereits begonnen hat.
- Das Landgericht Offenburg verurteilte am 23. Juni 2020 die VW-Tochter Audi und ein Autohaus aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Täuschung nach § 826 BGB (Az. 3 O 38/18). Der Audi A3 2,0 TDI Quattro mit dem Motor EA 288 Euro 6 enthält nach Ansicht des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittene Urteil hat folgende bemerkenswerte Eckpunkte:
- Das Gericht kritisiert das Prozessverhalten von Audi als „Leugnen“. Die sogenannte Teststandserkennung oder Prüfstandserkennung in dem Audi, in der die EU-Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden, hat Audi am Anfang des Verfahrens nicht eingeräumt, sondern den Vorwurf nur als „unzutreffend“ bezeichnet. Daraufhin wollte das Gericht Beweise erheben. In neuer Gerichtsbesetzung und nach schriftlichem Nachfragen wurde der Einbau einer als „Umschaltlogik“ bezeichnete Abschalteinrichtung verneint. Eine Teststandserkennung räumte Audi dann nach erneutem Nachfragen mit dem Hinweis ein, dass zum Normalbetrieb auf der Straße jedoch kein Unterschied bestehe. Beim nächsten schriftlichen Nachfassen und der Frage des Gerichts, wozu es dann eine solche Erkennung gebe, tat Audi dann so, als ob es selbstverständlich sei, dass der Teststandsbetrieb auch Auswirkungen auf den Katalysator und somit die Abgaskontrolle habe.
- Das Gericht bezog sich in seinem Urteil explizit auf das Gutachten der Generalanwältin am EuGH, Eleanor Sharpston. Die hatte am 30. April 2020 in einem VW-Verfahren temperaturabhängige Abgaskontrollsysteme, wie ein Thermofenster eines darstellt, als unzulässig bezeichnet (Az. C 693/18). Die Vorschriften, so Sharpston, seien sehr eng auszulegen. Zum Schutz des Motors ist laut Sharpston zwar eine Abschalteinrichtung durchaus zulässig. Dabei erfasst diese Ausnahme nach Ansicht der Generalanwältin nur den Schutz des Motors vor dem Eintreten von unmittelbaren und plötzlichen Schäden (und nicht vor langfristigeren Auswirkungen wie Abnutzung oder Wertverlust). Die Generalanwältin ist der Ansicht, „dass nur unmittelbare Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beeinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeugs darstellen, das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung rechtfertigen können.“ Aus Sicht der Generalanwältin rechtfertigt das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung. Gerade damit haben die meisten Hersteller bisher vor Gericht argumentiert. Dieser Begründung dürfte nun ein Riegel vorgeschoben werden.
- Dass kein Rückruf vom Kraftfahrt-Bundesamt bisher gegen den EA 288 vorliegt, war für den Richter unmaßgeblich. Dafür könne es viele Gründe geben – wie etwa „politischen Einfluss“.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
- Landgericht Duisburg(30. Oktober 2018, Az. 1 O 231/18): In diesem Verfahren soll VW nach einem SWR-Bericht zugegeben haben, im EA 288 eines Golf VII ein sogenanntes Thermofenster eingebaut zu haben. Das Gericht sieht Haftung von VW aus 826 BGB als gegeben an.
- Landgericht Wuppertal(15. März 2019, Az. 2 O 273/18): Ein Gutachten soll herausfinden, ob im EA 288 eine Prüfstanderkennung und eine Software verbaut worden ist, die bei einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung herunterfährt.
- Landgericht Krefeld(6. November 2019, Az. 2 O 370/18, VW Touareg): Das Gericht sah einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Die Beklagte hat massenhaft und mit erheblichem technischem Aufwand gesetzliche Umweltvorschriften ausgehebelt (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019, VIII ZR 225/17) und zugleich Kunden manipulierend beeinflusst, indem das Emissionskontrollsystem durch eine schadstoffmindernde Aufheizstrategie, die nahezu ausschließlich im Prüfstandmodus anspringt, anders gesteuert wurde als im regulären Fahrbetrieb.
- Landgericht Regensburg ( März 2020, Az. 73 O 1181/19, VW Golf VII): In diesem Verfahren sah das Gericht bei VW eine Haftung aus § 826 BGB. Mit der Abgasmanipulation habe sich das Unternehmen auf rechtswidrigem Weg Wettbewerbsvorteile zu verschaffen versucht, um seinen Gewinn zu steigern.
- Landgericht München (31. März 2020, Az. 3 O 13321/19): Spannend an diesem Urteil – es handelt sich um den VW T6 mit EA 288. Das Gericht führt aus, dass bei Vorliegen eines „Thermischen Fensters“ nicht einmal ein amtlicher Rückruf notwendig sei, und eine Abschaltvorrichtung, die der EU-Norm nicht entspreche, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bedeute. Die VW-Anwälte sollen die Abschaltvorrichtung nicht mal in Frage gestellt haben. Das Thermofenster entspreche der EU-Verordnung 715/2007. Die Anlage, entgegnete das Gericht, sei zwar nach der Verordnung genehmigt, aber VW lege sie falsch aus. Eine vorsätzliche Schädigung löst nach Paragraf 826 BGB den vollen Schadensersatz aus.
- Landgericht München (25. August 2020, Az.: 3 O 4218/20, VW T6)
- Landgericht Hagen (11. August 2020, Az.: 3 O 134/19)
- Landgericht Heilbronn (29. Mai 2020, Az.: Bi 6 O 257/19, VW T6)
- Landgericht Darmstadt (31. August 2020, Az.: 13 O 88/29, Skoda Octavia)
- Landgericht Düsseldorf (Az.: 11 O 190/18 (Urteil vom 17. Juli 2020) (VW Golf VII)
- Landgericht Darmstadt (21. September 2020, Az.: 1 O 89/20, Seat Leon)
- Landgericht Oldenburg (6. Oktober 2020, Az.: 1 O 939/20, Audi A3)
- Landgericht Baden-Baden(13. Januar 2020, Az. 4 O 247/19)
- Landgericht Bielefeld (unveröffentlicht, Az. 6 O 74/18)
- Landgericht Bielefeld (unveröffentlicht, Az. 7 O 20/19)
- Landgericht Ellwangen (unveröffentlicht, Az. 2O 290/18)
- Landgericht Lübeck (unveröffentlicht, Az. 17 O 143/18)