Hauptfigur des erstmals 1960 im Prisma-Verlag Zenner und Gürchott in Leipzig unter dem Pseudonym Rudolf Wenk erschienenen Romans „Der geheimnisvolle Strom“ von Rudi Czerwenka ist Mungo Park. Der junge Engländer war Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Gambia aus aufgebrochen, um eines der größten Rätsel Afrikas zu lösen. Dieses Rätsel war der Niger: Wo entsprang er, wo mündete er? Hier der Anfang dieses spannenden Buches, das bezeichnenderweise mit einem Schiff beginnt:
„Die englische Brigg ‚Endeavour‘ hatte die westafrikanische Küste erreicht. In der seeweiten Mündung des Gambia konnte das Schiff stromaufwärts kreuzen. Nach einigen Tagen rückten die Flussufer zusammen. Noch drückte die Flut den Zweimaster voran. Bei Ebbe sanken die Anker in den Schlammboden. Die Kraft der Flut war von Meile zu Meile schwächer geworden. Jetzt wurde die Brigg von Negerbooten geschleppt. Jeden Abend bekamen die schwarzen Ruderer einen Napf verwässerten Rums. Dafür drückten ihre kräftigen Arme die Stechpaddel durchs dunkle Wasser, stundenlang, ohne Pause. Es war schäbiger Lohn für die anstrengende Arbeit. Und die Trommler gaben den Takt mit dumpfen Wechselschlägen. In der Kajüte der ‚Endeavour‘ auf einem abgeschabten Polstermöbel saß der Kapitän des Schiffes, Mister Wyatt. Sein schmutziges Hemd stand offen und zeigte die breite, behaarte Brust. Das Kopfhaar hing in Fransen über die niedrige Stirn. Der Kapitän nahm die erkaltete Pfeife aus dem Mund. Seine wässrigen Augen blickten über den schweren Tisch, über den Branntweinkrug, die beiden Zinnbecher. Der Kapitän leckte die Lippen und sah auf. ‚Kommen Sie her, Doktor! Trinken wir!‘
Am Kajütfenster stand ein Mann. Seine feinen Hände lagen auf dem Rücken seines blauen Rockes. Zwischen dem Kragen und dem lockigen Blondhaar lugte ein blendend weißes Halstuch hervor. Die helle, schmale Hose entsprach der neuesten Londoner Mode. Darunter trug der Fremde helllederne Halbstiefel.“
Nach unsäglichen Strapazen und nach dem Überwinden großer Gefahren stand Mungo Park als erster Europäer am Ufer des geheimnisvollen Stromes. Aus dem unerfahrenen Draufgänger aber war ein gereifter Forscher geworden. Das Leben selbst gab die Fabel zu diesem abenteuerlichen Roman.
Knapp zwei Jahrhunderte später spielt die Handlung des erstmals 1982 beim Militärverlag der DDR erschienenen spannenden Romans „Eilfracht für Chittagong“ von Wolfgang Held. Die eilige Ladung für Chittagong befindet sich an Bord der „Sachsenburg“. Da erreicht den Kapitän auf hoher See die Nachricht, dass er die Fahrt unterbrechen soll. Noch ahnt er nichts von den Komplikationen, die diese Order nach sich ziehen wird. Die in Conakry übernommene Solidaritätsfracht für die Befreiungsfront in Mocambique erweist sich als eine geschickt gestellte Falle. Das Schiff wird in einem von portugiesischen Kolonialtruppen kontrollierten Hafen festgehalten. Quarantäne sowie die Entführung zweier Besatzungsmitglieder und eines Passagiers liefern dafür den äußeren Vorwand. Der Termin für das rechtzeitige Eintreffen in Chittagong gerät von Tag zu Tag mehr in Gefahr. Wenn es den Seeleuten nicht gelingt, die Pläne des Gegners zu durchkreuzen, droht dem Außenhandel der DDR ein großer Verlust. Lesen wir wieder einen kurzen Ausschnitt:
„Der 10000-Tonnen-Schnellfrachter ‚Sachsenburg‘ hat Hoek van Holland vor anderthalb Stunden passiert und fährt nun auf Südwestkurs mit voller Maschinenkraft unter fast wolkenlosem Sommerhimmel in den Kanal ein. Schwacher Nordnordost treibt flache Wellenbuckel in die Meerenge zwischen Dover und Calais. Das schlanke Schiff liegt tief im Wasser. Randvolle Laderäume bergen Millionenwerte. Nachrichtentechnik und Elektronik. Verplombte Container. Einzelheiten sind den meisten Besatzungsmitgliedern gleichgültig. Eilfracht für Punahquan via Chittagong, allein das zählt. Eine weite, monatelange Reise, bedingt durch die Blockierung des Suezkanals, die zur zeitraubenden Route um das Kap der Guten Hoffnung zwingt.
Die Uhren zeigen 12.52 Uhr Greenwicher Zeit. Während Kapitän Hageneier in der Messe noch ganz vom eigenen Cellospiel gefangen ist, hockt der Funkoffizier Ritter vor dem Empfangsgerät. Seine Miene verrät Besorgnis. Er notiert in fliegender Hast eine ganz und gar nicht erfreuliche Wettermeldung. Zur selben Zeit braut der Schiffskoch Jochen Wurzel aus Leipzig in seiner Kombüse einen höchst seltsamen Trunk. Andächtig, als vollziehe er eine heilige Handlung, mischt er mehrere rohe Eier mit Traubenzucker, dem Saft von Orangen und Zitronen, einem Viertelliter Rotwein und einigen Prisen exotischer Gewürze, darunter auch eine Messerspitze voll gemahlene Yohimberinde, die er bei einem sachkundigen Spezereienhändler in Abidjan erstanden hat und seitdem wie ein Kleinod hütet. Vorsichtig berührt seine Zungenspitze die zementfarbene, schillernd schäumende Kreation, die er ‚Storchenbecher‘ nennt. Er nickt zufrieden, füllt das dickflüssige Getränk in ein Halbliterglas und macht sich damit auf den Weg zu einer der wenigen Passagierkabinen, mit denen der Frachter ausgestattet ist.“
Der Autor hat seinem Buch übrigens eine hübsche Bemerkung zum besseren Verständnis vorangestellt: „Personen und Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Vergleiche mit tatsächlichen Geschehnissen liegen im Ermessen des fantasiebegabten Lesers.“ Also, ermessen Sie!
Fantasie benötigt es auch für die beiden folgenden Bücher von Klaus Möckel. Zunächst „Der Schatz der Smaragdbienen“. Der Titel dieses erstmals 1998 bei LeiV (Leipzig) unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow erschienenen dritten von mehreren Bänden, die an die bekannte Reihe des Russen Alexander Wolkow anschließen, bezieht sich auf das Volk der Smaragdbienen. Dieses bewacht einen tief in den Wäldern des Zauberlandes verborgenen Schatz. Sollte der Schatz verlorengehen, muss das Bienenvolk sterben. Der Schatz und die Smaragdbienen sind in höchster Gefahr: Die Großohr-Brüder, so genannt, weil der eine rechts, der andere links einen riesigen Hörlöffel besitzt, brechen in den Urwald auf, um den Schatz zu rauben. Trotz heftiger Schlappen beim Zusammentreffen mit schlagkräftigen Bäumen, gläsernen Fischen, angriffslustigen Affen und der gewitzten Spinne Minni gelangen sie ans Ziel. Die Bienen mit ihrer Königin, einer Fee, wehren sich zwar, sind aber bald dem Tod nahe. Nur einen Aufschub können sie noch erreichen. Die Autoren ziehen alle Register, um die Urwüchsigkeit und Schönheit des Dschungels für ihre Darstellung zu nutzen. Da sich die Spitzbuben bei ihrem Raubzug auf den Weisen Scheuch berufen, hat dieser doppelten Grund, mit seinen Freunden, dem Löwen, dem Holzfäller, Prinzessin Betty, Jessica und dem Elefanten Dickhaut den Bienen zu Hilfe zu eilen. Eine waghalsige Ballonfahrt, Begegnungen mit einem Irrwisch, mit Schattenraben und dem Nebelungeheuer führen zu überraschenden Zwischenfällen, und so steht die Rettung der prächtigen Bienen bis zuletzt auf der Kippe. Aber begleiten wir die beiden Großohr-Brüder ein kleines Stück ihres Weges. Ihnen geschieht dabei Überraschendes:
„Nach einer Weile erreichten sie die Schlucht, die Bill erwähnt hatte. Sie zog sich eng und düster zwischen kantigen Felswänden dahin. ‚Nicht gerade gemütlich hier‘, murrte Joe, ‚da drin gibt es gewiss wilde Tiere.‘ Bills Hand ging zur Axt: ‚Wir können uns ja verteidigen. Im Übrigen bleibt uns keine Wahl. Um die Felsen herumzulaufen, würde viel zu viel Zeit kosten.‘ ‚Wenigstens ist es hier unten schattig‘, erklärte Joe und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie umgingen einen Granitblock, der schwarz vor ihnen aufragte, und drangen in die Schlucht ein. An knorrigen Bäumen hingen kürbisartige Früchte. Joe griff nach einer und riss sie ab, um sie auf ihre Essbarkeit zu prüfen. Doch urplötzlich packte ihn eine harte hölzerne Hand am Kragen und hob ihn in die Höhe. Wie eine Fliege im Netz zappelte der jüngere der Großohr-Brüder mit den Beinen in der Luft. ‚Was ist das?‘, rief er erschrocken. ‚Der Baum hat dich mit seinen Ästen gepackt‘, Bill stand vor Staunen und Schreck der Mund offen. ‚Was hältst du da unten Maulaffen feil‘, rief Joe wütend, ‚hilf mir lieber!‘ Bill zog die Axt aus dem Gürtel und rannte zu seinem Bruder. Er wollte auf die Zweige über seinem Kopf einschlagen, doch bevor er noch dazu kam, erhielt er von einem anderen Ast eine Ohrfeige, die ihn ins Moos schleuderte.“
In dem erstmals 2011 bei der EDITION digital veröffentlichten fantastischen Roman „Tornado – Die tödlichen Rüssel“ treibt die Handlung unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen. Im Küstenland Hahl vollzieht sich eine gewaltige Umgestaltung. Brachliegende Strände sollen für den Tourismus erschlossen, Hotels und Vergnügungszentren erbaut werden. Probleme bereitet noch das unwirtliche Klima, doch eine geniale Lösung scheint gefunden: Vulkane sollen angezapft und mit ihrer Glut eine warme Meeresströmung bis in die Bucht vor Hahl geführt werden. Der Journalist Vangrin soll dieses Projekt mit seinen Reportagen begleiten. Da er in letzter Zeit privat wie beruflich einige Niederlagen einstecken musste, sieht er in dem Auftrag eine neue Chance. Zumal das Angebot vom Manager des Baukonzerns kommt, einem früheren Freund und Mitstudenten. Aber das gigantische Vorhaben, das tief in die Natur eingreift, stößt nicht nur auf Zustimmung. Während die lokale Wirtschaft, die Sex- und Unterhaltungsbranche von hohen Gewinnen träumen und sich manche jungen Leute Aufstiegsmöglichkeiten erhoffen, befürchten die Küstenfischer das Ausbleiben der Fischschwärme, die Umweltschützer Verschmutzung und Zerstörung der Natur. Das Anheizen des Meeres birgt Gefahren, die nur schwer abzuschätzen sind. Der Journalist gerät in einen Konflikt, weil sich über der See erste „Rüssel“, kleine Tornados, bilden. Und seine Lage wird noch schwieriger, als er sich in die Freundin seines Auftraggebers verliebt.
Aber hören wir zunächst einmal kurz in die Beschreibung der Ausgangslage hinein:
„Fuego corriente war ein gewaltiger tiefreichender Fluss im Meer, der Tausende und Abertausende Seemeilen dahinströmte, dem Mondkontinent ein freundliches Klima brachte, die Wanderklippen und die Westinseln umspülte, um endlich vor der bergigen Küste der Stadt Hahl zu verebben. Den Ländern hier gab er nur noch wenig von seiner Wärme ab. Lediglich in besonders günstigen Jahren setzte er der rauen Gebirgsluft seinen milden Atem entgegen, ermöglichte einen etwas längeren Sommer und eine reichere Ernte. Meist jedoch schien die Luft mit Eisnadeln durchsetzt, die feinsandigen Strände westlich von Hahl dehnten sich leer unter einem kalten Himmel. So war es zumindest Jahrhunderte hindurch gewesen, seit Menschengedenken. Doch nun war überraschend etwas geschehen, sollten sich die Dinge grundlegend ändern. Einige Unternehmen von jenem hinter dem Meer liegenden Kontinent hatten einen Plan vorgelegt, der den Tourismus ankurbeln und Wohlstand in das nicht gerade reiche Land mit der Hafenstadt Hahl bringen sollte. Das Projekt Silberstrand war zwar nur mit modernster Technik zu realisieren und erforderte gewaltige Investitionen, aber es erschien Erfolg versprechend. Seine Grundidee: die warme Strömung sollte verlängert, die Wassertemperatur vor den Küsten erhöht und damit das Klima angenehmer gestaltet werden. Dann, so argumentierte das entsprechende Konsortium, könne sich das Land bald nicht mehr vor Touristen retten; man würde endlich die nahezu unberührten Strände nutzen, Hotels bauen und die Infrastruktur entwickeln. Die Industrie würde einen ungeahnten Aufschwung nehmen, die Wirtschaft aufblühen. Alles einleuchtend - aber mit welcher Energie sollte das „Fließende Feuer“ neu angeheizt und nach Norden hin ausgedehnt werden?“
Mit dem Fortschreiten des Projekts, dem Bau immer neuer Hotels, aber auch von Industrieanlagen spitzt sich die Situation zu. Der Konzern will seine Ziele unbedingt erreichen, die Gegner rufen zu Widerstand und Sabotage auf. Auch der Journalist Vangrin muss letztlich erkennen, dass er nicht neutral bleiben kann. Unaufhaltsam treibt die Handlung dieses Buches einer Katastrophe entgegen. Ein zerstörerischer Wirbelsturm, der das Meer aufwühlt und an Land alles mit sich reißt, stellt die Akteure auf eine letzte harte Probe.
Um etwas Letztes geht es auch in der erstmals 2003 im SCHEUNEN VERLAG Kückenshagen erschienenen essayistischen Erzählung „Verdämmerung“ von Erik Neutsch. Es geht um Verluste, die Neutsch selbst durchlitten hat, und obwohl er im Text manches in der dritten Person verfremdet, so erkennt man ihn dennoch hinter jeder Zeile. Voller Betroffenheit und tiefer Trauer begleitet er seine Frau, mit der er fast fünfzig Jahre seines Lebens teilte, während der letzten fünf Tage bis zu ihrem Tod. Dabei werden Erinnerungen wach, an die Ungebrochenheit ihrer Liebe, aber auch an Verletzungen.
„Sie wußte, daß sie stirbt. Es war am dritten Tag nach ihrer erneuten Einweisung ins Krankenhaus Sankt Ursula. Der 4. Oktober. Vom frühen Morgen an hatte sie die nun wohl endgültig letzte Untersuchung über sich ergehen lassen müssen. Und war sie bis dahin denn noch voller Hoffnung gewesen? Mich traf es, als würde ich selber ins Abgrundtiefe gestoßen. Wie soll ich es anders nennen. Mir fehlen die Worte. Und trotzdem versuche ich, etwas Ähnliches zu finden, etwas, das sich anhört wie Sprache. Ich weiß nicht, ob mir an diesem Tag die Beine wie Blei wurden. Oder ob sie einknickten, ich Halt suchte. Ich fühlte in mir nur die abgrundtiefe Leere. Verzweiflung. Nie mehr helfen zu können. Als ich kam, zur Besuchszeit, sagte mir die Ärztin: Fragen Sie Ihre Frau, sie wollte die Wahrheit wissen. Ich ging zu ihr, suchte ihr Gesicht, ihre Augen, ihre großen und schönen Augen. Mir schien, sie wären noch weiter als sonst, geweitet, indem sie mich ansah und hauchte: „Es ist Krebs...“ Und wohl auch: Sie wisse, daß sie sterben müsse.
Ich wollte schreien. Sie umkrampfte, soweit es ihre Kraft noch zuließ, meine Hand. Nebenan in den Betten lagen noch drei andere Patientinnen. Ich preßte die Faust gegen meine Lippen, verstopfte mir den Mund, biß mir in die Knöchel. Sie hatte mein Stöhnen vernommen. ‚Teddy, Teddy, du mußt jetzt sehr stark bleiben.‘ Zwei Wochen später sagte mir die Ärztin: ‚Wenn Sie erst morgen kommen, kann es vielleicht schon zu spät sein.‘ Wie klein, wie nichtig wurde dagegen alles, sinnlos das Alltägliche, es zerrann zu einem Nichts. Eine Werkstatt, das Auto, Behördenbriefe, die dringend einer Antwort harrten, jede Art Schreiben - ein Nichts vor der Übermacht des Unvermeidlichen in den nächsten Stunden. Der Tod stand so nah, und sie wußte es. Sie hatte die Ärzte bedrängt, ihr die Wahrheit zu sagen.“
Ihre Gemeinsamkeit war erfüllt von Visionen, die sie beide mit ihrem Land verbanden, in dem sie aufwuchsen. Umso stärker trifft es sie, als sie von ihrer Republik Abschied nehmen müssen. Schonungslos, nahezu philosophisch, versuchen der Autor und seine Frau sowohl die Ursachen als auch die längst erkennbaren Folgen des Scheiterns ihrer Ideale zu ergründen. Und was wird davon nicht verdämmern? Am Ende bleibt der Autor zurück - allein mit seinen bohrenden Fragen …
„Auf Liebe stand Tod“ – so lautet der Titel dieser erstmals 1983 im Verlag Neues Leben Berlin erschienenen Sammlung mit drei Novellen von Max Walter Schulz über deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg und ihre sich allmählich ändernde Einstellung zu den Menschen in dem Land, das sie überfallen haben. Ihre Liebe zu einer sowjetischen Frau spielt dabei keine unwesentliche Rolle.
Ljuba ist tot. Dass Hellriegel es durch Gitta, seine geschiedene Frau, erfährt, hat Ljuba selbst so gewollt. Und auch, dass er nach Moskau zu ihrem Begräbnis kommt, wo er Andrej, ihrem und seinem Sohn, begegnen wird. Drei Jahrzehnte sind vergangen. Doch was im Jahr 1944 an der bjelorussischen Front mit Hellriegel und Ljuba geschah, rückt plötzlich wieder sehr nah. Ein Tag, fast schon Legende, kettete sie auf Tod und Leben aneinander, zwang sie gemeinsam zum Widerstand, erzwang ihre Kraft, Trennendes zu überwinden.
„Mich interessiert die Möglichkeit des Menschseins mitten im Hass“, sagte Max Walter Schulz. In seiner neuen Novelle gestaltet er die ungewöhnliche Liebe zwischen einer sowjetischen Fliegerin und einem einstigen faschistischen Soldaten, der sein Vaterland verliert und sich selber gewinnt.
Welcher Anstrengung bedarf es für Gitta, die Bedeutung jenes einzigen fernen Tages im Leben Hellriegels zu verstehen, und welch langen Weges bedarf es für ihn, sich ganz zu befreien?
Tief in der Steppe, mitten im Zweiten Weltkrieg, begibt sich eine außergewöhnliche Geschichte: Der Soldat Röder, der als Gefangener mit einem Kommando die gefallenen Soldaten begräbt, wird von dieser Gruppe getrennt, und er findet sich wieder allein in der Nähe eines Dorfes, nunmehr als Gefangener von Frauen, die beginnen, ihre Häuser und Höfe wieder aufzubauen. Was erwartet ihn, was kann er erwarten? Er erwartet Hass und erfährt zunächst Hass. Aber im Verlauf des Geschehens verwandelt sich der Hass, und auch er selbst gewinnt neue Erfahrungen, und er wird nicht nur überleben, sondern eigentlich erst wirklich zu leben beginnen.
Zum Schluss dieses heutigen Newsletters und zur Einstimmung in die bewegende Novellensammlung von Max Walter Schulz der packende, eindringliche Anfang des 1. Kapitels von „Der Soldat und die Frau“:
„Auf einmal war die große Schlacht mitten an einem gewöhnlichen Wintertag zu Ende gewesen. Auf einmal, mit den letzten verhallenden Schüssen, stieg tiefe Stille herauf vom Fluss, kam herab vom zerkrallten Hügel, trieb mit den Wolken am unendlich weiten Himmel über die zerschossene Stadt. Noch während die Soldaten ihre Kampfstellungen verließen, überflutete die Stille die Schützengräben, die Bunker, die Feuernester in den Ruinen. Wer sich noch einmal umschaute, sah zu seinem Erstaunen, dass hinter ihm alles schon ganz anders geworden war, dass die tiefe Stille, in deren Umgebung wir die Zeit empfinden, alles eben noch ganz Gegenwärtige, mit den Händen Angreifbare, mit bloßen Augen und mit Ferngläsern tausendmal scharf Beobachtete, bereits endgültig in Vergangenes verändert hatte. Und wer sich ein zweites Mal umschaute, gleich oder später, wer es nicht beim Erstaunen über die lautlose Macht der Zeit belassen wollte, sah nur noch einmal, dass die Zeit wie tosende Brandung, aus einer fremden Tiefe kommend, an die Gestade unseres Lebens schlägt, dass keine Woge gleich ist einer anderen, keine Empfindung, keine Wahrnehmung genau wiederholbar.“