Erstmals 1972 war als Heft 136 der „Blaulicht“-Reihe die Kriminalerzählung „Gesucht: Person mit Schirm“ erschienen: An einem düsteren Oktoberabend, den kalten Regen im Gesicht, bricht der achtundsechzigjährige Georg Fiedler zu einer seiner üblichen Wanderungen auf. Doch was als gewöhnlicher Spaziergang beginnt, endet in einem Albtraum, als er Zeuge eines tödlichen Vorfalls wird. Eine junge Frau stürzt von einem Felsplateau in die Tiefe, und Fiedler steht fassungslos vor der Leiche: „Da, auf dem sandigen Grund, ein dunkler Fleck, eine menschliche Gestalt, die sonderbar verzerrt am Boden lag. Es war eine Frau, und selbst wenn Fiedler früher nicht Krankenpfleger gewesen wäre, hätte er gesehen, dass es in diesem Fall keine Hilfe mehr gab. Das vom Sturz zerschlagene Gesicht, der nach hinten gebogene Kopf, die weit aufgerissenen, starren Augen ließen vermuten, dass sie sofort tot gewesen war.“
Wer war die geheimnisvolle Gestalt, die sie in den Tod gestoßen hat? Oberleutnant Bothe und sein Team nehmen die Ermittlungen auf und tauchen tief ein in ein Netz aus Lügen, Verrat und dunklen Geheimnissen. Als die Wahrheit ans Licht kommt, wird klar: Nicht jeder, der unschuldig scheint, ist es auch. Werden sie den Täter rechtzeitig fassen, bevor er erneut zuschlägt?
Bereits drei Jahre zuvor, 1969, hatte Klaus Möckel als Jubiläumsheft 100 der „Blaulicht“-Reihe erstmals seine Kriminalerzählung „Die gefälschten Signaturen“ veröffentlicht: Eigentlich hatte Kommissar Perillat die Akte Tabuet schon ad acta gelegt. Der Fall des Journalisten und Kunstkritikers, der bei einem Sturz vom Dachgarten eines Hauses ums Leben kam, schien klar: ein tragisches Unglück: „Nichts deutete auf ein Verbrechen hin. Der Tote hatte Geld und Ausweise bei sich getragen und war ohne Schwierigkeiten zu identifizieren gewesen. Der Arzt hatte an seinem Körper keinerlei Merkmale entdecken können, die auf einen Kampf oder auf Gewaltanwendung schließen ließen. Da die Motive für einen Selbstmord fehlten – Tabuet galt als selbstsicherer, ausgeglichener Mensch –, hatte man es wahrscheinlich mit einem Unglück zu tun. Das meinten auch die Arbeitskollegen und Nachbarn, die über ihn Auskunft gaben. Perillat fragte sich, weshalb in diesem Fall überhaupt die Mordkommission bemüht worden war.
Dass der Kommissar die Akte Tabuet trotzdem noch einmal vornahm, hing mit verschiedenen Umständen zusammen.
Vor allem war es sein engster Mitarbeiter, der junge Inspektor Roch, der ihn dazu drängte. Roch war am Quai des Orfèvres wegen seiner linken Tendenzen bekannt und deshalb bei den meisten Vorgesetzten nicht gut angesehen. Doch Perillat schätzte seinen Mut, seine Offenheit. Er wusste, wenn sich der Inspektor einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, kam er so bald nicht wieder davon ab. Auch beeindruckte ihn der Eifer des jungen Kriminalisten. Aus diesen Gründen zog er ihn immer wieder zu wichtigen Aufgaben heran.
„Irgendetwas stimmt an dieser Sache nicht“, behauptete der Inspektor in der Angelegenheit Tabuet, und er suchte den Fall des Journalisten mit einer Hartnäckigkeit zu ergründen, die nach der Meinung Perillats einer besseren Sache wert gewesen wäre. Was hatte Tabuet, so argumentierte Roch, ausgerechnet auf einem Gebäude zu suchen gehabt, das fernab von seiner Wohnung lag und wo ihn, wie eine Befragung der Hausbewohner ergeben hatte, kein Mensch vom Ansehen oder gar mit Namen kannte? Man spaziert doch nicht ohne Grund auf dem Dach eines fremden Hauses umher.“
Auch die nächsten beiden Sonderangebote dieses Newsletters stammen von Klaus Möckel. Erstmals 1991 war „Flusspferde eingetroffen. Lachen mit Möckel“ erschienen. Hauptgründe für die Auswahl der in diesem Buch versammelten Texte waren die darin steckende Heiterkeit und Ironie des Autors. „Hier wird Möckel als ein Schreiber ganz eigener Art vorgestellt. Sein Lachen, so glauben wir, wirkt weiter“, heißt es in einer kleinen Einführung „Ein Wort voran“.
Soeben erst als Eigenproduktion von EDITION digital war „Fahrtwind – Wagnis und Wahn“ erschienen. Heike, eine Dreizehnjährige, pflegt mit ihren Freunden ein außerordentlich gefährliches Hobby, das S-Bahn-Surfen. Vor allem, um Thomas zu imponieren, in den sie verliebt ist, schließt sie mit einem sensationshungrigen Reporter eine Wette ab. Für etwas Geld will sie während der Fahrt aufs Wagendach klettern. Das Experiment scheint zu glücken, doch dann geschieht etwas Unerwartetes ...
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Kann es auch im schlimmsten Krieg Menschlichkeit geben? Ein Lob auf den menschlichen Über-Lebenswillen.
1941 schrieb Friedrich Wolf „Jules. Eine Erzählung aus dem Camp du Vernet“: Jules ist eine packende Erzählung über das menschliche Schicksal im Angesicht des Grauens des Zweiten Weltkriegs. Im Camp du Vernet, einem französischen Straflager für politische Gefangene, erlebt der Leser die Geschichte von Jules, einem polnischen Juden und Lederarbeiter, der sich trotz der schrecklichen Bedingungen seine Menschlichkeit bewahrt. Mit unerschütterlicher Entschlossenheit kämpft Jules nicht nur gegen die brutalen Aufseher, sondern auch gegen die eigene Krankheit und die Verzweiflung. Durch seine Freundschaft mit dem Erzähler, einem deutschen Arzt, werden sein unbändiger Lebenswille und sein Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit lebendig. Diese ergreifende Erzählung, basierend auf wahren Begebenheiten, ist eine bewegende Mahnung, die Lehren der Geschichte nie zu vergessen und die unerschütterliche Kraft des menschlichen Geistes zu ehren. Ein zeitloses Werk, das nun als E-Book neu aufgelegt wurde, um die Erinnerung an diese dunkle Zeit lebendig zu halten.
In Klaus Möckels Krimi "Gesucht: Person mit Schirm" entfaltet sich die packende Suche nach der Wahrheit hinter dem mysteriösen Tod von Ines Richter. Die Ermittler stehen vor zahlreichen Fragen, die mehr als nur ein einfaches Unglück vermuten lassen. In der folgenden Leseprobe werden die komplexen Beziehungen und Geheimnisse enthüllt, die Ines umgaben – und die möglicherweise den Schlüssel zu ihrem Schicksal bergen. Spannungsgeladen und mit überraschenden Wendungen zieht der Fall die Leser immer tiefer in das Netz aus Verdächtigungen und ungeklärten Fragen.
„Na ja … wie soll ich sagen … Ich will auf keinen Fall Schlechtes über sie reden, jetzt … nur, sie war sehr ehrgeizig und setzte auch die Ellbogen ein, wenn es um ihren Vorteil ging. Das war schon während des Studiums so, und das ist bis zuletzt so geblieben. Für sie stets das Beste, und das ärgerte die anderen. Aber Ines hatte auch ihre guten Seiten“, schränkte sie ein. „Wussten Sie, dass Ihre Freundin ein Kind erwartete?“
Dora Lind machte ein erstauntes Gesicht. „Die Ines? Schwanger? Das kann nicht sein.“ Und als der Kriminalist sie fragend ansah: „Nicht, dass ich das unbedingt wissen müsste. Sie konnte solche Dinge gut für sich behalten. Aber, na ja, weil sie …“, sie zögerte, „na, weil sie sich eben nicht nur auf die Männer verließ.“
„Es stimmt trotzdem“, sagte Bothe, „sie war im dritten Monat. Natürlich interessiert uns, wer der Vater des Kindes ist. Können Sie uns einen Hinweis geben?“
„Schwanger“, wiederholte sie, als sei das bei einer dreiundzwanzigjährigen Frau die erstaunlichste Sache der Welt, „ja, sie hat einen Freund. Er ist Ingenieur beim VEB Gerätebau. Ralf Bergner heißt er. Außerdem …“
„Außerdem?“
„So ganz genau nahm Ines es mit den Männern nicht. Sie hatte Erfolg bei ihnen, und, ehrlich gesagt, sie nutzte es auch aus.“ Bothe zog aus seiner Brieftasche ein Foto, das sie in der Wohnung der Toten gefunden hatten. „Ist das dieser Herr Bergner?“
„Ja“, erwiderte sie.
„Gut“, sagte der Oberleutnant, „dann nur noch eins: Wann haben Sie Ihre Freundin zum letzten Mal gesehen?“
„Am Morgen des Unglückstages“, antwortete Dora Lind, „sie kam in die Bibliothek, blieb aber nicht lange. Sie brachte nur ein Buch zurück.“
„Und ist Ihnen etwas Besonderes an ihr aufgefallen? Irgendetwas, das mit ihrem Tod in Zusammenhang stehen könnte? War Fräulein Richter sehr erregt, machte sie eine ungewöhnliche Bemerkung?“
„Nichts ist mir aufgefallen, gar nichts“, sagte sie und brach erneut in Tränen aus. „Es muss ein Unfall gewesen sein, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wer ihr etwas hätte zuleide tun wollen.“
In Klaus Möckels Krimi "Die gefälschten Signaturen" nimmt die Geschichte eine spannende Wendung, als Inspektor Roch auf Marlène Carpenture trifft, die mehr über den mysteriösen Tod von Georges Tabuet zu wissen scheint. Die Leseprobe führt uns in eine Welt voller Intrigen und Geheimnisse in der Kunstszene, in der es nicht nur um wertvolle Gemälde, sondern auch um persönliche Abgründe und verhängnisvolle Entscheidungen geht. Erfahren Sie, wie Marlène Roch von Tabuets zunehmender Obsession mit vermeintlichen Fälschungen erzählt und dabei tiefer in die komplexe Beziehung zu dem Verstorbenen eintaucht.
Marlène Carpenture war gerade nach Hause gekommen, als Roch sie am Spätnachmittag aufsuchte. Sie war groß, schlank und hatte kurz geschnittenes rotblondes Haar. Sie wirkte gepflegt, und gepflegt wirkten auch die beiden Räume, die sie bewohnte. Keine Alltagserscheinung – Roch ließ sich ungewollt beeindrucken.
Sie zeigte sich nicht überrascht, als er sich vorstellte. Sie wusste um Tabuets Tod, es sah fast so aus, als habe sie mit einem Besuch der Polizei gerechnet. „Sie glauben an ein Verbrechen?“, fragte sie erstaunt.
Roch wehrte ab. „Wir glauben vorläufig noch gar nichts.“ „Was ich weiß, will ich Ihnen gerne mitteilen“, erklärte sie dann, „aber viel habe ich nicht zu erzählen. Es tut mir schrecklich leid um Tabuet. Im Grunde war er ein anständiger Kerl. Wenn wir auch im Streit auseinandergingen – was ihm da zugestoßen ist, ist furchtbar.“
Sie hatte ihn aufgefordert, Platz zu nehmen, und der Inspektor revanchierte sich, indem er ihr eine Zigarette anbot. Sie rauchte in langsamen Zügen. Da sie einen engen Rock anhatte, der beim Sitzen nach oben rutschte, konnte Roch ihre wohlgeformten Beine bis übers Knie hinauf bewundern. Ihre Haltung strahlte Sicherheit aus. Doch der Inspektor dachte, vielleicht ist ihre Ruhe nur gespielt.
„Es mag Ihnen unangenehm sein“, sagte er, „aber Sie müssen mir etwas über Ihr Verhältnis zu Tabuet und über den Grund erzählen, der zum Bruch zwischen Ihnen führte. Soviel wir wissen, kam die Trennung recht plötzlich …"
„So plötzlich wieder nicht. Georges war in der Zeit vorher immer sonderbarer geworden.“
„Sonderbarer? Inwiefern?“
„Da muss ich weit ausholen“, erklärte die Frau, „das hängt mit seiner Leidenschaft für die Malerei zusammen.“
Roch ließ sie erzählen und hörte zu. Sie sprach von ihrem ersten Zusammentreffen mit Tabuet, den sie auf einer Party ihres Chefs kennengelernt hatte. „Intelligent war er“, sagte sie, „und was er über Gemälde wusste, verblüffte oftmals nicht nur die Laien. Er kannte jedes bedeutende Bild, wusste, von wem es stammte, wann und unter welchen Umständen es entstanden war. Aber zuletzt war er dauernd hinter Fälschungen her. Hinter eingebildeten. Das brachte ihn mitunter in peinliche Situationen. Und mich dazu.“
„Das müssen Sie mir genauer erklären“, verlangte Roch. „Vielleicht können Sie mir einen Fall nennen, wo er hinter einem Gemälde her war, das er für falsch hielt.“
„Da gibt es mehr als ein Beispiel“, sagte die Frau. „Wenn irgendwo ein altes Gemälde auftauchte, von dem man bis dahin noch nichts gehört hatte, lief er hin und wollte es prüfen. Kein Museum blieb verschont, und es gab Sammler, die ihn gar nicht mehr zu sich einließen. Sie fürchteten, dass er die von ihnen teuer bezahlten Bilder in einer der Zeitschriften angriff, für die er schrieb.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte Roch. „Soviel ich weiß, schaut man sich solche Bilder doch an, bevor man sie kauft. Man zieht auch Experten zurate und lässt Gutachten anfertigen. Woher dann diese Angst vor einem Zeitungsartikel?“
„Meist sind sich die Kunden gar nicht so sicher“, erklärte die Frau. „Sie werden von den Kunsthändlern, die möglichst schnell zu Geld kommen wollen, sehr gedrängt. Ich kenne das von meinem Chef, Monsieur Malpart, der selbst Sammler ist. Bei dem Gemälde von Frans Hals, das er damals erstanden hat, war es ähnlich. Wegen dieses Bildes habe ich mit Tabuet Schluss gemacht.“
„Tabuet hat die Richtigkeit dieses Bildes angezweifelt?“
In Klaus Möckels Erzählungsband "Flusspferde eingetroffen. Lachen mit Möckel" zeigt sich das Alltägliche oft von seiner absurden und humorvollen Seite. In der folgenden Leseprobe erleben wir den frustrierenden Ausflug der Familie Kehl, der zu einem wahren Hindernislauf wird – von der verzweifelten Parkplatzsuche bis zu den unerwarteten Herausforderungen auf der Autobahn. Mit scharfem Blick für menschliche Schwächen und die Tücken des modernen Lebens fängt Möckel die kleinen Dramen des Alltags ein, die uns allen nur zu bekannt vorkommen.
Kehl bog auf den Parkplatz neben der Post ein, und wie vorauszusehen, erfüllte sich sein Wunsch, eine Lücke zu finden, nicht. Eine totale Auslastung jeglichen Meters nutzbarer Fläche. Die Autos standen sogar auf dem Umgrenzungsstreifen und in langer Reihe zwischen den einander gegenüber parkenden Wagen, so dass man sich fragen musste, wie sie herausfinden sollten, wenn ihre Besitzer abfahren wollten. Aber zurück konnte Kehl auch nicht mehr, denn die anderen drängten nach.
Er wand sich an einem Opel vorbei, umkurvte den letzten Wagen der Mittelreihe und hatte auf einmal freie Bahn. Ein Ford rechts von ihm schickte sich an, seinen Platz zu verlassen. Aber ein Mazda wartete bereits.
„Du musst schneller sein", tadelte Sohn Pit vom Hintersitz aus und reckte rauflustig den Kopf. Er betrachtete solche Übungen als eine Art Kampfspiel.
„Wie denn? Hast doch gesehn, dass er näher dran war."
„Wer schneller ist, mahlt zuerst", behauptete der Elfjährige altklug.
Kehl wollte ihn energisch zurechtweisen, aber seine Frau, durch ihre dunkle Sonnenbrille hindurch scharf Ausschau haltend, sagte plötzlich: „Da vorn!"
„Wo?"
„Na, neben dem Mercedes!"
„Gut, das wird klappen."
Kehl legte den Gang ein und schoss vor. Auch wenn die andern weit weg waren und es folglich so aussah, als wollte ihm keiner den frei werdenden Platz streitig machen. Er rollte seinen weißen BMW so nahe an den abfahrenden Suzuki heran, dass der Mühe hatte, sich aus der Lücke herauszulavieren. Pit beobachtete das Manöver des fremden Fahrers, der ärgerlich gestikulierte, mit unübersehbarer Schadenfreude.
Alles schien klar, doch dann erwies sich, dass sie trotzdem zu früh triumphiert hatten. Kehl war in der Eile zu nahe an den Mercedes herangerückt und musste zurückstoßen, um sicher einbiegen zu können. Aber während er noch nach hinten schaute, pirschte sich vorn blitzschnell ein Seat Ibiza heran und besetzte frech die Lücke. Kehl blieb die Luft weg über solch eine Unverschämtheit, seine Frau setzte vor Entrüstung die Brille ab. Nur Pit fand den Mann im Ibiza clever. „Wieder geschlagen", sagte er voller Genugtuung zum Vater.
Kehl blaffte den Sohn an und ließ die Scheibe herunter, um dem Stiesel da ein paar deftige Worte zu sagen. Trotz der Strafe, die man sich jetzt unter Umständen für so etwas einhandeln konnte. Doch was half's, der Platz war besetzt. Wütend rollte er weiter. Erst zwanzig Minuten später gelang es ihm mit Hilfe seiner Frau, die ausgestiegen war, den Wagen doch noch unterzubringen.
Der Ausflug in die Stadt, etwas überraschend, aber mit großer Erwartung in Angriff genommen, wurde ein Reinfall. Sie trafen Hartmanns nicht an, die an diesem Tag eigentlich hätten zu Hause sein müssen, und kauften statt des gewünschten beigefarbenen Kostüms für Frau Kehl ein braunes, das ihr nicht stand. Das Mittagessen nahmen sie an einer Imbissbude ein, um den überhöhten Preis des Kostüms auszugleichen, und prompt bekleckerte Pit sich Hemd und Hose. Bei dem Geschimpfe und Gezeter hinterher ließ Kehl das Schlüsselbund liegen, was sie jedoch erst später merkten.
Als sie es dann endlich zurückbekommen hatten, machten sie sich geschafft auf den Heimweg. Die Frau erbot sich, das Steuer zu übernehmen, doch das kam für Kehl nicht in Frage. Mit mürrischem Gesicht lancierte er den Wagen durch den beginnenden Berufsverkehr. Obwohl sie Zeit hatten, drückte er aufs Tempo, versuchte durch häufigen Fahrspurwechsel Meter gutzumachen. Die Ampel am Ortsausgang überspurtete er bei bereits aufleuchtendem Rot.
Als sie endlich auf der Autobahn waren, wagte Frau Kehl ein Gespräch: „Dabei hat Christa geschrieben, dass sie erst nächste Woche in Urlaub fahren", sagte sie.
„Hat geschrieben, hat geschrieben. Wir hätten vorher anrufen sollen!"
„Wo denn", erwiderte die Frau, „die sind doch so was von lahm, sie besitzen noch immer kein Telefon."
„Na, in seiner Werkstatt. Das ist ja jedem Kind klar."
„Und wo krieg ich die Nummer her?"
„Über die Auskunft, mein Schatz. So macht man das im Allgemeinen."
Die Frau wollte zu einer heftigen Entgegnung ansetzen, aber in diesem Augenblick schaltete sich Pit mit dem Zwischenruf ein: „Achtung, der Seat, er will uns überholen!"
Kehl, der bei dem Streitgespräch mit seiner Frau von 130 km/h auf 98 km/h abgefallen war, sagte aufgeschreckt: „Was ist?"
„Guck doch in den Spiegel, er hat uns gleich."
In Klaus Möckels Jugendbuch "Fahrtwind – Wagnis und Wahn" wird der Leser in die spannungsgeladene Welt der Protagonistin Heike entführt, die sich in riskante Abenteuer stürzt, um Anerkennung und den Nervenkitzel zu erleben. In der folgenden Leseprobe wird deutlich, wie Heikes Drang nach extremen Erlebnissen sie an ihre Grenzen bringt und zugleich ein Triumphgefühl in ihr auslöst, das sie immer wieder antreibt. Doch die Gefahr lauert im Verborgenen, und die Frage bleibt, wie lange sie ihrem waghalsigen Lebensstil noch folgen kann, bevor das Unvermeidliche geschieht.
Sie hatte keinen Blick für den Mann in der grauen Jacke, der zum anderen Brückengeländer gelaufen war und ihr nachstarrte. Offenbar hatte er den Sturz nicht mitbekommen, hielt das Ganze für eins ihrer verrückten, gefährlichen Manöver. Er betätigte den Auslöser der Kamera.
Vor dem Bahnhof wurde der Zug langsamer. Heike schaffte es, zum Waggonende zurückzurutschen und wieder hinunterzuklettern. Sie kehrte nicht in ihr Abteil zurück, sondern stieg in den Wagen davor; zwei junge Leute, die neben der Tür knutschten, blickten sie so fassungslos an, als käme sie geradenwegs vom Mond.
Heike zitterten die Knie, erst jetzt spürte sie den Schmerz in der Schulter und in der Hüfte. Sie schaute niemanden an, humpelte zur Tür gegenüber. Als der Zug hielt, machte sie sich davon, so schnell sie konnte.
Sie ging zum Parkplatz, wartete dort. Der Schmerz klang langsam ab und ein Triumphgefühl überflutete sie. Zwar hatte sie keinerlei Zweifel gehegt, die Kletterei aufs Dach zu schaffen, aber nach diesem Sturz gab sie sich zu, dass es hätte schief gehen können. Ihr war minutenlang ganz schön mulmig gewesen.
Kurz darauf rauschte Enderlein in seinem schnittigen Ford heran. "Du bist wohlauf, mir fällt ein Stein vom Herzen", sagte er, ohne zu ahnen, dass er wirklich allen Grund zum Aufatmen hatte. "Klasse warst du schon, das kann man nicht bestreiten. Anscheinend hab ich mehr gezittert als du. Trotzdem, mach das nicht noch mal. Irgendwann fegt's dich runter."
"Haben Sie alles fotografiert?", fragte Heike.
"Ja, ja. Sobald die Bilder fertig sind, kriegst du sie zu sehn. Und natürlich einige Abzüge zum Herzeigen."
Heike hätte sie am liebsten gleich gehabt, für die Clique und für Tommi. Aber sie erwiderte: "Vorläufig kein Wort zu den andern, das war abgemacht."
"Natürlich. Ganz wie das Fräulein es wünscht."
Er zückte die Brieftasche, zog drei Hunderter heraus. "Hier, dein Lohn. Hast ihn ehrlich verdient."
Heike hielt die drei knisternden Scheine mit dem schönen Antlitz Clara Schumanns auf der einen, dem aufgeklappten Flügel auf der anderen Seite einen Augenblick lang in der Hand. In einem Film kürzlich hatte sie gesehen, wie ein Ganove, oder war's einfach ein kleiner armseliger Schlucker gewesen, einen solchen Schein ehrfürchtig küsste. Das würde noch fehlen, dachte sie und steckte das Geld schnell weg.
Sie rannte nach Hause. Der Vater saß in der Küche und studierte die Anzeigenseite der Zeitung. Er suchte weniger nach einem neuen Job als nach irgendwelchen vielversprechenden Annoncen. Kürzlich war er zu einer Adresse gefahren, wo man angeblich bis zu 4000 Mark im Monat verdienen konnte, wenn man eine bestimmte Reklame ans eigene Auto pinselte und damit herumkurvte. Hunderte waren gekommen, doch nur mit fünf Leuten schloss die Firma einen Vertrag. Ob er wirklich so günstig war, hatte der Vater nicht erfahren. Er war viel zu spät erschienen.
Heike wechselte ein paar flüchtige Worte mit ihm und lief in ihr Zimmer. Eine Wohnung in einem Hochbau, zweieinhalb Räume, eine winzige Küche, das Bad fensterlos. Aber der kleine, schmale Raum mit Liege, Schrank, Bücherregal, Tisch und Stuhl gehörte ihr. Das war schon was. Tommi zum Beispiel musste sein Zimmer mit dem jüngeren Bruder teilen. Heike holte den Recorder aus dem oberen Schrankfach und packte die drei Scheine zu dem schon gesicherten Hunderter. Im Grunde verachtete sie die Jagd nach der Knete, kam selbst mit wenig Geld aus. Aber in diesem Fall war es etwas anderes. Wenn sie an Holland dachte, an Tommi, den Onkel und die Tanzschule, begann ihr Herz echt zu springen. Ein Gefühl wie vorhin, als sie auf dem Dach der S-Bahn dahinraste.
In Friedrich Wolfs Erzählung „Jules. Eine Erzählung aus dem Camp du Vernet“ wird die angespannte Atmosphäre im Internierungslager meisterhaft eingefangen, wo verschiedene Charaktere auf engstem Raum aufeinandertreffen. Die folgende Leseprobe zeigt, wie sich Konflikte und Missverständnisse in dieser extremen Situation entladen und wie die Männer, trotz aller Differenzen, gezwungen sind, miteinander auszukommen. Insbesondere der vielschichtige Charakter des Aron Litère, der sich energisch gegen die herablassende Behandlung durch seine Mitgefangenen wehrt, verleiht der Geschichte eine besondere Tiefe und verdeutlicht die Herausforderungen des Lebens im Lager.
Ernst aber hat gegen das Mäntelchen – es ist der Pariser Lederarbeiter Aron Liter –, Ernst, der saubere, blitzblanke, korrekte deutsche Junge, er hat gegen Aron Liter eine schier unüberwindliche Abneigung; Ernst, der sofort aus einem Stück Holz sich einen Bügel für seinen Rock macht, der sofort anfängt, sein Hemd und seine Taschentücher zu waschen, er sieht, wie Aron Liter die erste Woche überhaupt nicht aus seinen Kleidern steigt, wie er sich nicht einmal von seinem Mäntelchen trennt. Ernst ekelt sich, wenn Aron neben uns isst; er ekelt sich, wenn der andere Tag und Nacht schrecklich hustet und dicke gelbe Klumpen an Ernsts Nase vorbei durch unsere Fensterluke hinausspuckt. Ernst verlangt schließlich von mir, ich solle meinen Nebenmann zwingen „auszuziehen“. Abgesehen davon, dass Aron Liter dieses Ansinnen nur mit Hohn und den schrecklichsten Flüchen der Welt beantwortet hätte, fühle ich mich auch nicht berechtigt, ihn von seinem Platz zu vertreiben. Ernst wendet sich jetzt selbst an das Mäntelchen. Es kommt zu einem Wortwechsel in einem unmöglichen Deutsch-Polnisch-Französisch, da Ernst dem Monsieur Aron Liter die Anfangsgründe der Hygiene klarmachen will, während Monsieur Liter ihm einen seiner furchtbarsten Flüche entgegenschleudert: „Ein Tausendfüßler sollst du sein und dir jeden Abend die Füß’ waschen müssen!“ Als Ernst in seiner Erregung sich sogar erbietet, lieber ein Tausendfüßler zu sein mit tausendfacher Fußwaschung als ein Schwein mit zwei schmutzigen Füßen, da fordert ihn sein Gegner mit bösem Hohn auf, ihm doch heißes Wasser, Seife, Handtücher und ein warmes Zimmer herbeizuschaffen, da er als Lungenleidender nicht so verrückt sei, sich draußen vor den offenen Waschtrögen den Tod zu holen. Im Übrigen habe er, Aron Liter, den jungen Mann nicht angeredet, ein Zeichen dafür, dass er, Aron Liter, keine Unterredung mit ihm wünsche. Ernst appelliert jetzt an uns alle, ob wir die Gefahr einer Verlausung oder gar einer Infektion dulden wollten? Da er meines Nachbarn Namen vergessen hat, spricht er von dem „Nebenmann Juil“.
Der aber hat dieses Wort noch einmal herum missverstanden; er protestiert: „Ich heiße nicht Jules, mein Herr! Ich heiße für Sie Monsieur Aron Litère! Einen Menschen nennt man bei seinem richtigen Namen, oder gar nicht! Aron Litère, mein Herr, nicht Jules!“ Seine großen Hände, die kräftigen Hände eines alten Lederarbeiters, spannen sich vorn am Saum des Mantels. Sein Kopf steht plötzlich mitten unter uns. Dieser Kopf ist zugleich von einer bemerkenswerten Hässlichkeit und Schönheit: die Stirn ist klein, gebuckelt, verbeult, Adern durchziehen wie knotige Stränge Schläfen und Nasenwurzel, rötlich-blondes Haar sträubt sich in dünnen Büscheln an beiden Seiten des Schädels, die starken, kreisrund geschnittenen Lippen sind halb geöffnet, die breite Nase ist etwas plattgedrückt und gibt dem Profil den Ausdruck eines Raubtiers … aber das Eindringlichste sind doch die Augen, zwei harte, kampfwütige dunkelblaue Augen von einer Wildheit, Kraft und Schönheit, die sein eigenes Wesen und die Entschlusskraft seiner Gegner völlig zu beherrschen scheinen. „Mein Name ist Aron Litère, meine Herren, nicht Jules!“
Keiner wagt, dem Wütenden zu antworten. Er zieht sich das schwarze Mäntelchen wieder über die Ohren, legt sich auf die mit dünnem Stroh bedeckte Holzplanke und rollt sich zu einem Nichts zusammen. Von dieser Stunde an heißt Aron Liter bei uns nur noch Jules.
Und wie haben Ihnen die beiden „Blaulicht“-Krimis gefallen? Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass Autor Klaus Möckel sein Handwerk versteht und meisterhaft Spannung aufzubauen weiß.
Aber Möckel weiß nicht nur als Krimischreiber zu überzeugen, sondern auch in vielen anderen Genres, wie nicht zuletzt die beiden anderen Sonderangebote dieses Newsletters aus seiner Feder beweisen.
Es lohnt sich, in den Sammelband „Flusspferde eingetroffen“ zu schauen, wo man sich allein schon an den Überschriften von Möckels Texten erfreuen kann. Ein Beispiel gefällig? Hier ist es? „Noch einen Kaffee, Herr Kommissar?“ Das klingt doch schon sehr einladend, oder?
Gleiches gilt für die folgenden Überschriften, die Lust auf Lesen machen: „Wie ich gefilmt wurde“, „Majestätsbeleidigung“ und „Liebesperlen“ sowie „Siebenquant oder der Stern des Glücks“ und „Das Eselein“ und selbstverständlich auch die titelgebende Geschichte „Flusspferde eingetroffen“. Welche Gedanken kommen Ihnen dabei in den Sinn?
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die neuen Sonderangebote für den nächsten Newsletter, der bereits in den Oktober hineinreicht, stehen schon auf dem Versandzettel von EDITION digital.
Eines dieser fünf Sonderangebote ist die 1947 verfasste Erzählung „Der Zitronenfalter“ von Friedrich Wolf. Diese Überschrift scheint auf den ersten Blick nicht zu diesem Text zu passen, der im Sommer 1943 nach der Schlacht von Stalingrad spielt.
Deutsche Kriegsgefangene befanden sich in einem Lager an der Wolga. Damals sperrten sich die meisten deutschen Offiziere noch gegen die Erkenntnis der eigentlichen Ursachen ihrer Niederlage. Sie hatten bereits vergessen, wie Hitler sie mit dreisten Lügen und unverantwortlichen Zusicherungen in diesen eisigen Tod getrieben, wie der Flecktyphus bei ihnen schon vor der Kapitulation in den deutschen Winterstellungen ausgebrochen war und wie russische Ärzte und Ärztinnen alles aufgeboten hatten, sie zu retten.
Doch stießen politische und militärische Aufklärungen zunächst auf eine Mauer eisiger Ablehnung. Mit einem Male trat jedoch ein plötzlicher, ganz unverständlicher Umschwung der Stimmung ein.
„Was war geschehen?
Wir kamen lange nicht dahinter. Endlich erfuhren wir, dass der „Zitronenfalter“ daran schuld sein musste. Er war seit einiger Zeit im Lager.
Der Zitronenfalter? Wo ist er? Im Lazarett! Zudem sei dieser „der“ eine sie.“