Stellantis kassiert nächstes Versäumnisurteil
Das Landgericht Schwerin hat die juristische Aufarbeitung des Diesel-Abgasskandals von FCA weiter vorangetrieben. Die 1. Zivilkammer fällte ein Versäumnisurteil (Az. 1 O 143/21). Dr. Stoll & Sauer hat mittlerweile mehrere Urteil gegen Stellantis erstritten. Ein erstes Verfahren der Kanzlei befindet sich bereits in der Berufung am Oberlandesgericht Karlsruhe (Az. 14 O 333/20). Hier die wichtigsten Fakten zum aktuellem Urteil am Landgericht Schwerin:
- Der Kläger kaufte im September 2019 das Wohnmobil „T65“ des Herstellers Sunlight für 51.500 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 150 PS der Euronorm 6b ausgestattet. Motorkennung: F1 AGL411C
- Die Multijet-Motoren sind nach Ansicht der Kanzlei so konstruiert worden, dass die gesetzlich vorgeschriebene Abgasnachbehandlung ca. 22 Minuten nach jedem Motorstart deaktiviert wird. Da der Testlauf auf einem Abgasprüfstand nur ca. 20 Minuten andauert, führt die Deaktivierung der Abgasnachbehandlung dazu, dass in der Prüfungssituation der Anschein vermittelt wird, das Fahrzeug würde den für Fahrzeuge der Euro-6-Klasse gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgrenzwert für NOx-Mengen genügen. Tatsächlich beträgt das reale Abgas-Emissionsverhalten insgesamt das 19-Fache und übersteigt somit beträchtlich den Grenzwert. Darüber hinaus befindet sich im Motor ein Thermofenster, dass die Abgasreinigung über die Außentemperatur des Fahrzeugs regelt – sprich ausschaltet. Zu dem sind die Warnmeldungen der On-Board-Diagnose (OBD) manipuliert.
- Das Gericht folgte dem Antrag des Klägers. FCA/Stellantis ist verpflichtet, dem klagenden Verbraucher Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren. Den Streitwert legte das Gericht auf 51.500 Euro fest.
- Eine Nutzungsentschädigung legte das Gericht nicht fest.
- Das Urteil ist nicht rechtskräftig. In der Regel äußert sich der Beklagte Autobauer nach einem Versäumnisurteil zum Sachverhalt. Anschließend ergeht erneut ein Urteil des Gerichts.
Der Diesel-Abgasskandal bei Fiat-Chrysler (jetzt Stellantis) und Iveco verunsichern die Verbraucher gerade im Segment der Reise- und Wohnmobile. Für die kostspieligen Freizeitfahrzeuge ist jahrelang gespart worden. Seit Juli 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts des Betrugs. Die Abgasreinigung der Motoren soll vergleichbar wie beim Diesel-Abgasskandal der Volkswagen AG manipuliert worden sein. Die Rechtsprechung steht noch am Anfang bei der juristischen Aufarbeitung. Die Camper fragen sich, wie stehen tatsächlich die Chancen vor Gericht. Braucht es einen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), um erfolgreich juristisch Schadensersatz einzuklagen?
Die Verbraucher-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer macht klar, dass die Chancen sehr gutstehen, Autobauer vor deutschen Gerichten zur Rechenschaft zu ziehen und auch den Händler in der Gewährleistungsfrist zur Rücknahme des Fahrzeugs zu bewegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem verbraucherfreundlichen Beschluss bereits am 28. Januar 2020 (Az. VIII ZR 57/19) den Weg dazu bereitet. Das OLG Celle hat am 17. Februar 2021 in einem Beschluss ebenfalls die Sichtweise des obersten Gerichts unterstrichen (Az. 7 U 20/20). Hier die aktuelle Rechtsprechung von Dr. Stoll & Sauer kurz zusammengefasst:
- Eine Rückabwicklung eines Kaufvertrags in der Gewährleistung ist möglich, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet ist. Die unzulässige Abschaltvorrichtung ist ein Mangel am Fahrzeug. Zum Beweis ist nicht einmal ein Rückruf des KBA notwendig. Denn der BGH vertritt die Auffassung, dass „greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erst dann gegeben (sind), wenn das Kraftfahrtbundesamt (…) eine Rückrufaktion angeordnet hat. Die Gewährleistung dauert bei Neufahrzeugen zwei Jahre ab Übergabe des Fahrzeugs.
- Doch wie lässt sich der Sachmangel „unzulässige Abschalteinrichtung“ nachweisen? Für die schlüssige Darlegung eines solchen Mangels ist also nach der Rechtsprechung des BGH nicht einmal das Vorliegen einer Umrüstungsanordnung durch das Kraftfahrtbundesamt erforderlich. Natürlich braucht es einen substantiierten Klägervortrag. Doch gerade bei Fiat-Chrysler gibt es genügend Hinweise und Untersuchungen, die den Verdacht auf unzulässige Abschalteinrichtungen mehr als erhärtet haben.
- Wie sieht der BGH das Thema Mangel? Die Manipulation an der Abgasreinigung kann dazu führen, „dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung vornimmt, weil das Fahrzeug wegen einer gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht“. Also: Die mögliche Stilllegung des Fahrzeugs aufgrund einer unzulässigen Abgasmanipulation genügt, damit ein Mangel festgestellt werden kann.
- Hat der Autobauer durch falsche oder unvollständige Angaben die Typgenehmigung für das Fahrzeug erschlichen, liegt eine Täuschung des Verbrauchers vor. So hat der BGH im ersten VW-Verfahren am 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19) entschieden und VW wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
In der Gewährleistung raus aus dem Abgasskandal von Fiat-Chrysler
Um als geschädigter Verbraucher im Diesel-Abgasskandal von Fiat Chrysler/Stellantis und Iveco seine Ansprüche durchzusetzen, gibt es neben der Möglichkeit FCA zu verklagen auch die Chance, die Gewährleistung in Anspruch zu nehmen und so sein manipuliertes Fahrzeug zurückzugeben. Denn jeder Verkäufer ist verpflichtet, seinen Kunden die gekaufte Ware frei von Mängeln zu übergeben. Geschieht dies nicht, haben Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährleistung gegenüber dem Verkäufer (§§ 437, 438 BGB). Hier die wichtigsten Fakten zur Gewährleistung:
- Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits 2019 illegale Abschalteinrichtungen im Fall von VW als Sachmangel eingestuft. Dabei kann sogar die Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs am Ende des Verfahrens stehen. Auch dazu gibt es im VW-Fall genügend Beispiele und Urteile. Diese Rechtsprechung greift natürlich auch bei anderen im Abgasskandal verwickelten Herstellern wie Fiat-Chrysler und Iveco.
- Die Gewährleistungsdauer bei neu gekauften Waren – also auch Fahrzeugen - beträgt 2 Jahre. Bei der Gewährleistung ist es besonders unkompliziert, sein manipuliertes Fahrzeug loszuwerden. Der BGH hat 2019 illegale Abschalteinrichtungen als Sachmangel bezeichnet. Klagt der Verbraucher gegen Fiat-Chrysler, so muss er die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB erst noch nachweisen. Bei der Gewährleistung genügt das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, um ans Ziel zu kommen.
- Verwechselt darf die Gewährleistung nicht mit der Garantie werden. Eine Garantieist eine freiwillige Leistung - meist des Herstellers. Der Garantiegeber verpflichtet sich grundsätzlich zu einem bestimmten Handeln in einem bestimmten Fall. Die Erklärung einer Garantie ist freiwillig und dient dazu, das Vertrauen des Kunden zu stärken. Die Garantie beinhaltet also eine freiwillige Selbstverpflichtung des Herstellers oder des Händlers, die über den Kaufvertrag hinaus geht.