Aber nicht nur nach Volksstämmen und Zonen, auch nach verschiedenen geistigen Bezirken traten diese Arbeiter der Feder an. Drei Tage lang dauerten die Redeschlachten.“ Und Friedrich Wolf war dabei, wie aus dem fünften und letzten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters hervorgeht, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 29.11. 24 – Freitag, 06.12. 2024) zu haben sind. Seine 1934 entstandene Erzählung trägt den Titel „Der illegale Sprecher“. Was hat es sich damit auf sich? Wer ist der illegale Sprecher? Mitten in den heftigen Debatten über die Zukunft der Sowjetliteratur kommt es zu einer packenden Szene, in der ein scheinbar unbedeutender Redner, ein Arbeiter aus der tartarischen Minderheit, die Konferenz durch seinen unnachgiebigen Appell aufrüttelt. Was als Diskussion über Literatur beginnt, wird zu einer symbolischen Schlacht um Redefreiheit, Meinungsvielfalt und revolutionäre Traditionen. Mit scharfsinnigen Dialogen und beeindruckender Erzählkunst zeigt Wolf, wie kleine Stimmen in der Geschichte zu großen Veränderungen führen können. „Der illegale Sprecher“ ist ein lebendiges Zeugnis eines aufstrebenden Sowjetstaates und eine eindringliche Reflexion über die Macht des Wortes. Hören wir noch einmal Friedrich Wolf, der 1931 gemeinsam mit der Stuttgarter Ärztin Else Kienle auf Einladung des Volkskommissars für Gesundheitswesen die Sowjetunion bereiste. Wolf und Kienle waren wegen ihres Eintretens gegen den berüchtigten Abtreibungsparagrafen § 218 im Februar 1931 kurzzeitig inhaftiert worden, was eine große Protest- und Solidaritätsaktion auslöste. Und damit wieder zurück nach Moskau im Sommer 1931:
„Ich kam grade in eine Abendsitzung. Es ging heftig her. Gestritten wurde um die damals brennende Frage der „kleinen und großen Form“. Ob im jetzigen Stadium der Sowjetliteratur die „kleine“ Form der Reportage der Arbeiterkorrespondenten das Gebotene sei, die Zweckliteratur der Wirtschaftsfront, oder ob man schon allgemein über diese Kampfliteratur zur „großen“ Form der unpolitischen „Kunst“ vorstoßen könne. Die einzelnen Gruppen schickten ihre Wortführer ins Gefecht. Nach langen, sehr gründlichen Diskussionen, während derer die Meinungsschlacht hin und her tobte, klärte sich schließlich die Situation: Die Ultralinken der reinen Kampfliteratur waren zugunsten einer neuen Sowjetkunst zurückgedrängt, überzeugt oder zur Mehrheit übergetreten.
Man wollte zu einem neuen Thema übergehen. Da meldete sich ein neuer Sprecher noch einmal zu der „kleinen Form“ zum Wort. Die Mehrzahl lehnte die Fortsetzung dieser Diskussion ab. Aber Fadejew – grade ihn hatte der neue Sprecher vorher kurz angegriffen –, Fadejew forderte Redefreiheit für seinen Gegner.“ Was hat er ihnen zu sagen? Auch die anderen vier Sonderangebote des heutigen Newsletters haben ein- und denselben Autor: Friedrich Wolf.
Aus dem Jahre 1929 stammt seine bittere Satire „General Nobile verabschiedet sich von seiner auf der Eisscholle zurückbleibenden Mannschaft. Aufgefangen von Palle Pool, Kurzwellenhörer“, in der Friedrich Wolf den Abenteurergeist und die Eroberungswut der 1920er Jahre scharf kritisiert. In einer fesselnden Rede lässt Wolf den berüchtigten General Nobile seine triumphale, aber tragische Expedition zum Nordpol preisen. Doch bald entlarvt er sich in der Darstellung von Friedrich Wolf selbst.
Ebenfalls aus dem Jahre 1929 stammt „Feuerwehr – Die Logik der Kinderwelt“, in der Friedrich Wolf die faszinierende Geschichte eines Jungen erzählt, dessen kindlicher Drang, die Welt um ihn herum nach seinen eigenen Regeln zu gestalten, auf die strengen Erwartungen der Erwachsenen prallt. Dieser Text ist ein zeitloser Klassiker, der auf humorvolle und nachdenkliche Weise zeigt, dass Kinder ihre eigenen Wege finden, die Welt zu verstehen - oft auf unerwartete Weise.
In der bewegenden Erzählung „Faust gegen Faust“ aus dem Jahre 1934 geht es um den unermüdlichen Kampf der verarmten Bauern gegen die mächtigen Kulaken im zaristischen Russland. Inmitten von Revolution und sozialer Umwälzung steht Friedrich Quint, ein Mann, der sich von einem einfachen Bauernknecht zum Anführer der ländlichen Armengruppe entwickelt.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wieder einmal geht es um die Hölle des Krieges, aber auch um den Sinn des Lebens – trotz aller Schrecken.
1917 schrieb Friedrich Wolf die Erzählung „Der Sprung durch den Tod“, die im Ersten Weltkrieg spielt. Der Autor, ein Meister des literarischen Realismus, zeichnet ein bewegendes Bild vom Leben und Sterben an der Front. Er lässt seine Leserinnen und Leser die intensive Freundschaft zwischen zwei Soldaten miterleben, die durch die Hölle des Krieges gehen, und zeigt die Schönheit und Brutalität der Natur, die als stummer Zeuge dieser tragischen Ereignisse dient. Dieses E-Book bietet nicht nur eine eindrucksvolle Schilderung des Krieges, sondern auch tiefgehende Reflexionen über das Menschsein, über Mut, über den Tod und über die Suche nach Sinn in einer chaotischen Welt.
In der folgenden Passage aus „Der illegale Sprecher“ entfaltet sich die dramatische Zuspitzung der Ereignisse während der Konferenz der allrussischen Schriftstellerverbände. Mit einer Mischung aus Sturheit und Überzeugungskraft stellt sich Wolodka, ein Arbeiter aus der tartarischen Minderheit, der wachsenden Feindseligkeit und dem Druck seiner Gegner entgegen. Die Szene spiegelt eindrucksvoll die Atmosphäre des Kampfes um Redefreiheit und den Mut, sich gegen die überwältigende Mehrheit zu behaupten. Friedrich Wolf illustriert hier meisterhaft, wie ein einzelner Mensch, der fest zu seinen Überzeugungen steht, selbst in den schwierigsten Momenten nicht nur durch Worte, sondern durch seine Haltung beeindruckt und Veränderung bewirken kann.
„Wolodka, fünfzehn Minuten!“, rief jetzt schon Dreiviertel des Saales, und Hunderte von Händen mit Uhren reckten sich gegen Wolodka. Die Lärmwelle war so stark, dass der Redner eine Sekunde innehielt, seine eigene Uhr zog und wohl im Bruchteil einer Sekunde das Missverhältnis der noch übrigen fünf Minuten zu seinem so wichtigen zweistündigen Manuskript erwog.
„Zwei Minuten, Wolodka! Eine Minute!“, droht jetzt der Chor seiner Gegner. Die Redezeit steht vor dem Ende. Wolodka blickt vom Manuskript auf, schaut auf die drohende Übermacht und auf das Häuflein seiner Getreuen. Seine Sache scheint verloren. Er erkennt das wohl selbst. Er greift nach der Wasserflasche des Rednerpultes, füllt mit aller Ruhe das Glas. „Schluss!“ – „Komm zu Ende!“, schallt es von allen Seiten. „Ich komm zum Ende …“, meint Wolodka, „lasst mich das Wasser trinken.“ - „Die Zeit ist um“, ruft man. „Ihr verweigert dem Redner das Wasser?!“, hält Wolodka das Glas in der Hand. „Na, das Wasser sei ihm gewährt!“, lacht Fadejew. „Trink dein Wasser!“, ruft der ganze Saal.
Wolodka schaut auf die Masse seiner Gegner; er nippt mit halbverkniffenen Augen an dem Glas. Dann setzt er ab und beginnt sein Schlusswort. Nur hin und wieder wirft er einen Blick in das Manuskript. Er ist jetzt im Zuge, er hat die Situation in der Hand, die Schläge hageln von seiner Seite nur so gegen die „Schönschreiber“, gegen die Vollstopfer der dicken Bände, gegen die „Ballonfüller“. Man bleibt ihm nichts schuldig. Die Gegner drängen zum Rednerpult. Immer wieder: „Schluss!“ – „Du sprichst schon ’ne halbe Stunde!“ –- „Die Zeit ist längst um.“ Gegen das Trommelfeuer der erregten Zurufe und der vorgestreckten Fäuste mit den Uhren steht Wolodka in eiserner Ruhe auf seinem Pult und hebt nur wie ein geheiligtes Symbol das Glas Wasser. „Trink schon leer!“ – „Sauf schon aus!“, ruft es von allen Seiten. „Wird schon werden, wird schon werden“, lächelt Wolodka, tut einen winzigen Schluck und spricht weiter. „Betrug!“ – „Schiebung!“ – „Sabotage unserer Sitzung!“ – „Das Wort entziehen, Schluss, abstimmen!“
In der folgenden Passage aus „General Nobile verabschiedet sich von seiner auf der Eisscholle zurückbleibenden Mannschaft. Aufgefangen von Palle Pool, Kurzwellenhörer“ entfaltet sich die scharfsinnige und satirische Kritik Friedrich Wolfs an der Selbstinszenierung des Abenteurers General Nobile. Die Szene offenbart, wie heroische Phrasen und nationalistischer Pathos in ihrer Übersteigerung zu einem tragikomischen Monolog werden, der die Absurdität geopolitischer Ambitionen und die Schwächen menschlicher Eitelkeit entlarvt. Die Lesenden werden Zeugen einer Rede, die zwischen Pathos und Parodie schwankt und so den wahren Preis der Eroberung und des Ruhmes aufzeigt.
(Heftiges Gemurmel.)
Leute! Ich fühle in eurer Bewegung die Zustimmung! Wie könnte es anders sein! Die Ertüchtigung unsrer Nation hat in uns ihre herrlichsten Protuberanzen erzeugt, und wenn auch die Walrosse ihre Augen rollen, an unserm Wesen wird die Welt genesen, unsre Belange sind hiermit gesichert, unverbrüchlich … oder wie Goethe sagt:
„Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten …“ –
Die Fahne steht, wenn der Mann auch fällt!
Mitkämpfer, Söhne des Ruhms!
In der folgenden Passage aus „Feuerwehr – Die Logik der Kinderwelt“ entführt Friedrich Wolf die Lesenden in die kindliche Welt eines Jungen, dessen Abenteuerdrang und unerschütterlicher Wille, sich als Held zu beweisen, eine dramatische Wendung nimmt. Die Szene zeigt, wie kindliche Fantasie und die Realität aufeinandertreffen, wodurch ein lebhaftes und zugleich nachdenklich stimmendes Bild von Unschuld, Gefahr und den unvorhersehbaren Konsequenzen kindlicher Einfälle entsteht. Die Leseprobe bietet einen Einblick in die spannungsgeladene und humorvolle Darstellung, die typisch für Wolfs Erzählkunst ist.
Das war mein Augenblick. Ich hatte genau gesehen, wie es gemacht wurde. Ohne mit der Wimper zu zucken, jeder Zoll ein Mann, stand ich mit dem metallenen Spritzenende auf dem Blechdach und kommandierte: „Erster Hydrant klar! Wasser weiter vorlegen! Sprungtuch und Brandleiter … marsch, marsch!“ Die nächsten Befehle brachte ich nur hustend hervor. Rauch und Flammen kamen schon über mich hinaus. Ich rutschte auf dem Dach etwas rückwärts und spritzte ein dünnes Strählchen in das Feuermeer. Aber selbst das versagte nach einer Minute; der Schlauch war durchgebrannt.
Ganz Nerv stand ich oben und übersah die Lage. Es war nichts mehr zu retten. „Menschenleben waren nicht zu beklagen.“ Ich hatte meine Pflicht getan. Es blieb nur noch ein Rettungsweg für mich selbst. Rückwärts. Dort stieß an unseren Garten der Hof des Fotografen Eisele. Angelehnt an unsere Mauer hatte er seine Tische mit neuesten Fotoplatten aufgebaut, von denen er in der Sonne Abzüge machte. Mitten auf diesen Tisch sprang ich … höhere Gewalt. Etwa ein Dutzend Platten zerbrachen.
Inzwischen brannte das Gartenhaus lichterloh. Aus allen Häusern ertönten Schreckensrufe. Ich musste einen sehr weitläufigen Rückzug über glasgespickte Gartenmauern antreten. Nach einer halben Stunde hörte ich plötzlich richtige Feuerwehrsignale. Die Feuerwehr rückte aus. Ich brachte es kaum fertig, nicht dabei zu sein. Aber mir schwante Schlimmes.
In der folgenden Passage aus „Faust gegen Faust“ schildert Friedrich Wolf eindrucksvoll den harten Alltag und den ungebrochenen Willen der ländlichen Armen im zaristischen Russland. Die Erzählung bietet einen Einblick in den existenziellen Kampf eines Bauernknechts, der sich zum Anführer einer Armengruppe entwickelt. Der Leser wird Zeuge der Entbehrungen, der revolutionären Entschlossenheit und der ersten Erfolge im Widerstand gegen die mächtigen Kulaken. Diese Szene ist ein beredtes Zeugnis von Mut, Solidarität und dem unaufhaltsamen Drang nach Gerechtigkeit inmitten widrigster Umstände.
Im Mai 1922 kam ich nach dem Dienst in der Roten Armee zurück in unser Dorf. Dort regierten wieder die Kulaken. Die Weißen hatten nur den Armbauern die Pferde genommen, die Kulaken hatten noch die ihren. Jetzt sagte der Kulak: Gib uns dein Land und deine drei Söhne, dafür bearbeiten wir dir mit unseren Pferden ein bis zwei Hektar. Das war eine neue und feine Taktik. Für uns Armbauern war es zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Wieder musste ich zu den Kulaken als Knecht; sie selbst arbeiteten nicht.
Damals wurde ich oft ungeduldig. Wie Nebel zog es durch meinen Kopf. Eins war mir klar, dass das Pferd im Dorf zugleich ein Produktionsmittel ist und ein Ausbeutungsmittel, ein Machtmittel. Ich ging hinter dem Pflug der Kulaken und zerquälte meinen Kopf, wie das zu ändern sei. Langsam ging das, Genosse, sehr langsam; aber es ging. Von 1924 bis 1927 diente ich im Dorfrat als Tagwächter. Da begann ich die Dorfarmen zu organisieren, langsam ging das, sehr langsam. Ich kam mit sehr vielen Armbauern zusammen. 1927 gründeten wir die erste Genossenschaft für Bodenbearbeitung aus dreizehn Familien der Dorfarmut. Keiner hatte damals ein Stück Vieh, wir hatten selbst nur noch Lumpen am Leib. Die Sowjetregierung gab unsrer organisierten Gruppe Land neben dem Dorf und Kredite; wir kauften einen Traktor, zehn Paar Ochsen und zehn Pferde. So bestellten wir im Frühjahr 1927 das Land. Wir arbeiteten wie die Gäule; wir wussten, die Kulaken beobachteten uns mit Hohn und Unglauben, die Armbauern mit dumpfem Zweifel. Wir hatten gleich bei der ersten Ernte Erfolg. Ich bekam für mich und meine Frau fünf Zentner Roggen, fünf Zentner Weizen, Kartoffeln und Sonnenblumenöl, mehr, als wir je geträumt hatten.
Friedrich Wolf versetzt in „Der Sprung durch den Tod“ die Leser in das Herz der Schrecken des Ersten Weltkriegs und zeigt den Kontrast zwischen der brutalen Realität und den kleinen Momenten menschlicher Reflexion. In der folgenden Passage entfaltet sich die Intensität der Front und die inneren Kämpfe der Protagonisten, die mit den surrealen Begebenheiten des Krieges und ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert sind. Die Szene ist geprägt von symbolischer Tiefe und der Frage nach dem Sinn des Lebens angesichts von Tod und Zerstörung. Tauchen Sie ein in eine Erzählung, die Mut, Verlust und die Schönheit der Natur als stummen Beobachter eindrucksvoll miteinander verwebt.
Da schreckt mich ein Schrei empor, ein Schreilein, ein deutlicher zwerghafter Todesschrei, und nochmals, ich fahre auf die Knie: Vor mir hat eine große Natter einen Frosch am Vorderbein gepackt, umringelt mit mörderischer Umschlingung seinen Bauch und beginnt mit ihrem Leib nachschiebend langsam und unaufhaltsam das andere Froschbein und den Kopf zu schlingen. Immer noch zappelt, quackt, ja schreit der Frosch wie ein Erstickender, es ist satanisch, bannend, das Blut erstarrt, aber man muss hinsehen, ohne sich zu rühren; schließlich hat ihn die graue Schlange ganz, das Zappeln lässt nach, die Hinterbeine strecken sich im Todeskrampf, sein Kopf ist in den riesig gedehnten Natternrachen hineingestopft … ein Klatsch! Als ob man einen nassen Sack aufs Wasser schlägt. Ein Blindgänger von ferner Fliegerbeschießung saust in flacher Kurve bei uns ins Erdreich.
Mir schwindelt; träume ich, ich reibe mein Auge … da liegt der Frosch, wischt sich mit dem Hinterbein den Schädel, bläht sich, quackt einmal ärgerlich über die unbegreifliche Belästigung und hüpft in flachen Sätzen ins dichte Gras. Und vor mir liegt die Natter tot. Und neben ihr, unter ihr liegen vier weiße, glatte Haselnüsse, vier weiße Schlangeneier, eben im Luftdruck der Granate und Todeskrampf der Mutter geboren.
Gottesurteil! spricht der Mensch, bemüht, alle Begebnisse im Hauptbuch des Lebens mit Soll und Haben zur Deckung zu bringen; Gottesurteil! und er springt empor und hebt – selbst ein Gott – den Fuß, die Schlangenbrut mit einem Tritt zu zermalmen. Aber da liegen die vier Eilein so sauber und weiß, und die große Sonne scheint so mütterlich an ihre dünne Schale, dass der Gottmensch schwach wird und die Wolke seines Schicksalsbeines wieder sinken lässt. Da liegen die vier Natterlein, und die Sonne brütet an ihnen.
Der Mensch aber ging dahin, nachdenklichen Hauptes, durch die blühende Landschaft, an deren Rande der Geschützwirbel rollte und in deren Schoße Frösche, Schlangen und Erinnerungen sorglos und begierig um ihren Platz rangen.
Am Nachmittag erreichte mich der Befehl, die „Gruppe Süd“, südwestlich Langemarck, als vorgeschobenen Verbandplatz einzurichten und zu besetzen; ein Gefechtsstand der Artillerie, Paulus war dort. Ich hieß Hattlieb, meinen Sanitätssergeanten, sich sogleich fertig machen. In einer Stunde fuhren wir auf unserem Dogcart gen Poelcapelle. Aber schon hinter dem Dorf kam die erste Abreibung, das Pferd bäumte im Feuer, der Wagen schmiss um, ich schickte ihn mit einer Kolonne heim.
Den Rucksack geschultert, Verbandtasche und Maske an der Seite, die Mütze im Nacken, so zogen wir los, Hattlieb und ich, fast wie im Frieden. Den festen Boden unter den Füßen, fühlten wir uns frisch und leicht; wir hatten die Straße satt und schlugen querfeldein. Wir schritten langsam und ruhig unseres Wegs und hielten den Schattenriss von Langemarck mit dem gekappten Kirchturm und den zerfetzten Pappeln am Ostrand im Auge. Es war fast still in dieser Zone, der Blick endlos, die Bodenwellen sacht, die Überschneidungen haarscharf, Kimme an Kimme; dort, wo unsere vordere Linie sein musste, stand eine dicke Staubwand. Die Erde dampfte vor Glut. Ganz leise bebte der Boden, pausenlos. In sorglosem Schreiten genossen wir unser Dasein. Meine Gedanken eilten voraus zu Paulus, dem ich einen Pack Fragen und Neuigkeiten mitgebracht. Zwischendurch kreuzten hemmungslos und spielend hundert andere Dinge: „Hattlieb, hast du Brot? Tetanus? Sind die Bücher abgeschlossen? Selbstverständlich ist das nötig! Daran denkt man nicht? Gib acht, Freundchen!“ Nun rissen die Gedanken wieder aus. Wie schade, dass ich vergessen, den Gilgamesch einzustecken! Dennoch, wir werden ihn lesen, in zwei Wochen im rollenden Zug, auf Urlaub dampfend! Federleicht war der Geist, als zöge man wie einst nach dem Kolleg mit Stock und Sack am strahlenden Samstagnachmittag ins Blaue.
So stiefelten auch wir in den Tag.
Es galt, mehr links zu halten, durch eine ausgeräucherte Langrohrbatterie: die Schanzen gebrochen, die Hürden verkohlt, die Kartuschen ausgebrannt noch in den Körben; der Boden war rot, dick, eine rote Kruste; wir sprangen hinüber, aber die Wolkenschifflein der Gedanken kehrten nicht wieder. Dann kreuzten wir unsere zweite Linie und standen auf der Heerstraße östlich Langemarck!
Eine Hölle, ein Backofen von Glut und glühendem Staub! Pausenlos wurde es in Grund und Boden gehämmert. Ein einziger Wirbel drehte über dem Trümmerhaufen. Hindurch; wir blickten noch einmal zurück und bestaunten die riesige, feuerspeiende Wolke.
Friedrich Wolf war ein fleißiger Autor, der viele Texte geschrieben hat und mit ihnen immer wieder in aktuelle Kämpfe seiner Zeit eingegriffen hat – ganz im Sinne seiner programmatischen Streitschrift von 1928 „Kunst ist Waffe“. Im selben Jahr war der Arzt und Schriftsteller Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) geworden.
Oft nutzte Wolf Ereignisse des Zeitgeschehens, um sie nicht selten satirisch zu kommentieren und sie im Sinne seiner kommunistischen Weltanschauung einzuordnen. Das gilt auch für seinen ein Jahr später veröffentlichten Text „General Nobile verabschiedet sich von seiner auf der Eisscholle zurückbleibenden Mannschaft. Aufgefangen von Palle Pool, Kurzwellenhörer“. Hintergrund sind die Nordpolexpeditionen des italienischen Luftschiffpioniers und Generals Umberto Nobile (1885 bis 1978) in den Jahren 1926 und 1928.
Bei der zweiten Fahrt war sein Luftschiff „Italia“ am 25. Mai 1928 mit seinen 16 Besatzungsmitgliedern auf der Rückfahrt vom Nordpol wegen eines Schneesturms nördlich von Spitzbergen abgestürzt. Zehn Besatzungsmitglieder einschließlich Nobile wurden auf das Eis geschleudert, ein Expeditionsteilnehmer kam ums Leben und die anderen wurden teilweise schwer verletzt.
Das geleichterte Luftschiff stieg mit den sechs an Bord verbliebenen Männern rasch wieder auf. Man fand nie eine Spur von ihnen. Nobile hatte noch kurz vor dem Start ein kleines Kurzwellenfunkgerät für den Wellenlängenbereich 30 bis 50 m im Luftschiff deponiert. Mit Hilfe dieses Geräts und dem nötigen Zubehör gelang es dem Bordfunker der Italia, Giuseppe Biagi, Notrufe abzusetzen, die jedoch tagelang ungehört verhallten.
Am 2. Juni 1928 empfing der russische Funkamateur Nikolai Reinholdowitsch Schmidt in Wochma einen SOS-Ruf der Nobile-Nordpolexpedition, und eine internationale Rettungsaktion begann. Der durch Knochenbrüche bewegungsunfähige Nobile wurde vom schwedischen Piloten Einar Lundborg in Sicherheit gebracht, die anderen Überlebenden am 12. Juli von den sowjetischen Eisbrechern „Krassin“ und „Georgi Sedow“ gerettet. Friedrich Wolf geht es in seinem satirischen Text jedoch um etwas anderes – um die groteske Überhöhung von Ruhm und Vaterland.
Sehr interessant ist außerdem, dass Friedrich Wolf auch der Autor des ältesten, vollständig überlieferten Hörspiels in deutscher Sprache ist, das im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) erhalten ist: „S.O.S. … rao rao … Foyn – 'Krassin' rettet 'Italia'“. In 20 Szenen erzählt er darin von der Rettung der verunglückten Nordpolexpedition. Dieses Hörspiel gilt als eines der erfolgreichsten zur Zeit der Weimarer Republik. Es dauerte 64 Minuten und elf Sekunden und wurde am 5. November 1929 im Deutschlandsender ausgestrahlt. 2013 wurde die Inszenierung von Alfred Braun vom DRA-eigenen Verlag als Audio-CD herausgebracht, zusammen mit einigen weiteren Arbeiten und Reden des Autors Friedrich Wolf. Der Schriftsteller und Dramatiker hatte die Möglichkeiten des neuen Mediums Radio früh erkannt. Er schrieb seine Theaterspiele fürs Radio zu so genannten „Sendespielen“ um. Soweit zu den historischen Hintergründen.
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die nächsten Sonderangebote für den ersten Dezember-Newsletter werden gerade eingepackt. Sie stammen wieder alle von Friedrich Wolf.
1934 entstand seine Erzählung mit dem heroischen Titel „Anna Balzer. Die älteste Kollektivistin als jüngste Stoßbrigadierin“. Und es ist ein Loblied auf die Oktoberrevolution. Denn erst diese bietet der Heldin die Chance auf ein neues Leben sowie Lesen und Schreiben zu lernen. Hier ein kurzer Auszug vom Anfang dieses Buches:
„Es kam der Oktober 1917. Vorerst änderte sich bei uns nichts. Dann begannen die Kämpfe der Weißen und Roten auch bei uns in der Steppe. Die Banditen des Kulakenführers Pjatakow überfielen immer wieder unser Dorf, schleppten alles Vieh und Getreide weg. 1920 kamen die Roten. Sie schossen gegen Pjatakow mit Kanonen. Ich saß mit meinem kleinen Kind im Ofen, dass es mich nicht treffen sollte. 1921 war die schreckliche Dürre.
Aber 1922 war ein gutes Jahr. Die Sowjets verschafften uns durch die Regierung Brot, Saatgut, Ackergerät. Es wurde besser. Was wahr ist, ist wahr. Bis 1925 ging das so fort. Da bekam ich den Nerventyphus. Der Pfarrer hatte gepredigt, es käme der Weltuntergang, alle müssten jetzt verhungern, wenn man kollektivierte; alle Frauen sollten unter einer Decke schlafen.“