Verbraucher haben ein Recht auf ein mangelfreies Neufahrzeug
Diesel-Käufer, die mit ihrem Autohaus um den Austausch eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagen streiten, haben am 8. Dezember 2021 Rückenwind aus Karlsruhe bekommen. Im vorliegenden Fall ging es am BGH um die Fragen, ob Verbraucher ein Recht auf Lieferung eines Ersatzfahrzeugs haben, obwohl die Möglichkeit zu einem kostengünstigen Software-Update bestanden hat und das neuzuliefernde Fahrzeug wesentlich teurer gewesen wäre als das streitgegenständliche Auto. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die das Verfahren betreute, fassen die wichtigsten Fakten und Bewertungen zum Urteil zusammen (Az. VIII ZR 190/19):
- Der BGH machte klar, dass Halter von illegal manipulierten Fahrzeugen innerhalb der gesetzlichen Gewährleistungsfrist Anspruch auf ein mangelfreies Ersatzfahrzeug haben.
- Der BGH entschied weiter, dass Händler Kunden nicht ohne Weiteres auf das sehr viel günstigere Software-Update verweisen können. Zahlreiche Autoexperten kritisieren bereits seit Jahren, dass Software-Updates bei manipulierten Fahrzeugen zu einer verringerten Lebensdauer führen können. Daher bewerten viele Experten und auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die Durchführung eines solchen Update nicht als Mangelbeseitigung, sondern als neuen Mangel.
- Neuwagen-Käufer hätten in den ersten zwei Jahren ein Recht darauf, dass ein Mangel „vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt“ werde. Befürchte der Kunde Folgeschäden durch das Update, sei es am Händler, solche Zweifel vor Gericht auszuräumen. Gegebenenfalls müsse ein Sachverständiger zurate gezogen werden, so der BGH.
- Den Anspruch auf ein Neufahrzeug haben Verbraucher auch dann, wenn das ursprünglich gekaufte Fahrzeug-Modell nicht mehr hergestellt und somit auch nicht mehr auf dem Markt erhältlich ist. Bei einer solchen Konstellation wird dann das Nachfolgemodell ausgeliefert. Und wenn das Nachfolgemodell wesentlich teurer ist als das ursprüngliche? Hier bringt der BGH die Möglichkeit einer Zuzahlung durch den Verbraucher ins Spiel. Aber nur, wenn der Listenpreis des neuen Fahrzeugs den Preis des alten Autos um mindestens 25 Prozent übersteigt. In einem solchen Fall müssen die Verbraucher eine Zuzahlung in Höhe von einem Drittel des Differenzbetrages leisten. Der Händler soll vor einem zu großen Schaden durch die Abwicklung des Skandals geschützt werden.
- Der BGH entschied nun, dass die Nachlieferung möglich ist und das Oberlandesgericht Braunschweig muss nun überprüfen, ob der Verbraucher eine Zuzahlung für das Neufahrzeug leisten muss (Az. 11 O 1170/17).
Um als geschädigter Verbraucher im Diesel-Abgasskandal von Fiat Chrysler/Stellantis und Iveco seine Ansprüche durchzusetzen, gibt es neben der Möglichkeit, FCA/Stellantis auf Rückabwicklung zu verklagen, auch die Chance, die Gewährleistung in Anspruch zu nehmen und so sein manipuliertes Fahrzeug zurückzugeben. Denn jeder Verkäufer ist verpflichtet, seinen Kunden die gekaufte Ware frei von Mängeln zu übergeben. Geschieht dies nicht, haben Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährleistung gegenüber dem Verkäufer (§§ 437, 438 BGB). Hier die wichtigsten Fakten zur Gewährleistung:
- Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits 2019 illegale Abschalteinrichtungen im Fall von VW als Sachmangel eingestuft. Dabei kann sogar die Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs am Ende des Verfahrens stehen. Auch dazu gibt es im VW-Fall genügend Beispiele und Urteile. Diese Rechtsprechung greift natürlich auch bei anderen im Abgasskandal verwickelten Herstellern wie Fiat-Chrysler und Iveco. Jetzt hat der BGH seine Rechtsprechung fortgeschrieben.
- Die Gewährleistungsdauer bei neu gekauften Waren – also auch Fahrzeugen - beträgt 2 Jahre. Bei der Gewährleistung ist es besonders unkompliziert, sein manipuliertes Fahrzeug loszuwerden. Der BGH hat 2019 illegale Abschalteinrichtungen als Sachmangel bezeichnet. Klagt der Verbraucher hingegen gegen Fiat-Chrysler, so muss er die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB erst noch nachweisen. Bei der Gewährleistung genügt das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, um ans Ziel zu kommen.
- Verwechselt darf die Gewährleistung nicht mit der Garantie werden. Eine Garantieist eine freiwillige Leistung - meist des Herstellers. Der Garantiegeber verpflichtet sich grundsätzlich zu einem bestimmten Handeln in einem bestimmten Fall. Die Erklärung einer Garantie ist freiwillig und dient dazu, das Vertrauen des Kunden zu stärken. Die Garantie beinhaltet also eine freiwillige Selbstverpflichtung des Herstellers oder des Händlers, die über den Kaufvertrag hinaus geht.
- Die Gewährleistung hingegen ist gesetzlich geregelt und ist daher ein wesentlich stärkeres Instrument im Verbraucherschutz.
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die Beweislast im WoMo-Abgasskandal gegen Fiat Chrysler mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Weit über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen aus dem Jahr 2021:
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof im Fall VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft einholen über den Stand der Ermittlungen der Zulassungsbehörde.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Das Landgericht Saarbrücken lässt ein Gutachten zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia einholen. Der Stickoxidausstoß soll überprüft werden (Az. 12 O 18/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.