Landgericht Bonn will wichtige Frage mit Gutachten klären
Fiat-Kunden und Camper stehen seit dem Sommer 2020 unter Schock. Damals durchsuchten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Frankfurt Büroräume von FCA und Iveco – beide gehören zum Fiat-Imperium. „Frankfurt: Durchsuchungen wegen des Verdachts des Betruges im Zusammenhang mit Diesel-Abschalteinrichtungen“, titelte die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung vom 22. Juli 2020. Ganz offensichtlich hat auch der Autokonzern Fiat wie die Volkswagen AG den Verbrauchern einen ausgewachsenen Diesel-Abgasskandal beschert. Die Abgasreinigung der Motoren soll so manipuliert werden, dass die EU-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Im realen Straßenverkehr wird die Umwelt verpestet und die Gesundheit der Bürger gefährdet. Weil Fiat und Iveco Fahrgestelle und Motoren an Herstellern von Reise- und Wohnmobilen verkaufen, hielt der Abgasskandal somit Einzug in die gerade durch die Corona-Pandemie boomende Branche.
Mittlerweile hat die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer weit über 1000 Klagen im Fiat-Abgasskandal an deutschen Gerichten eingereicht. Erste verbraucherfreundliche Urteile konnten bereits erstritten werden. Die juristische Aufarbeitung des Skandals ist im vollem Gang. Das Landgericht Bonn hat am 29. April 2022 einen Beweisbeschluss gefasst. Ein Sachverständiger soll in einem Gutachten klären, ob eine Zeitschaltuhr die Abgasreinigung im Ducato-Motor nach 22 Minuten abschaltet. Hier die Eckdaten zum vorliegenden Verfahren, das von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer geführt wird:
- Im Juli 2018 kaufte der Kläger das Fahrzeug der Marke Knaus RM 2018 Live Ti 650 MEG für 59.900 Euro. Beim Motor handelt es sich um ein Multijet 2,3l mit 130 PS der Abgasnorm Euro 6b. Motorkennung: F1AGL411D. Mit Klage vom 21. Dezember 2021 soll das Landgericht Bonn feststellen, ob dem Kläger durch den Diesel-Abgasskandal ein Schaden entstanden ist und FCA dafür haftet.
- Mit Beschluss vom 29. April 2022 gibt das Landgericht Bonn ein Gutachten in Auftrag. Ein Sachverständiger soll klären, ob in dem streitgegenständlichen Wohnmobil „die Abgasreinigung – sowohl Abgasrückführung als auch die Regeneration des MFK – nach einer Zeitspanne von 22 Minuten auf Null bzw. nahezu Null reduziert?“
- Darüber hinaus gibt das Gericht in einer ersten Einschätzung bekannt, dass der Klägervortrag zur Zeitschaltuhr „hinreichend substantiiert sein dürfte“. Außerdem weißt das Gericht auf ein Fiat-Verfahren am Oberlandesgericht Köln hin. In einem Beschluss vom 24. Februar 2022 hatte das OLG Köln angekündigt, die Berufung von FCA gegen ein verbraucherfreundliches Urteil des Landgerichts Aachen zurückweisen zu wollen ( 28 U 55/21). Die erste Instanz hatte FCA aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB verurteilt.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer geht davon aus, dass das Gutachten das Vorhandensein der Zeitschaltuhr bestätigt. Zudem zeigen mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten. Die Robert Bosch GmbH hat gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt zugestanden, Abschalteinrichtungen an Fiat geliefert zu haben. Außerdem hat Fiat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die Zeitabschaltung in der Abgasreinigung bestätigt.
Verbraucherfreundliche Entwicklung im Fiat-Abgasskandal
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die Beweislast gegen den Autobauer mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Weit über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen:
- Das Landgericht Landau hat Fiat Chrysler am 6. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 48.155,93 Euro verurteilt ( 2 O 169/21). Das Urteil ist das erste Nicht-Versäumnisurteil im Abgasskandal von Fiat.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof in einem VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft über den Stand der Ermittlungen einholen.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat-Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Verschiedene Landgerichte geben derzeit Gutachten in Auftrag, um die Vorwürfe der Abgasmanipulation überprüfen zu lassen – darunter das Landgericht Saarbrücken zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia (Az. 12 O 18/21). Das Landgericht Ansbach will mit einem Gutachten herausfinden, ob „in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind“ (Az. 3 O 761/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden. Und Iveco gehört zum weitverzweigten Fiat-Imperium.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.
- Fiat Chrysler hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Einbau der sogenannten Zeitschaltuhr zugestanden. Der Einsatz des Timers führt dazu, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten ausgeschalten wird. Grund dafür: Die meisten Fahrten, so die Fiat-Anwälte, dauerten nicht länger als 22 Minuten.