Mama hält den Eimer wie einen Feuerlöscher bereit. Sie gießt nach. Und Vater rutscht gemächlich Zentimeter um Zentimeter horizontal unter die Wasserfläche. Bis zum Eichstrich. Er pustet und schnauft, liegt wie gelähmt und sagt friedlich: „So, Liesel, nun kannst du wieder heißes zutun.“
Bald wird er ganz still, atmet tief drei Morgen Fichtennadelwald, den wir in Tabletten eingekauft haben. Und plötzlich geschieht etwas: Papa lächelt, mein Papa lächelt! Dazu hat er selten Zeit. Sein Gesicht ist immer im Dienst.
Das alles läuft jeden Freitag so ab. Auch an jenem Freitag, von dem ich erzählen will, war es nicht anders.“ Mit diesen lustigen Sätzen beginnt ein Kultbuch der mittleren DDR, das erstmals 1964 erschienen war, als die Regierung des kleineren deutschen Staates und ihre Anhänger, deren Zahl damals wahrscheinlich noch viel größer war als zu späteren Zeiten, den 15. Jahrestag der Gründung der DDR feierten – aus der mittleren DDR eben. Dieses Buch, das in der DDR in mehreren Auflagen erschien und schon kurze Zeit später von der DEFA für das DDR-Fernsehen verfilmt (Regie: Klaus Gendries) und zwischen September und Dezember 1965 in sieben Folgen erstausgestrahlt wurde. Dieses damalige Kultbuch mit dem bald sprichwörtlich gewordenen Titel steckt im zweiten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 02.06.23 – Freitag, 09. 06. 23) zu haben sind.
Autor Kurt David, von dem auch alle anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters stammen, formulierte in „Freitags wird gebadet“ zwar im heiteren Gewand, aber dennoch deutlich Kritik an manchen Zuständen und Verhaltensweisen in der damaligen mittleren DDR Mitte der 1960er Jahre. Der literarischen Vorlage von Kurt David ist ein Zitat vorangestellt, mit dem das Tagebuch des jugendlichen „Helden“ Heinz endet: „Wir sind so, wie ihr uns werden lasst; wir können aber nicht so sein, wie ihr wart”. Dieses fast philosophische Motto zieht sich wie ein Leitfaden durch die einzelnen Folgen dieser Serie. Heinz nimmt sie in seinen Niederschriften alle aufs Korn und hält ihnen einen Spiegel vor: seinen Eltern, den Nachbarn und Lehrern, anderen Erwachsenen. Denn Heinz erkennt, dass die Erwachsenen oft Dinge von Kindern einfordern, die sie selbst nicht so vorleben. Zum Beispiel: Wenn der Vater von Heinz fordert, ihn am Telefon zu verleugnen, aber andererseits von ihm stete Ehrlichkeit verlangt. Oder was ist mit Alkohol, der doch eigentlich die Gesundheit schädigt und den die Erwachsenen in „froher Runde“ doch konsumieren, so wie Vater Richard, der eines Abends mit einem großen Teddybär und einem noch größeren „Affen“ zur Familie zurückkehrt? Da kommt es also zu Situationen, in denen Heinz vor allem seinem Vater immer mal wieder einen kleinen moralischen Hieb verpassen muss. Den minderjährigen Tagebuchschreiber spielte damals vor nunmehr fast sechs Jahrzehnten Berndt Siegmundt, von dem man später allerdings nie wieder etwas gehört hat. Als seine Eltern waren zwei namhafte DDR-Schauspieler zu sehen: Jochen Thomas als Vater Richard und Helga Raumer als Mutter Liesl.
Wie schon gesagt stammen auch die anderen vier Sonderangebote der heutigen Post aus Godern von Kurt David. Die Erzählung „Der Granitschädel“ aus dem Jahre 1960 thematisiert den sozialistischen Frühling auf dem Lande und die Entwicklung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und derjenigen, denen diese Entwicklung nicht gefiel – wie zum Beispiel Alois Heckenbock. Aber wieso?
Auch der ebenfalls erstmals 1960 erschiene Kriminalroman „Der goldene Rachen“ hat die Auseinandersetzungen um die damals noch jungen LPGs zum Hintergrund: Zwei scheinbar voneinander unabhängige Kriminalfälle lassen den Fichtensteiner Kriminalisten keine Zeit für ihre Familien.
In „Antennenaugust“ von 1970 verursacht ein kleiner, anfangs schutz- und hilfloser Mäusebussard ungeahnte Probleme. Dabei ist ein richtiger Name für das Tier noch das geringste von allen. Und schon bald wird er „August“ genannt.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Erneut geht es heute um den Zweiten Weltkrieg, wie es dazu kommen konnte und wie unterschiedlich sich Menschen in Entscheidungssituationen verhalten.
Erstmals 1959 veröffentlichte Kurt David im Kinderbuchverlag Berlin „Der erste Schuss“. Als die Russen kurz vor der Stadt stehen, werden die 14- bis 16-jährigen Jungen zum Volkssturm eingezogen. Peter und IMI-Max waren früher Freunde. Doch Peters Vater ist mitschuldig daran, dass der Vater von Max hingerichtet wurde. Peter schämt sich dafür, aber Max sorgt dafür, dass die Freundschaft wieder auflebt. Doch Peter kneift schließlich, als beide zu den Russen fliehen wollen. Peter muss sich entscheiden, als der Hauptmann mit der Pistole auf die Mutter von Max zielt.
Noch ist es nicht so weit, die Jungen bereiten sich erst auf den Kriegseinsatz vor:
„Und ich hab überhaupt gar kein Gewehr nicht – ich werd den Feind mit der bloßen Hand erwürgen!“, schrie plötzlich Schmiedchen über den Hof. Er stand am linken Flügel und trug einen dicken Verband um den Kopf.
Lind trat eilig an den Major heran und wollte eine Erklärung abgeben, aber der Major schrie gereizt: „Warum hat der Mann kein Gewehr?“
Lind halblaut zu dem Major: „Er ist nicht ganz normal, gestatten Herr Major, das zu bemerken.“
„Heut muss jeder eine Waffe haben, jeder – ob“, er wollte sagen: Ob normal oder nicht, aber ihm fiel ein, dass das sonderbar klänge. Er sagte: „Dem Mann ein Gewehr, dalli!“
„Jawohl, Herr Major.“ Lind wandte sich an Gellert: „Sofort dem Mann ein Gewehr.“ Gellert grinste.
Der Major schritt auf die Einheit zu, ließ sich ein Gewehr geben, riss den Verschluss auf, nahm das Schloss heraus, guckte durch den Lauf. „Waffe gut gepflegt“, bemerkte er. Das Gewehr gehörte Peter.
„Der Mann ist äußerst zuverlässig“, bemerkte der Einäugige.
„Nur – wie – den Knopf, den machen wir zu“, quetschte der Major sanft heraus.
Peter schloss ihn. Es entging dem Major, dass IMI-Max, Klose, Finger, Breitkopf und Dahlert auch schnell die Knöpfe schlossen.
Der Major fasste nach einem anderen Gewehr. Prüfte und bemerkte nach einer Weile: „Gut so – eine einwandfreie Waffe ist die beste Lebensversicherung“, und ging weiter. Endlich langte er beim Koch an. Lind, der an die Schnitzel dachte, die ihm der Koch extra briet, bemerkte vor der Kontrolle: „Unser Koch, Herr Major! Alt, gewissenhaft, zuverlässig und tüchtig!“ Der Major verzog das Gesicht. Er konnte es nicht ertragen, wenn man ihm vorschrieb, wer da gewissenhaft und zuverlässig war. Das bestimme immer noch ich, dachte er. Der Koch wiederum hatte ein reines Gewissen. Er lächelte süßlich, und sein Hängebackengesicht glänzte fettig in der Sonne.
Der Major setzte plötzlich die Brille ab, ging nahe mit dem Auge an das Gewehr heran, als habe er etwas entdeckt. Er sagte: „Nun sehen Sie sich das mal an, Hauptmann! Das Gewehr eines gewissenhaften, zuverlässigen und tüchtigen Koches, wie? Mann!“ Er wandte sich an den verdutzten Koch. „Sie sind wohl nicht mehr normal? Zieleinrichtung verbogen, Kastenbodenfeder verloren! Vortreten, Sie Suppenwürfel aus Mist!“
Der Koch schaute verdutzt auf den Major, als hätte eine Granate unvermutet eingeschlagen. Er riss den Mund auf. Es kam nichts heraus. Hinter ihm stand Schmiedchen. Schmiedchen lächelte in sich hinein. Geschieht dir recht, du Schmierer, dachte er. Dann trat er dem Koch in den Hintern und schrie: „Vortreten, du schlechter Waffenpfleger des Führers. Der Herr Major hat es befohlen, du Vaterlandsverräter!“ Ausgerechnet zu diesem alten Nazi sagte Schmiedchen ,Vaterlandsverräter‘!
Der Koch flog durch den Tritt vors Glied, torkelte, stand still und sagte kleinlaut: „Also – ich – wie – also.“
„Schweigen!“, brüllte der Major. „Ich könnte Sie in der jetzigen Lage erschießen lassen, Sie Trauerfigur. Der Feind steht vor der Stadt, Ihr Gewehr ist unbrauchbar! Ich kann sagen, dass Sie das Gewehr absichtlich kaputtgemacht haben, schon hängen Sie dort drüben am Balken, Sie Lump!“
„Niemals absichtlich!“, schrie der Koch.
„Mund halten! Das bestimme ich, verstanden!“
„Jawohl, aber …“
„Aber – das Wort ist bei uns verboten!“, brüllte der Major und fuhr sich mit der Hand über sein zersäbeltes Gesicht.
Nur nicht aufhängen, dachte Peter mit Schrecken, wegen mir und IMI-Max einen aufhängen, nein, gewiss, er hat sehr schlecht an Schmiedchen gehandelt, sehr schlecht, aber aufhängen sollen sie ihn nicht.
Der Major winkte einen von seinen Leuten heran. „Sachen packen“, sagte er zum Koch, „Sie werden strafversetzt. Zu einer Einheit, wo man ohne Waffen kämpft – Minen räumt, Blindgänger entschärft! Dort werden Sie erst mal schätzen lernen, was es heißt, eine Waffe zu haben, klar?“
„Nein“, jammerte der Koch.
„Ob Sie verstanden haben, Sie Jammergestalt?“
„Jawohl!“
Sie brachten ihn zum Wagen.
„Wo wir jetzt jedes Gewehr brauchen, macht dieser Larifari von Koch eins kaputt“, schrie Schmiedchen. Lind blickte ihn zornig an.
„Recht hat der Mann“, sagte der Major und neigte sich zu Lind, flüsterte: „Sagten Sie nicht, der ist nicht normal? Er spricht doch vernünftig. Unterschätzen Sie Ihre Leute nicht so, Hauptmann.“
„Man muss sich mal vorstellen“, brüllte Schmiedchen, „jeder würde sein Gewehr kaputtmachen. Der Russe würde sich eins feixen, der Führer weinen – wo der Führer so schon so viel Ärger mit uns hat, wenn unsere Truppen dauernd zurücklaufen müssen.“
„Still, Schmiedchen“, warnte der Hauptmann.
„Lassen Sie ihn doch aussprechen. Interessiert mich, was solche Menschen für Qualitäten entwickeln, wenn es um Sein oder Nichtsein geht, Hauptmann“, flüsterte der Major.
Lind kochte vor Wut. Er dachte: Da habe ich ihn die Treppe hinuntergetreten und vermutete, der macht seine Schnauze nie mehr auf, jetzt quatscht er mir weiter dusslig!
„Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem Mann, der trotz seiner Kopfverletzung weiß“, sagte der Major, „worum es heutzutage geht, wie man sich zu verhalten hat.“ Dazu muss gesagt werden, dass der Major annahm, mit Kopfverletzung sei eine Verwundung vom Kriege gemeint, denn er sah den Kopfverband bei Schmiedchen.
„Freitags wird gebadet“ von Kurt David erschien erstmals 1964 im Eulenspiegel Verlag Berlin. Erfreuen Sie sich an einem weiteren Ausschnitt des bereits am Anfang ausführlich vorgestellten Buches:
„Richard, ich muss mit dir was bereden“, sagte Herr Haußmann.
Papa blickte mich entgeistert an und meinte zu meinem Lehrer: „Hat er was ausgefressen bei dir?“
„Ach was, es geht mir um den Deutschunterricht. Du weißt ja selber, Richard, unsere Dorfkinder sprechen schlecht, und wer schlecht spricht, schreibt falsch.“ Auf das schlechte Sprechen ging Papa vorsichtshalber nicht erst ein. „Wie viel Fehler macht er denn da so, mein Lieber?“
Herr Haußmann fragte mich nach dem letzten Diktat.
„Acht.“
„Das ist der Gipfel“, schimpfte Papa, „acht Fehler.“ Er packte mich mit seinen Augen, dass wir eine ganze Zeit nicht voneinander loskamen.
„Ich hab Kinder in der Klasse, Richard“, sagte Herr Haußmann, „die machen in dreißig Wörtern fünfundvierzig Fehler.“
Das interessierte Papa überhaupt nicht, Papa interessierten lediglich meine acht Fehler. Und wenn die andern bloß Fünfen schreiben, für mich gilt nur eins: keine Fehler machen.
„Acht! Das wird anders werden, Heinz, ganz anders, verlass dich drauf“, drohte Papa.
„Deshalb komme ich zu dir, Richard.“
„Schönen Dank, Werner.“
„Du sollst mir nämlich dabei helfen, Richard.“
„Darauf kannste dich verlassen, Werner!“ Und zu mir gewandt, befahl er: „Zunächst fällt ab sofort Kino und Fußball weg, klar?“ Ich nickte vor Schreck.
Papa tat nun so, als wäre das Thema beendet. Er schien zu denken: Haußmann hat mir das von den acht Fehlern gesagt, ich habe meine Sofortmaßnahmen getroffen und eine empfindliche Strafe verhängt.
Doch hier irrte Papa; denn mein Lehrer blieb sitzen. Obwohl Herr Haußmann unsere Klasse erst vor kurzem übernommen hatte, wusste ich, dass er sich mit so einem Ergebnis nicht zufriedengab.
„Und da komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen, Richard“, sagte er.
Ja, auf Herrn Haußmann ist Verlass. Genauso ist er in der Schule. Wenn wir ihn etwas fragen, und er weiß es mal nicht, sagt er ungeniert: „Da seh ich zu Hause nach.“ Und dann sieht er nach und sagt es uns. Schließlich kann ein Lehrer nicht alles wissen; und die so tun und auf alles eine Antwort haben, mögen wir nicht, weil sie uns nicht ernst nehmen und manchmal beschummeln. Herr Haußmann nimmt uns ernst. Er hat auch schon mit unter der Prominentenpalme gestanden. Und nun also hatte er ein Anliegen.
„Heinz!“ Papa winkte mich mit einer energischen Kopfbewegung aus der Stube. Sicherlich vermutete er, dass ihm Herr Haußmann noch einige Geheimtipps geben werde, die ihn befähigten, mir gutes Deutsch beizubringen. Ich verließ die Stube, öffnete die Korridortür, schloss sie wieder, ohne hinausgegangen zu sein, und schlich in die Küche.
Wir haben nämlich einen Guckofen, der in der Wand zwischen Stube und Küche steht. Und der Guckofen hat eine Röhre. Stellt man in der Küche einen Topf in die Röhre, kann man ihn in der Wohnstube herausnehmen. Hätten wir keinen Guckofen, könnte ich das folgende Gespräch nicht in mein Tagebuch eintragen, und damit wäre die Geschichte unvollkommen.
Von nun an übertrug mir die Ofenröhre die weitere Unterhaltung.
„Richard, Kino und Fußball allein machen‘s nun auch wieder nicht.“
„Du meinst, ich müsste mir noch eine strengere Bestrafung einfallen lassen?“
Natürlich, dachte ich, Papa ist immer für Steigerungen. Am liebsten hätte ich durch die Röhre gerufen: „Wie wär‘s mit Daumenschrauben und Kompottentzug?“ Dafür blieb Herr Haußmann vernünftig und sagte: „Ich will einen Deutschzirkel einrichten, mein Lieber, und zwar eine Stunde in der Woche. Wärst du einverstanden?“
„Und ob“, frohlockte Papa, „meinetwegen drei Stunden, Werner, oder vier!“
Herr Haußmann lachte. „Hast du denn so viel Zeit, Richard?“
Beinahe hätte ich jetzt laut gelacht.
„Wieso das?“, fragte Papa misstrauisch.
„Ich meine natürlich einen Deutschzirkel für die Eltern. Mir geht‘s um die Eltern. Sie will ich in die Lage versetzen, ihren Kindern helfen zu können.“
„So.“
Und nun schwieg meine Röhre eine Zeit lang. Papa schien die Sache überhaupt keinen Spaß mehr zu machen. Er musste sich erst umstellen. Bisher hatte er sich kühn mit Herrn Haußmann auf einer Linie gehalten, aber nun, das wusste ich, schaltete er um auf Verteidigung.
„Also, da soll ich Deutsch lernen! Ideen hast du! Nächste Woche kommt vielleicht einer und verlangt, dass ich Russisch herumquatsche, was?“
„Bleib doch mal sachlich, Richard.“
„Deutsch“, schimpfte Papa. „Bisher bin ich mit meinen Deutsch ganz gut ausgekommen.“
„Mit meinem Deutsch, heißt das, Richard.“
„Ach, nein so was, nun fängt der Herr Lehrer wohl schon mit der ersten Nachhilfestunde an?“
Wenn Herr Haußmann so weitermacht, dachte ich, schafft er ihn. Dass Papa so weitermacht, dessen war ich sicher. Denn bisher habe ich in meinem Tagebuch die Sprache meines Vaters immer ins Deutsche übersetzt. Dazu war ich natürlich in dieser Eintragung nicht bereit.
„Überleg dir‘s mal in Ruhe“, bat Herr Haußmann. „Von acht Leuten hab ich die Zusage.“
„Und die wollen alle von dir Deutsch gelernt bekommen?“
Die Erzählung „Der Granitschädel“ erschien erstmals 1960 im Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale). Birkenbach ist ein DDR-Dorf mit einer noch jungen LPG. In freiwilligen Arbeitsstunden haben die Bewohner die Waldlichtung als Koppel eingezäunt. Doch am nächsten Morgen sind alle Pfähle herausgerissen. Riedel-Radel ärgert sich, denn mit seinen 70 Jahren fiel es ihm nicht leicht, beim Setzen der Pfähle zu helfen. Auf eigene Faust macht er sich auf die Suche nach dem Täter und ertappt ihn dabei, wie er nachts heimlich die Pfähle wieder einsetzt. Es ist Alois Heckenbock, dem die Wiese einst gehörte, bevor sein Sohn in die LPG eintrat. Und genau der LPG wollte er schaden.
In dem folgenden Ausschnitt lernen Sie Riedel-Radel kennen, der unbedingt den Täter fassen will:
Riedel-Radel saß in der ‚Linde’ und aß eine Suppe zu Mittag. Das kam einer Sensation gleich. Der Wirt war deshalb sehr darum bemüht, von Gustav zu erfahren, was diesen ausgerechnet an einem Wochentag zum Mittagessen in die ‚Linde’ lockte; denn das war einfach noch nie dagewesen. Hier aßen täglich zwei Leute zu Mittag, die im Dorfe arbeiteten, aber in der Stadt wohnten. Der Wirt, er hieß Heinrich Tietze, war auf Sondergäste nicht vorbereitet. Und dass ein Bewohner des Dorfes mittags in der ,Linde’ aß, nein, das geschah ganz selten, und dazu waren schon besondere Umstände nötig, wie etwa Krach mit der Frau oder das Umsetzen eines Ofens und ähnliche Dinge.
Gustav dagegen, der dem Wirt die Neugierde vom Gesicht las und seine Freude darüber nicht ganz verstecken konnte, sagte unbekümmert: „Hatte heut keine Lust zum Kochen. Immer selber den Fraß brutzeln, das langweilt, Heinrich.“ Der Wirt glaubte ihm das natürlich nicht. Wenn Gustav sich 364 Tage im Jahr das Essen selber braute, warum ausgerechnet an diesem Tage nicht? Misstrauisch beäugte er den sonderbaren Gast.
„Gibt’s was Neues?“, fragte Gustav und löffelte gemächlich seine Suppe.
„Nein!“ (Es gab etwas. Der Pastor war von den letzten vier Stufen der Kanzel gestolpert und hatte sich den Fuß verknackst. Aber der Wirt dachte: Gerade nicht!)
„Wie war denn der Skat gestern Abend?“, fragte Riedel-Radel, fischte mit dem Löffel Speckstückchen aus der heißen Suppe und vermied, den Wirt anzusehen.
„Wie immer!“
Der Wirt zündete sich eine Zigarre an und blies den Rauch durch die Nase.
„War der Grundelmann-Bauer da, hat er mitgeskatet?“
„Weiß ich nicht. Meine Frau hat bedient!“
„Der Heckenbock-Alois?“
„Weiß ich nicht, Gustav.“
Der will mir’s bloß nicht sagen, dieser verdammte Bierhahnwächter, dachte Gustav und aß noch langsamer. Er blies den Dampf vom Suppenteller und rührte immer wieder im Teller herum.
„Wenn der Skat wie immer war, musst du es ja wissen, nicht?“, bohrte Riedel-Radel.
„Meine Frau hat mir’s erzählt.“
Das lügt er, dachte Gustav. Das wäre ja der erste Skat gewesen, an dem er nicht teilgenommen hätte.
Von Heinrich Tietze, dem Wirt der ‚Linde’ in Birkenbach, stammte nämlich der Ausspruch: Wenn ihr an meinem Begräbnis nicht einen anständigen Skat kloppt, stehe ich wieder auf und spiel mit euch Ludern um die Ganzen!
„Der Schmetterlings-Gribolin hat auch mitgespielt?“, fragte Gustav und schob den leeren Teiler beiseite.
„Warum willst du das nun wieder wissen?“
„Weil der immer heult, wenn er verliert!“
„Er war nicht hier“, sagte Tietze und meinte, der Gribolin sei sicher im Walde gewesen. „Der jagt doch seit Wochen schon nach so einem Santamifangomorfino oder wie das Zeug heißt.“
„Nach wem?“
„Na, nach so einem Schmetterlingsvieh, so einem Santamifangomorfino, halt so ein lateinisches Biest!“ Der Wirt räumte den Teller vom Tisch. Riedel-Radel wollte bezahlen und sagte: „Eine Suppe – und dann bring mir noch einen Leichenzug – was macht der Schaden?“ „Einsdreiundsechzig.“
Unter ‚Leichenzug’ verstand man in Birkenbach ein helles Bier, einen weißen Korn und einen Kräuterschnaps.
„Kommst du morgen wieder zu Mittag? Da richt’ ich mich drauf ein!“, foppte der Wirt.
„Das kann sein oder auch nicht sein, je nach – na ja, also, wenn ich wieder keine Lust habe zum Kochen, da komme ich!“
Gustav ging.
Gribolin – du Aas!
Nein, also meine Vermutungen sind immer richtig.
Er beachtete nicht die Leute, die an ihm vorübergingen und grüßten. Und er grüßte vor lauter Gedankenwirrwarr nicht wieder.
Der Kriminalroman „Der goldene Rachen“ erschien erstmals 1960 im Verlag Neues Leben Berlin. Er spielt in einer politisch schwierigen Situation in der DDR. Die Großbauern wehren sich mit allen Mitteln gegen die LPG, während die Genossenschaften immer besser wirtschaften.
Zwei scheinbar voneinander unabhängige Kriminalfälle lassen den Fichtensteiner Kriminalisten keine Zeit für ihre Familien. In der Fichtensteiner Fischergasse, die für jeglichen Fahrzeugverkehr gesperrt ist, wird die junge Beiköchin des Hotels „Stadt Dresden“ Opfer eines tödlichen Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht. Oder war es Mord?
Am selben Tag werden in der LPG „Frohe Zukunft“ die Kühe mit Arsen vergiftet. Gibt es einen Zusammenhang? Eine Belohnung ist ausgeschrieben:
„1000 DM Belohnung“, las ein Mann laut und rief seinem Kollegen zu: „Erich! 1000 muntre Sachen kannste kassieren, komm mal rüber!“
Das geschah früh Punkt 6 Uhr in der Fichtensteiner Bahnhofstraße. Hier hing in einem rotgestrichenen Holzkasten die neueste Ausgabe der Kreiszeitung. Viele Arbeiter, die zu den Frühzügen oder ins Rehfelder Kraftwerk wollten, standen vor der Bekanntmachung.
„Ja ja, die Autofahrer“, sagten sie oder: „Hübsches Mädchen, die auf dem Bild – wer weiß, was dahintersteckt.“
Ein junger Elektriker mit blassem Gesicht – er trug ein zusammengerolltes Kabel über der Schulter – meinte: „Mensch, die hab’ ich bestimmt schon mal gesehen, weiß bloß nicht, wo!“
„Kannst dir immer fünfzig Mark anzahlen lassen, Egon“, meinte ein anderer und biss in eine verschrumpelte Birne. Der Saft troff an den Mundwinkeln herab.
Je mehr Leute vor dem Kasten standen, desto mehr kamen noch herbeigeeilt. Selbst diejenigen kamen, die in den anliegenden hohen grauen Häusern wohnten. Sie stellten sich neugierig und auf Zehenspitzen schaukelnd vor die Zeitung.
Über die Menge hinweg schrie einer: „Oskar, haste denn noch dein Glasooge?“
Alle schauten zu Oskar, der erschrocken nach seiner Augenprothese griff. Verwunderte Gesichter staunten ihn an.
„Hier steht nämlich in der Anzeige: ,Glasauge gefunden – abzuholen im Fundbüro Fichtenstein‘, Oskar.“
Da alle nur die Bekanntmachung „1000 DM Belohnung“ gelesen hatten, war ihnen der Hinweis im Anzeigenteil völlig entgangen. „Glasauge gefunden“ lasen nun auch die anderen. Die Anzeige stand fett gedruckt zwischen einem „Hausverkauf auf Rentenbasis“ und dem Angebot eines Opel „Olympia“ zum Taxpreis.
„Ihr wollt mich bloß veräppeln“, sagte Oskar, wühlte sich ärgerlich durch die grinsende Menge und lief schnellen Schrittes zum Bahnhof. Die ihn so ungehörig gefoppt hatten, eilten hinterher, und der eine bot ihm reuig Zigaretten an. „Also Oskar, das war bloß’n Ulk, musst nicht gleich so übelnehmend sein.“
„Ulk! Guckt ihr erst mal fünfzehn Jahre mit eenem Ooge, da werdet’s schon sehen, was Ulk ist!“
Die erste Person, die im Polizeikreisamt an die Tür mit der Nummer 2 klopfte, war eine am Stock gehende Frau.
„Ich komme wegen der 1000-Mark-Sache“, sagte sie und zog den Knoten ihres schwarzen Kopftuches am Hals fest zusammen, als wollte sie dadurch den Ernst ihrer Worte unterstreichen. Gemächlich stellte sie den Stock an Bärs Schreibtisch, während der Oberleutnant ihr einen Platz anbot.
„Dann schießen Sie mal los, gute Frau“, sagte Bär, ließ sich Namen und Adresse sagen und malte Männchen aufs Papier.
Die Frau wollte zunächst einmal wissen, ob das auch vertraulich behandelt würde, wenn sie etwas sage. Der Oberleutnant versprach ihr das.
„Es ist nämlich so“, begann die Frau, „bei mir im Hause, Sie wissen, ich habe das Grundstück von meiner seligen Schwester geerbt, wohnt ein Herr Franz Punkert, Punkert mit P wie Pudel. Er handelt mit Seife und Waschmitteln und hat viele Vertretungen. In Wirklichkeit bummelt der nur, säuft und hat’s mit Weibsbildern, und dann der Krach immer nachts, wissen Sie, mein je – so ein Krach, man kann ja nicht schlafen …“
„Also Punkert, Geilertstraße 7b?“
„Ganz richtig, also das haben Sie schon notiert. Und was sage ich, der brüllt einen an und schnauzt, und wenn man was sagt, brüllt er noch mehr und meint: Sie alte Schachtel, das Haus gaunre ich Ihnen noch ab! Und das sagt er zu mir alleinstehenden Frau, …“
„Moment mal, Frau Patzelt“, unterbrach Jähnig den Redefluss der alten Dame. „Sie wollten also etwas wegen der Bekanntmachung in der Zeitung sagen, nicht?“
„Richtig. Man kommt ja ganz durcheinander, Zeitung, also der Punkert, sehen Sie mal, da dachte ich nun, in der Nacht, wo das Unglück passiert ist mit der Piltz, da war er gar nicht im Hause, ich konnte ja nicht schlafen.“
„Aber wenn Punkert nicht zu Hause war, konnten Sie doch schlafen, da war doch Ruhe, Frau Patzelt.“
„Denken Sie! Wenn er mal nicht da ist, hab’ ich auch wieder keine Ruhe, da denk’ ich: Nanu, was ist denn heute los, heut ist es ja so still, warum ist es denn so still, ob er nicht wieder etwas ausheckt, wenn es so still ist? Es muss ja einen Grund haben, wenn es so ruhig im Hause ist, nicht?“
„Antennenaugust“ erschien erstmals 1970 in Der Kinderbuchverlag Berlin.
„Ich hab was für dich! Du wirst staunen, Junge!“, sagte Herr Buchholz. Er faltete behutsam das graublaue Tuch auseinander. Da hockte ein Tier, das noch gar nicht wie ein Tier aussah, eher einer Kugel braunweißgesprenkelter, flauschiger Wolle ähnelte. - In diesem Moment ahnte noch keiner, welche Probleme der kleine Bussard einmal in das Dorf bringen würde; vorerst brauchte er Schutz und Hilfe:
Nicht nur Frau Kalunke war es, die uns Fleisch brachte, und nicht nur Herr Buchholtz, der uns drei Eier auf den Tisch gelegt hatte. Unsere Nachbarn zeigten sich August gegenüber durchweg sehr großzügig. Natürlich hätten wir ihn auch allein satt bekommen, doch als die Zeit heranreifte, da er lieber Sperlinge und Mäuse fraß, musste ich mich nach Hilfe umsehen, nach Lieferanten gewissermaßen, die mich mit ziemlicher Regelmäßigkeit unterstützen konnten.
Zum Glück befand sich unter den Zuschauern am Zaun ein Taxifahrer aus unserem Dorf, ein jüngerer, kleiner Mann mit einer Zigarre im Mund – ich erwähne die Zigarre, weil ich ihn nie ohne Zigarre gesehen habe –, der zu mir sagte: „Gib mir einen Beutel mit; was du für den brauchst, lese ich von der Landstraße auf und bring es dir!“ So einfallsreich war der Mann. Er muss eine Vorliebe für Bussarde gehabt haben. Welch fremder Mensch übernimmt schon so eine Aufgabe und sammelt verunglückte Spatzen? August brauchte mindestens vier Stück am Tag. Später verlangte er sechs. Den mausetoten Spatzen zertrümmerte er überflüssigerweise mit dem Schnabel den Schädel, und bevor er sie verspeiste, rupfte er sie so sorgfältig, bis sie federlos und nackt im Gras lagen. Mäusen gegenüber verhielt er sich freundlicher. Sie würgte er ohne jede Zubereitung im Ganzen hinunter.
Mutter hatte für diese Art von Mahlzeiten kein Verständnis und lief jedes Mal mit geschlossenen Augen und seltsame Laute ausstoßend davon. Mit Vergnügen erinnerte sie sich der mühevollen Verfütterung von Eiern. „Das war schön“, sagte sie, „da war er noch klein, niedlich und unbeholfen.“ Hin und wieder versuchte sie daher, Augusts heftige Lust, Spatzenschädel zu zertrümmern und Mäuse komplett zu verschlingen, einzuschränken, wenn nicht gar abzugewöhnen: Sie kaufte ihm beim Fleischer Koteletts. „Aber bitte ohne Fettrand“, fügte sie hinzu.
August reagierte wie ein Mensch, dem man plötzlich statt Koteletts nackte Sperlinge serviert. Er veranstaltete ein Geschrei auf der Wiese, mit dem er zumindest die Männer und Kinder auf seine Seite brachte. Die fanden es natürlich, dass sich August auf Mäuse und Spatzen spezialisiert hatte. Ich übrigens auch. Mutter aber kippte die Straßenausbeute des netten Taxifahrers weg und legte August heimlich Koteletts hin. Das erfuhr ich sofort. August kam mir eines Mittags entgegengelaufen, zerrte ein Kotelett über die Gehwegplatten vor meine Füße und jammerte los. Was mir bisher nicht gelungen war, gelang Herrn Buchholtz, der Mutter wissenschaftlich fundiert auseinandersetzte: „Lassen Sie das, sonst gewöhnt er sich zu sehr an Haus und Mensch, ist zu guter Letzt kein echter Bussard mehr und wird später keinen Anschluss im Walde finden; denn dort gibt’s ja keine Koteletts!“
Wir werden noch sehen, dass an diesem Satz nur stimmte: Im Wald gibt’s keine Koteletts!
Mutter jedoch achtete Herrn Buchholtz’ gut gemeinten Rat, stellte die Geheimaktion „Koteletts ohne Fettrand für August“ ein und konnte so wenig wie Herr Buchholtz und ich ahnen, dass unser Bussard wissenschaftliche Erkenntnisse total missachten würde.
Fortan mied sie jede Beteiligung an Augusts Spatzen- und Mäusemahlzeiten. Nicht einmal die Tüte mit der Aufschrift „Zentrum-Einkauf macht Freude“ nahm sie dem Taxifahrer mehr ab. Wenn ich nicht anwesend war, musste er sie mit den toten Vögeln im Schuppen abstellen. Das tat er allerdings, ohne zu murren. So groß war seine Liebe zu unserem Bussard.
Am fünfzigsten Tag brachte er einen gelben Luftballon mit: „Pass auf, Junge, ich hab eine Idee! Wir bringen August das Fliegen bei.“
„Mit dem Ballon? Im Wald hat er auch keinen Luftballon und fliegt, wenn er fliegen kann?“
„Gewiss, aber wir wollen erreichen, dass er eher fliegt, nicht?“
Mir leuchtete nicht ein, wie ein Bussard fliegen sollte können, wenn er noch gar nicht fliegen kann, war jedoch neugierig, was der Mann mit dem Ballon anstellen wollte. „Wir werden ihn reizen, seine Fluglust forcieren!“
„Forsieren? Was ist denn das?“
Nachdenklich lutschte er an seiner Zigarre. „Forcieren? Forcieren ist eben, das ist, wenn man was forciert“, statt weiterer Worte krochen dicke Rauchwolken aus seinem Mund, „da geht es schneller, wenn man’s forciert.“ Er schien mit seiner Auskunft nicht völlig zufrieden zu sein, sah sich etwas im Hof um, erblickte unsere Leiter, stieg auf ihr zum Schuppendach hinauf. „Ich zeig dir’s gleich“, rief er von oben, und plötzlich krachte es. Die gelben Fetzen des zerplatzten Ballons segelten vom Dach.
„Das ist forcieren?“
„Quatsch; ich bin mit der Zigarre drangekommen!“
Und ich hatte fast vermutet, das gehöre zu seinem Programm. Auf solche Pannen schien er gut vorbereitet zu sein. Er holte einen neuen Ballon hervor, diesmal einen roten. „Siehste, ich hab genügend mit!“ Zum ersten Mal sah ich ihn seinen Zigarrenstummel aus dem Mund nehmen. Im hohen Bogen warf er ihn in Buchholtzes Garten und blies den Ballon auf.
August saß wie ein strenger Wächter still auf dem Feldstein an der Hauswand und ließ sich von der Sonne warmscheinen. Dem Mann auf dem Dach widmete er keine besondere Aufmerksamkeit. Anders die Leute am Zaun: stumm und andächtig schauten sie zu ihm hoch. Sicherlich waren einige auch gespannt, ob Forcieren das war, was sie sich darunter vorstellten.
„Und wo kommt der Wind her?“, rief der Taximann.
„Von hinten.“
„Günstig, günstig!“ Er streckte den rechten Arm in die Höhe. Der Ballon schwebte hoch, trieb auf die Wiese.
August war von seinem Feldstein gesprungen, den Luftballon im Blick, lief er durchs Gras.
„Siehste, das haut hin! Siehste!“, schrie der Taxifahrer und zeigte auf August.
Tatsächlich, der Bussard öffnete ein wenig seine Flügel, trabte mit zum Himmel gedrehtem Schnabel weiter.
„Eure Obstbäume stören“, sagte der Taxifahrer. „Wenn der Ballon zwischen die Äste trudelt, missglückt das Experiment!“ Er trudelte zwischen die Äste, verklemmte sich in einer Astgabel.
„Aus! Aus! Aus! Ich hab ja gesagt: Die Obstbäume sind im Wege!“ Ärgerlich blickte er vom Dach auf die Baumkronen herunter und kratzte sich die Stirn.
Während ich mit einem längeren Stock den Ballon aus den Zweigen stieß, lief August, dem die Blätter jede Sicht zum Luftballon versperrten, zu seinem Feldstein und sprang auf ihn zurück wie auf einen Startblock.
„Bitte Bindfaden, am besten Zwirn!“
„Und ich dachte“, rief Mutter aus dem Fenster, „Sie wollen eine Säge und unsere Bäume umlegen!“
Einfälle hatte der Mann, das war nicht zu leugnen. Er knüpfte den Zwirnsfaden an den roten Ballon und ließ ihn nur so weit wegfliegen, dass er zwischen Schuppendach und erstem Obstbaum über der Freien Wiese baumelte.
Blitzschnell jagte August vom Feldstein hinüber, stieß einen jammernden Laut aus, stoppte genau unter dem Luftballon seinen Lauf und war ganz aufgeregt.
Das war er also, der heutige Kurt-David-Newsletter mit fünf Büchern eines einzigen Autors, die die Schreibqualitäten und die Vielseitigkeit dieses Schriftstellers belegen und auf ganz unterschiedliche Weise zur Lektüre einladen. Deutlich wird, wie Davids frühe Werke die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema haben. Der erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautor setzte sich aber auch auf unterschiedliche Weise mit der Entwicklung in der frühen und mittleren DDR auseinander. Besonders „Freitags wird gebadet“ war damals in der DDR sowohl als Buch als auch in der Fassung als Fernsehserie ein großer Publikumserfolg. Und „Antennenaugust“ war Schullektüre.
Viel Vergnügen beim Lesen, viel Vorfreude auf den baldigen Sommer und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.
Ach, und auch der nächste Newsletter, der am Freitag, 9. Juni 2023 erscheint, wird fast ein kompletter Kurt-David-Newsletter sein. Dann dürfen Sie sich auch auf zwei literarische Verarbeitungen seiner vielen Reisen freuen. Und auf ein gewissermaßen zauberhaftes Buch von Uwe Kant.