OLG München sieht Gefahr der Stilllegung von Wohnmobilen
Zwei Jahre nachdem die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die erste Klage gegen Fiat Chrysler im Wohnmobil-Abgasskandal eingereicht hat, erreicht der Skandal die Oberlandesgerichte. Bereits am 24. Februar 2022 kündigte das OLG Köln an, dass es beabsichtige, die Berufung von FCA gegen ein Urteil des Landgerichts Aachen zurückweisen zu wollen (Az. 28 U 55/21). Nun macht das OLG München in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer klar, dass FCA eine unzulässige Abschalteinrichtung im Wohnmobil Boxstar 600 Solution 4 von Knaus verbaut hat und damit dem Kläger Schadensersatz zusteht. Der Verbraucher, so das Gericht, sei von einer Stilllegung des Wohnmobils bedroht. Nach den Äußerungen des Gerichts ist von einer Verurteilung von FCA auszugehen. Für Landgerichte und Oberlandesgerichte wäre das Urteil ein Leitfaden, um selbst zu verbraucherfreundlichen Urteilen zu kommen. Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Fakten zum Verfahren am OLG München zusammen:
- Der Kläger kaufte im November 2019 das Wohnmobil „Boxstar 600 Solution 4“ des Herstellers Knaus gebraucht für 43.999 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 130 PS ausgestattet und verfügt über die Abgasnorm Euro 6b. Die Motorkennung lautet: F1AGL411D. Der Kläger verlangt von FCA die Rücknahme des Fahrzeugs sowie die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
- In dem Basisfahrzeug sollen nach Kenntnissen der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden sein. Eine Zeitschaltuhr beendet beispielsweise nach rund 22 Minuten die Abgasreinigung des Motors. Die Prüfstandkontrolle dauert etwas weniger als 22 Minuten. Darüber hinaus wird die Abgasreinigung auch über den Lenkradwinkeleinschlag und die Stellung des Gaspedals manipuliert. Das On-Board-Diagnosesystem muss ebenfalls manipuliert worden sein, ansonsten wäre dem System die Manipulation durch den Timer aufgefallen.
- Das OLG München stellte in seiner Verfügung vom 3. August 2022 Folgendes fest:
- Die Timerfunktion im Motor hat FCA nicht bestritten. Es handelt sich dabei nach Ansicht des Gerichts um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abschaltet und diese Zeit im Zusammenhang mit der Dauer der Prüfstandkontrolle steht, kann aus Sicht des Gerichts als sittenwidrig gewertet werden.
- Beim Thema Motorschutz, das von der Automobilindustrie gerne als Argument für die Abschalteinrichtung herhalten muss, verweist das OLG auf die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Ausnahmen seien grundsätzlich eng auszulegen. Allein auf die Schonung von Anbauteilen kann sich die Beklagte dabei nicht berufen (EuGH Urteil vom 14.07.2022, C-128-20 Rn. 70).
- Die Fahrzeuge unterliegen nach Meinung des OLG der „latenten Gefahr eines Rückrufs bzw. eines Widerrufs der Typengenehmigung“. Und das käme nach Ansicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer einer Stilllegung der Wohnmobile gleich.
- Das OLG München weist weiter daraufhin, dass es mehrere gleichartige Verfahren in einem kommenden Sitzungstag zusammenfassen möchte.
- Das Gericht geht bei der Ermittlung der Nutzungsentschädigung von einer Laufleistung von 300.000 Kilometern aus.
Mit zahlreichen Urteilen an Landgerichten und der aktuellen rechtlichen Würdigung des Oberlandesgerichts München ist die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals bei FCA/Stellantis erneut verbraucherfreundlich weitergekommen. Die Chancen auf Schadensersatz steigen derzeit enorm. Zudem ist am Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Verfahren anhängig, in dem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 2. Juni 2022 vorgeschlagen hat, dass Verbraucher generell Schadensersatz zustehen soll, sobald eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist (Az. C-134/20). Einen Vorsatz, wie ihn der Bundesgerichtshof verlangt, sei nicht erforderlich. Auch bei der Nutzungsentschädigung, die oftmals den Schadensersatz kompensiert, vertritt der EuGH-Generalanwalt eine andere Meinung als der BGH. Die Festlegung der Art und Weise der Schadensberechnung sei zwar Sache der Mitgliedstaaten; die Haftung müsse aber abschrecken und dem Effektivitätsgebot angemessen Rechnung tragen. Eine den (Kaufpreis-)Schaden ausschließende Anrechnung der Nutzung sei mit dem Unionsrecht deshalb unvereinbar. Hier bahnt sich eine neue Rechtsprechung an, an die sich auch der BGH halten muss. Die meisten Landgerichte und Oberlandesgerichte warten daher mit ihren Diesel-Urteilen ab, bis der EuGH entschieden hat. Der EuGH gilt generell als verbraucherfreundlich. Mit einer Entscheidung wird gegen Ende des Jahres gerechnet.
Daher rät die Kanzlei betroffenen Verbrauchern zur anwaltlichen Beratung. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.