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Enttäuschung auf dem Konsulat, eine Geschichte aus der Ukraine 1918 und das Leben der Maria Bersch - 5 E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(lifePR) (Pinnow, )
In einem Konsulat in Helsingfors hatte ich mir ein Transitvisum zur Weiterfahrt nach Amerika zu beschaffen. Ich war früh elf Uhr dort noch der einzige Antragsteller; der Sekretär des Konsuls empfing mich – den Kunden – mit vollendeter Höflichkeit. Als er dann meinen deutschen Pass sah, gab er mir die Hand und drückte mich auf den Stuhl wie einen Gast. „In fünf Minuten!“ Die fünf Minuten vergingen, es wurden fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, fünfundzwanzig Minuten; vielleicht frühstückte der Konsul gerade oder las das Morgenblatt? Schließlich kam der Sekretär zurück, sein Gesicht war verfinstert, eisig, hoheitsvoll, streng. „Leider unmöglich.“ Er gab mir mit spitzen Fingern den Pass zurück. – „Ist der Pass nicht in Ordnung?“, frage ich.

– „Lassen Sie sich bitte das Visum von unserem Konsul in Hamburg oder Berlin ausstellen, an Ihrem Heimatort.“ – Aha, daher pfiff der Wind? Ich kam aus Moskau, die Sowjetvisa, der Konsul hatte mit dem befreundeten deutschen Konsul telefoniert. „Ich möchte den Konsul sprechen!“ – Der Konsul, ein mausgrauer Bürokrat, sagt schon beim Eintreten ungeduldig: „Sie haben doch unsern Bescheid!“ – Ich bleibe ruhig, erkläre, mein Schiff fährt in zwei Tagen von Göteborg, ich zeige die Einladungen von zwei New Yorker Theatern, einer amerikanischen Universität, meine Vorträge in New York beginnen in elf Tagen, für Hamburg und Berlin ist also keine Zeit. – „Tut mir leid.“ Er will gehen. – Ist schon alles verloren, so soll er wenigstens wissen, dass diese Feldwebelmanieren nicht überall ziehen. „Es war mir unbekannt, Herr Konsul“, sage ich, „dass dies Konsulat Ihres großen Landes eine Kolonie Hitlerdeutschlands ist!“ – Wie ein wilder Igel fährt der Konsul herum. „Gehen Sie, gehen Sie sofort!“

Mit dieser dramatischen Szene und mit einer großen Enttäuschung für die Hauptfigur beginnt das fünfte und letzte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 16.08. 24 – Freitag, 23.08. 24) zu haben sind – und die alle von Friedrich Wolf stammen.

Um 1935 hatte er die fesselnde Erzählung „Das Zeichen.“ geschrieben. Und der vom E-Book-Verlag vergebene Untertitel „Hoffnung in dunklen Zeiten“ ist mehr als nur symbolisch gemeint. Denn in den politischen Spannungen und wachsender Unruhe der 1930er Jahre entdeckt der Protagonist in unerwarteten Momenten Solidarität und Hoffnung. Ein Konsulat in Helsingfors und ein Schiff nach Amerika werden zu Schauplätzen kleiner, aber bedeutungsvoller Begegnungen, die zeigen, dass es selbst in Zeiten der Unterdrückung Zeichen des Widerstands und der Gemeinschaft gibt. Der eindrucksvolle Text macht deutlich, wie selbst einfache Gesten große Bedeutungen erlangen können.

In der Zeit der deutschen Okkupation der Ukraine 1918 spielt die 1935 entstandene Geschichte „Landverteilung“ von Friedrich Wolf. In einem Dorf treffen die Schrecken des Krieges auf den Mut und die Hoffnung der Menschen. Eindrücklich schildert der Autor die brutale Landnahme durch deutsche Offiziere und Kulaken, aber auch den Aufbruch und die Hoffnung im Kampf der Bauern für eine gerechte Zukunft.

1934 schrieb Friedrich Wolf „Die Geschichte der Maria Bersch. Der Lebensweg einer wolgadeutschen Bauernmagd“, die sich inmitten der Wirren der frühen Sowjetunion zu einer entschlossenen Kommunistin entwickelt. Marias Lebensweg ist geprägt von Leiden, Kämpfen und Siegen. Ihre Geschichte ist ein bewegendes Zeugnis von Mut, Widerstandskraft und von der Kraft der Veränderung in einer Zeit des politischen Umbruchs.

Bereits 1914 verfasste Friedrich Wolf die meisterhafte Erzählung „Die beiden Mütter Mammitsch“, die von zwei sehr unterschiedlichen Frauen gleichen Nachnamens handelt. Cornelia Mammitsch, eine resolute und angsteinflößende Matriarchin, verbringt ihren Lebensabend in einem kleinen Krankenhaus an der Elbe. Ihr Leben und Sterben werden auf den Kopf gestellt, als die fröhliche und kindliche Waldheuerin Christel Mammitsch ebenfalls wegen einer Krankheit eingeliefert wird. Diese Erzählung ist zugleich eine faszinierende Auseinandersetzung mit Leben und Tod und mit den Rätseln der menschlichen Existenz.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Heute geht es wieder einmal um die Zeit des Nationalsozialismus und die wachsende Bedrohung für die jüdischen Mitbürger, die immer schlimmer wird. Noch ist nicht endgültig absehbar, wie sich alles entwickeln wird, aber die Schrecken sind immer deutlicher zu ahnen …

Professor Mamlock. Ein Schauspiel“, das 1933 im französischen Exil verfasst worden war, hatte seine Weltpremiere am 19. Januar 1934 im Jüdischen Theater Kaminski in Warschau, wo es in jiddischer Sprache unter dem Titel „Der Gelbe Fleck“ aufgeführt wurde. Die deutsche Erstaufführung mit Kurt Horwitz und Wolfgang Langhoff in den Hauptrollen fand am 8. Dezember 1934 im Zürcher Schauspielhaus unter dem Titel „Professor Mannheim“ statt. In der Sowjetunion wurde das Schauspiel 1938 erstmals, 1961 von der DEFA ein zweites Mal verfilmt. Regie führte Wolfs Sohn Konrad. Die Rolle des Professors Hans Mamlock hatte Wolfgang Heinz übernommen – selbst jüdischer Herkunft und auch deswegen ins Exil gezwungen.

Im Jahr 1933, als der Schatten des Nationalsozialismus über Deutschland fällt, kämpft Professor Hans Mamlock, ein angesehener Chirurg jüdischer Herkunft, verzweifelt gegen die aufkommende Barbarei und den wachsenden Antisemitismus. Als die politischen Spannungen nicht zuletzt in der eigenen Familie eskalieren, wird Mamlock in eine moralische Krise gestürzt, die seine Berufung, seine Familie und sein Leben bedroht. Friedrich Wolfs meisterhaftes Drama „Professor Mamlock“ zeigt eindringlich den Zerfall einer Gesellschaft und das Ringen eines Mannes um Würde und Menschlichkeit. Ein zeitloses Werk, das auch heute noch erschreckend aktuell ist.

Zu DDR-Zeiten war „Professor Mamlock“ von Friedrich Wolf Pflichtlektüre in der Schule und ein gern gewählter Prüfungsstoff.

Im folgenden Auszug aus Friedrich Wolfs "Das Zeichen. Hoffnung in dunklen Zeiten" wird eine Szene beschrieben, die tiefgreifende Ambivalenz und unerwartete Solidarität inmitten eines repressiven Umfelds zeigt. Der Protagonist begegnet einem mächtigen Konsulatsdiener, der auf den ersten Blick als personifizierte Bedrohung erscheint. Doch am Ende offenbart sich ein überraschendes Zeichen der Verbundenheit, das in der Dunkelheit dieser Zeit ein Lichtstrahl der Hoffnung aufscheinen lässt. Die Szene wirft Fragen auf, die den Leser nachdenklich stimmen und die Unsicherheiten dieser Epoche greifbar machen.

Erst jetzt bemerke ich, wie an der Tür sich eine brachiale Gestalt postiert hat, ein mächtiger Kerl, ein Konsulatsdiener. Er reißt die Glastür auf, mit solchem Ruck, dass ich das Gefühl habe: Du bekommst jetzt zum Abschied aus diesem freundlichen Institut noch einen Schlag ins Genick. Zu allem Überfluss begleitet mich der Zerberus noch zum Lift, er steigt sogar mit ein, wahrscheinlich, damit ich auch bestimmt das Haus verlasse und kein Unheil anrichte. Ich habe eine Wut auf diesen Kerl mit seinen riesigen Kofferhänden und seiner sturen militärischen Haltung, der Personifikation eines ganzen Systems. Aber er soll ja nicht glauben, dass er mir imponiert, er, der Prätorianer, ebenso wenig wie sein Konsul! Wie der Fahrstuhl unten aufsetzt, sehe ich ihm feindlich in die Augen und sage: „Good–bye, Sir!“ Er kneift die Augen zusammen, während er mich hinauslässt und die Gittertür des Lifts wieder schließt. „Good–bye, Sir!“, erwidert er, und dann hebt er den Arm, die Faust und macht das Zeichen. Ich erfasse es zuerst nicht, so wenig bin ich darauf vorbereitet, in Helsingfors, in einem halbfaschistischen Konsulat; schon fährt er langsam nach oben, aber durch das Gitter des Fahrstuhls sehe ich, wie er nochmals die Faust schnell zum Rotfrontgruß hebt, der riesige Konsulatsdiener.

Ich muss sagen, ich habe mir tagelang nachher überlegt, ob dieser Gruß des Portiers nicht doch eine Täuschung war – es ging alles so schnell – oder vielleicht sogar eine Verspottung. Man wird unterwegs misstrauisch. Aber wie ist dieser zweite Fall zu beurteilen?

Im folgenden Auszug aus Friedrich Wolfs Geschichte „Landverteilung“ wird eine brutale Episode der Unterdrückung und Gewalt während der Zeit der Landverteilung geschildert. Der Protagonist und seine Mitstreiter, die zunächst Hoffnung auf gerechte Verteilung des Landes hegten, erleben stattdessen die gnadenlose Härte eines Systems, das die Macht in den Händen der wohlhabenden Kulaken konzentriert. Die Szene verdeutlicht die grausame Realität, der die einfachen Leute ausgesetzt waren, und entlarvt die bittere Ironie hinter dem Versprechen von Land und Freiheit. Die rohe Gewalt, mit der diese Täuschung durchgesetzt wird, hinterlässt tiefe Wunden – sowohl körperlich als auch seelisch – und zeigt die Verzweiflung und den Schmerz einer unterdrückten Bevölkerung.

Der Kulak Sattler, den wir ,Zwiebel' nannten, weil er seinen Knechten als Abendbrot bloß trocknes Brot mit Zwiebeln gab, Zwiebel und der Schulze sprachen flüsternd auf den Major ein.

,Also angefangen!', sagte der Offizier. ,Tragt eure Namen hier in der Liste ein, vor allem auch genau, wie viel Dessjatinen Land ihr wollt!'

Der Offizier sprach sehr höflich und wie ein gebildeter Mensch; auch hatte er uns zuvor ,deutsche Brüder' genannt. Einzelne begannen umständlich ihre Namen mit der Zahl der geforderten Dessjatinen aufs Papier zu malen.

,Kommt hierher, hier sind die Akten!‘, sagte ein anderer Offizier und zog, die unterschrieben hatten, in denNebenraum.

Nach zwei Minuten hörten wir einen Schrei und klatschende Hiebe. An den Türen standen, wie aus dem Boden gestampft, deutsche Soldaten mit Gewehren und Kulaken mit Revolvern. Man stieß uns in das Nebenzimmer und von da in den ,Brummer', den Arrest … immer zwei und zwei Mann. Ringsum standen Feldwebel, Gendarmen, Kulaken mit Waffen. Die Kulakensöhne hatten bereits Weidenstöcke in heißes Wasser gelegt, die Unteroffiziere ihre Ladestöcke aus den Gewehren genommen, und die Feldwebel standen mit den Säbeln da.

,Wo ist der Hert?‘, schrie ein Kulak. ,Der rote Hund war im Armenkomitee.‘

,Wir wollen euch Land verteilen!‘, rief ein anderer; und schon hagelte es Hiebe. Ich hielt meinen rechten Arm zum Schutz vor mein Gesicht, von dem schon das Blut lief, aber da traf mich ein Schlag mit dem Säbel, mein Arm fiel wie tot herunter; sie warfen mich über eine Pritsche, rissen mir die Hosen herab, und dann schlugen sie auf mich ein, mit den Weidenstöcken, mit den Ladestöcken der Gewehre, mit der stumpfen Seite der Säbel. An meiner Seite stand ein Kulak; er sagte: ,So, jetzt bekommst du ja Land … eine Dessjatine, zwei Dessjatinen, drei Dessjatinen …‘ Und jedes Mal sauste ein Hieb auf meinen nackten Körper, bis ich ohnmächtig wurde. Bevor ich die Besinnung verlor, musste ich vor Schmerz Kot lassen; da sagte ein Kulak: ,Jetzt hast du Lehm, jetzt kannst du dein Haus bauen!' Den alten Boländer haben sie richtig totgeschlagen; ich glaube, sie haben ihm fünfzig Dessjatinen zugeteilt! Der alte Wüst ist bald darauf an Lungenbluten gestorben. Wir alle lagen wie Klumpen rohes Fleisch in dem Arrest, der Boden schwamm nur so von Blut. Und draußen spielte die deutsche Militärmusik und tanzten unsere Mädels und Frauen mit den Soldaten. Sie konnten das ja im Augenblick nicht wissen.

Als wir abends herausgeschleppt wurden, sagte der Kulak Riedinger, während der Schulze und der Offizier dabeistanden: ,So, habt ihr jetzt genug Land? Ich glaube, das genügt für ewige Zeiten!'

Im folgenden Auszug aus Friedrich Wolfs „Die Geschichte der Maria Bersch. Der Lebensweg einer wolgadeutschen Bauernmagd“ wird der unbeugsame Kampf einer einfachen Frau gegen die Widrigkeiten ihres Lebens und die Unterdrückung durch mächtige Interessen geschildert. Maria Bersch, die sich entschlossen hat, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, kämpft unermüdlich gegen die Widerstände, die ihr von den Kulaken und anderen Gegnern des Fortschritts entgegengesetzt werden. Mit Mut und Entschlossenheit engagiert sie sich für die Rechte und das Wohl der Frauen und der ärmeren Bevölkerungsschichten, gründet Organisationen und kämpft für Bildung und soziale Gerechtigkeit. Ihr Weg ist geprägt von harter Arbeit, Entbehrungen und ständiger Bedrohung, doch sie bleibt standhaft und erreicht mit der Zeit immer mehr Erfolge, die das Leben der Menschen in ihrer Gemeinschaft nachhaltig verbessern.

Jetzt begann mein Kampf. Ich war fest entschlossen, Schluss zu machen mit allem Vergangenen, mit der Feigheit und mit der Lüge. 1922 bis 1924 war ich Köchin im Kinderheim Mariental an der Wolga. Ich wurde gleich ins ,Komitee für gegenseitige Hilfe‘ gewählt, ins Frauenaktiv und als Delegierte für Frauenarbeit. Das war 1922. Jede Woche hatten wir Versammlung. Wir wurden angeknüpft an den Dorfrat, die Kreditgenossenschaft, das Volksgericht, das Kantonvollzugskomitee; wir mussten feste praktisch arbeiten. Ich selbst als Köchin wurde gleich die erste dortige Frauenorganisatorin. Im gleichen Jahr wählte man mich in den Dorfrat.

1923 begannen die Klassenkämpfe im Dorf. Ich wurde nicht mehr gewählt. Die Kulaken begannen zu wühlen. Unter eintausendsechshundertsechzig Bauernhöfen bei uns – darunter Hunderte von Kulakenhöfen – wurde bloß zweien das Stimmrecht entzogen. Die Kulaken hetzten gegen mich. Ich hieß überall die ,Kommunistenmarie‘.

1924 wurde ich Aufräumerin in einer Bauernjugendschule. Dort war ich etwas freier. In den Abendkursen liquidierte ich mein Analphabetentum. Ich saß da manche Nacht über meinen Büchern und Schreibheften. Ich war vierunddreißig Jahre. Im Frühjahr 1925 organisierte ich das erste Frauenartel. Lauter Witweiber waren wir, zwanzig Witwen, ich war der Organisator. Wir säten fünfzehn Hektar, davon gruben wir sieben Hektar mit der Hand; die übrigen Hektar ackerte für uns das ,Komitee für gegenseitige Hilfe'; wir hackten ihm dafür die Hackfrüchte. Die Kulaken hetzten wie wild gegen uns. Man verspottete und verhöhnte uns. Aber wir zwanzig armen Witwen arbeiteten und hatten eine gute Ernte. In diesem Jahr trat ich in die Partei ein. 1926 säte unser Witwenartel schon zwanzig Hektar. Und wieder hatten wir einen guten Erfolg. Keine Kulakenhilfe hatten wir in diesen Jahren benutzt, keine. Jetzt kamen noch drei Frauen unseres Artels zur Partei. 1926 bis 1927 war ich kommandiert zur Räteparteischule. Ich beendete alle Kurse mit Erfolg. Ich heiratete zum zweiten Mal, den Parteigenossen und ehemaligen Armbauern Jacob Bersch. 1928 wurde ich im Nachojer Rayon stellvertretende Vorsitzende der Molkereigenossenschaft, zugleich hatte ich als Parteiarbeit die Frauenorganisation von fünf Dörfern. Dort herrschte ein sehr starker Klassenkampf. Oft wurde abends auf uns geschossen. Wir organisierten die erste Kinderkrippe. Ich gründete die erste Geflügelfarm in diesem Rayon. Wir kämpften gegen die Spekulanten, gegen das Kulakentum, gegen das Lumpenproletariat, gegen Diebstahl, Spekulation, Sabotage, gegen Schmutz und Krankheit, gegen Schwäche und Verhetzung. Wir gingen mit der ersten Selbstbesteuerung voran. Langsam, nur langsam begann das Misstrauen gegen uns zu weichen.

Im folgenden Auszug aus Friedrich Wolfs „Die beiden Mütter Mammitsch“ wird die Begegnung zweier Frauen mit demselben Namen, aber sehr unterschiedlichen Lebensumständen, beschrieben. Die eine, die alte Cornelia Mammitsch, liegt schwerkrank und nah am Tod, während die andere, die Waldheuerin Christel Mammitsch, trotz ihres hohen Alters und gesundheitlichen Beschwerden noch voller Lebenswillen ist. Als die beiden im selben Zimmer zusammengebracht werden, entwickelt sich eine merkwürdige Beziehung. Cornelia, die in ihrer Krankheit von düsteren Gedanken geplagt wird, findet in der Anwesenheit ihrer Namensvetterin eine seltsame Befriedigung darin, sie mit Geschichten von Tod und Hölle zu ängstigen. Diese unheimliche Dynamik zwischen den beiden Frauen spiegelt die Spannungen zwischen Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung wider und lässt den Leser über die unterschiedlichen Wege nachdenken, wie Menschen ihrem Lebensende entgegensehen.

Eines Mittags konnte die Mutter Mammitsch ihr Bett nicht mehr verlassen. Ihr Atem ging hohl, sie rang nach Luft, die Stimme versagte. Als der Arzt erschien, war der erste Anfall bereits beendet; aber die Alte blieb seither an ihr Bett gefesselt. Die Kinder und Kindeskinder kamen und legten der Oberin verdoppelte Sorge mit verdoppelten Versprechungen ans Herz. Die Speisen wurden sorgfältig ausgewählt, mit Nähressenzen versetzt; der Sauerstoffapparat blieb in ihrem Zimmer. Bei Nacht hüteten Vollwachen ihren Schlaf. So konnte der Mutter Mammitsch eigentlich nichts fehlen; und dennoch nahm sie täglich ab – lag ein dumpfer Groll, ein dumpfes Verlangen in ihren Augen. Selbst die erbaulichen Gespräche der Frau Oberin konnten ihren Unmut, ja ihre Unruhe nicht besiegen. Etwas fehlte ihr. Etwas regte sie auf, wenn sie das Lachen und die Lieder der genesenden jungen Leute aus dem Garten hörte. „Ihre Lebensgewohnheit ist unterbrochen; es fehlt ihr an gleicher Geselligkeit!“, schloss die Oberin.

War es Zufall oder war es ein Sinn, dass um diese Zeit eine alte Waldheuerin, welche ebenfalls Mammitsch hieß, wegen „schlechter Beine“ sich in das Krankenhaus aufnehmen ließ! Die alte Christel Mammitsch litt schon seit Jahren an Krampfadern; diesen Winter aber wollten sie ihre Beine nicht mehr tragen.

„Nur nicht hinlegen“, sagte sie; „denn wenn ich liege, so kann ich nicht mehr aufstehen.“

Sie bot einen zu spaßigen Anblick, wie sie mit ihrem Stock, der früher ein Regenschirm war und noch vereinzelte Felgen aufwies, über die blank geputzten Fliesen heranklapperte. Sie hatte noch, trotz ihres unbestimmbaren hohen Alters, blondes Haar, ein rosenrotes Kindergesicht mit glashellen blauen Augen, dagegen den Rücken einer Greisin, ganz verhutzelte kleine Händchen, ein Gewand, welches an Johannes den Täufer erinnerte, und einen trippelnden unsicheren Gang. „Nur nicht hinlegen“, lächelte sie mit bangen Augen die Oberin an, und alle Umstehenden lachten.

Es war gegeben: Man beschloss, die alte Christel Mammitsch zur Erheiterung und Unterhaltung der sterbenden Cornelia Mammitsch in das Extrazimmer zu legen. Es wurde also mit Erlaubnis der Frau Cornelia, welche kaum die Kraft zum Ja- oder Neinsagen zu haben schien, der gute lederne Lehnsessel für die Christel Mammitsch, die „nur nicht liegen“ wollte, hergerichtet. Dann saß auf einmal die Christel strahlend, lächelnd, mit ihren rosenroten Kinderwangen in dem schönen Gestühl und verhielt sich, wohlbelehrt und lautlos, bis ihre Partnerin gegenüber aus ihrem Mittagsschlaf erwache. Inzwischen wurde das bisher unbelegte Bett mit dem Linnen und Deckzeug der dritten Klasse versehen. An das Kopfende kam die schwarze Stange mit dem Galgen, und daran hing die schwarze Tafel mit der Signatur in weißer Kreide: C. Mammitsch. Das Schild konnte wie ein Spiegelbild des gegenüberliegenden Bettes erscheinen; denn auch an diesem hing an dem Galgen die schwarze Tafel, auf der mit weißer Kreide stand: C. Mammitsch.

Später, als die Frau Cornelia erwachte, schien auch sie über den seltsamen Gast einigermaßen erstaunt zu sein. Doch versagte sie jener ihr Zimmer nicht, sondern gewann vielmehr einiges Interesse an ihrem Spiegelbild. Sie nahm der Waldheuerin gegenüber eine belehrende Rolle ein, sprach oft vom Tode und weidete sich, wenn sie dem einfachen Weiblein von den grausen Schrecken des Jüngsten Gerichtes mit beißender Stimme reden konnte. Oft musste die Christel bis spät in die Nacht hinein mit kalten und heißen Schauern und klappernden Zähnen diesen gespenstischen Fantasien von Hölle und Fegefeuer lauschen, während die schon sterbende Cornelia sich an dem schmerzhaften Entsetzen ihrer Vetterin zu verjüngen schien.

Im folgenden Auszug aus Friedrich Wolfs „Professor Mamlock“ wird das dramatische und schmerzhafte Ringen eines Arztes mit den Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik auf sein Leben und seine Berufung dargestellt. Professor Mamlock, ein angesehener Chirurg und engagierter Mediziner, sieht sich plötzlich durch die neuen, antisemitischen Gesetze des NS-Regimes von seiner Arbeit und seinem Lebenswerk ausgeschlossen. Trotz der eindringlichen Bitten seiner Frau, sich zurückzuziehen und die politische Realität zu akzeptieren, weigert sich Mamlock, seine Berufung aufzugeben. Getrieben von seinem tief verwurzelten Pflichtgefühl und der Überzeugung, dass seine Arbeit unverzichtbar ist, versucht er, sich gegen die Repressionen zu wehren, was seine innere Zerrissenheit und die Verzweiflung über die radikale Veränderung seines Lebens deutlich macht. Dieser Konflikt spiegelt die Tragödie vieler Menschen wider, die durch das Regime nicht nur ihrer beruflichen Existenz, sondern auch ihrer Identität beraubt wurden.

April 1933 – Nach dem Judenboykott, bei Verkündung des neuen Gesetzes „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums'' (Ausschluss der Juden aus allen Staatsämtern, Richterstellen, Arztbeamtenstellen; der „Arierparagraf'' auch für die deutsche Turnerschaft, die Konzertsäle, Bühnen, Tennisklubs, Badeanstalten, Buchverlage). – Wohnzimmer bei Mamlock wie im zweiten Akt.

MUTTER: Hans, jetzt hast du die Ruhe, die du oft dir gewünscht.

MAMLOCK ruhelos auf und ab.

MUTTER: Jetzt kannst du endlich wissenschaftlich arbeiten.

MAMLOCK: Wo ist Rolf?

MUTTER schweigt.

MAMLOCK: Weißt du’s nicht?

MUTTER: Ich weiß nur, dass heute wieder fünfzig Kommunisten verhaftet wurden, durch die SA-Kasernen in die Zellengefängnisse gebracht, in Schutzhaft, in Konzentrationslager …

MAMLOCK: Der Junge ist zwanzig Jahre alt; er weiß, was er tut. – Man muss dies Zimmer hier als Operationsraum einrichten …

MUTTER: Aber, Hans, Liebster, sei endlich vernünftig! Du hast noch Ersparnisse, dein Bankkonto, du kannst davon fünf bis sechs Jahre leben, arbeite jetzt wissenschaftlich, zieh dich zurück, lass doch diese ganze verrückte Welt, dieses Narrenhaus da draußen.

MAMLOCK in sich verbohrt: Ich muss arbeiten.

MUTTER: Aber natürlich, aber versteh doch, aber was willst du denn … Mit Zeitung. Hier die Verfügung „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, hast sie mir doch selbst gezeigt: Alle nichtarischen Ärzte sind sofort aus den öffentlichen Krankenhäusern zu entlassen, ebenso die Juristen, Gelehrten, Lehrer, die kleinsten Beamten aus ihren Stellen! Was wollt ihr denn noch? Das ist jetzt Gesetz!

MAMLOCK: Gesetz, Gesetz … Du kannst mir verbieten zu atmen, du kannst meinem Blut verbieten, dass es durch Herz und Lunge fließt, genauso kannst du mir verbieten zu operieren, zu helfen, ein Skalpell anzufassen, eine Wunde zu nähen, die Gallenblase und Leber zu tasten und meine Diagnose zu stellen. Schreiben, mich in mein Studierzimmer zurückziehen … ja, mit siebzig Jahren. Heftig. Hier kommt der Operationsraum hin, hier der Sterilisator, hier das Waschbecken, mein Arbeitszimmer wird der Vorbereitungsraum …

MUTTER: Muss denn alles so plötzlich sein, so ruckzuck …

MAMLOCK: Ich habe keine Zeit, das Leben ist so kurz … es ist auch nur für den äußersten Fall. Vorerst werde ich in meine Klinik gehen.

MUTTER: Du bist toll, du kennst die Verfügung?

MAMLOCK: Es ist meine Klinik, mein Krankenhaus, ich habe es aufgebaut aus dem Nichts: Jedes Waschbecken, jeden Desinfektor, jeden drehbaren Operationstisch, jedes Querbrett nach meinen speziellen Angaben. Er zieht hastig seine Hausjacke aus. Ich lasse mich nicht einschüchtern, ich gehe zu meinem Dienst.

MUTTER hält ihn: Sie verhaften dich, Hans!

MAMLOCK: Einen Mann, der vier Jahre im Felde stand an der Front, der verschüttet und verwundet wurde, der zu seinen Kranken muss, zu chirurgischen Kranken, verstehst du … Zieht seinen Straßenrock an.

Auch dieser Newsletter präsentiert eine Auswahl von Texten des Arztes, Schriftstellers und überzeugten Kommunisten Friedrich Wolf, der selbst jüdischer Herkunft war. Sie zeigen nicht nur seine beeindruckende Art und Weise zu schreiben, sondern auch seine klare politische Haltung und Weltsicht. Friedrich Wolf begriff die Welt als eine Welt, die zu verändern ist und die verändert werden kann. Und er glaubte trotz seiner bitteren Erfahrungen mit Faschismus und Stalinismus bis zuletzt an das Gute im Menschen und an die Veränderbarkeit der Welt in Richtung Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Schönheit.

Zu seinen wahrscheinlich bekanntesten und erfolgreichsten und inzwischen leider wieder sehr aktuell wirkenden Stücken gehört „Professor Mamlock“, in dem sich Wolf auch mit der Frage auseinandersetzte, wie politisch oder unpolitisch man sein kann und darf. Darf man in schrecklichen Zeiten wie im Nationalsozialismus und den zunehmenden Judenverfolgungen überhaupt unpolitisch sein? Und welche Parallelen gibt es zu heutigen gefährlichen Entwicklungen? Was bedeutet Zivilcourage in der Gegenwart? Das Stück scheint auf den einen Schlüsselsatz hin geschrieben zu sein, die der Autor Professor Hans Mamlock im vierten Akt sprechen lässt: „Denn kein größeres Verbrechen gibt es, als nicht kämpfen wollen, wo man kämpfen muß!“

Aus heutiger Sicht ist diese Aussage zum einen sehr verständlich, zugleich stellt sich aber die Frage, ob sie immer noch so uneingeschränkt gültig ist. Stoff zum Nachdenken und für politisch-literarische Diskussionen …

Kleine Literaturempfehlung dazu nebenbei als Anregung: https://www.eckhard-ullrich.de/buecher-buecher/1144-friedrich-wolf-professor-mamlock

Besondere Beachtung verdient auch Wolfs Erzählung „Das Zeichen. Hoffnung in dunklen Zeiten“, die zwei Jahre nach dem Machtantritt der Nazis in Deutschland geschrieben wurde – als die Zeiten immer dunkler wurden. Und dennoch gelingt es dem Autor und seinem literarischen Helden, kleine, aber wichtige Zeichen der Hoffnung zu entdecken – eben Hoffnung in dunklen Zeiten.

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die neuen Sonderangebote für den vierten und letzten August-Newsletter liegen schon auf der Verladerampe.

Dazu gehört auch das erstmals im Jahre 2000 erschienene Buch mit dem neugierig machenden Titel „Der Sohn des Gestiefelten Katers“ von Klaus Möckel. Dieser Sohn seines berühmten Vaters heißt Weißpfote und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Welt zu erkunden. Als er eines Tages auf die Jagd geht, ahnt er nicht, dass er bald auf ein großes Abenteuer geschickt werden wird. Ein Zauberer entführt ihn, um sich an seinem Vater zu rächen. Doch Weißpfote ist mutig und schlau - wie schon sein Vater. Und er besitzt magische Stiefel …

EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 29 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Der Verlag gibt Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher als barrierefreie E-Book heraus, einige auch als Hörbuch. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.400 Titel. Die Printsparte des Verlages war Ende vergangenen Jahres von Ralf Jordan vom Geschichtlichen Büchertisch als Imprint übernommen worden.

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