Das gilt auch für das 1930/1931 in Berlin uraufgeführte Schauspiel „Tai Yang erwacht“, das im revolutionären China der 1930er Jahre spielt. Hier ist es die Geschichte einer jungen Arbeiterin, die in den Textilfabriken Schanghais unter erbarmungslosen Bedingungen lebt und arbeitet. Tai Yang, hin- und hergerissen zwischen familiären Verpflichtungen und dem gnadenlosen Alltag, wird zur mutigen Stimme des Widerstands gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit.
1927 schrieb Friedrich Wolf am Bodensee das Schauspiel „Kolonne Hund“. Seine Handlung spielt Anfang der 1920er Jahre in einer abgelegenen Siedlung im norddeutschen Moor bei Worpswede, wo Jost und seine Kolonne unter harten Bedingungen versuchen, das Moor urbar zu machen und sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch der Traum von einer besseren Zukunft wird durch äußeren Druck und innere Zweifel bedroht. Über allem steht eine zeitlose Frage: Was bedeutet es, für eine Idee einzustehen, und wie viel ist man bereit, dafür zu opfern?
Der antifaschistische Schriftsteller Peter steht im Mittelpunkt des Schauspiels „Die letzte Probe“, der während der aufsteigenden Nazi-Diktatur in den 1930er und 1940er Jahren zwischen Kunst und Politik zerrissen wird. Aber „Die letzte Probe“ ist auch eine sehr emotionale Beziehungsgeschichte zwischen Peter und der gefeierten Schauspielerin Vera. Es geht um die Kraft der Kunst und um persönliche Integrität in den dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Was können Menschen leisten, wenn sie an sich glauben?
1942 schrieb Friedrich Wolf die Erzählung „Stepan, der Partisan“. Inmitten des Zweiten Weltkriegs meldet sich der sechzigjährige Stepan, ein entschlossener Veteran und Invalide, erneut zum Dienst. Erzählt wird die packende Geschichte eines Mannes, der trotz körperlicher Gebrechen unermüdlich für seine Heimat kämpft. Von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis zu den verschneiten Wäldern, in denen er als Partisan gegen die deutschen Besatzer kämpft, zeigt Stepans unerschütterlicher Wille, was wahre Hingabe bedeutet. „Stepan, der Partisan“ erzählt eine Geschichte voller Mut, Entschlossenheit und von der großen Kraft eines Mannes, der nie aufgibt.
In der folgenden Szene aus dem Schauspiel „Laurencia“ wird Laurencias unerschütterlicher Wille deutlich: Sie kämpft nicht nur gegen die Unterdrückung, sondern auch für ihre Liebe zu Frondoso. Trotz der Bedrohung durch den Kommandor und seine Häscher weichen die beiden nicht zurück. Ihre Liebe wird zum Symbol des Widerstands und des Mutes, das den bevorstehenden Kampf gegen die Tyrannei zusätzlich befeuert.
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MINISTER: Wahr ist’s, was Ihre Majestät soeben hier bemerkt, doch ebenfalls nicht weit der Wahrheit – ich erkühne mich, es auszusprechen – sind die Klagen Eurer Bauern.
KÖNIGIN: Herr Minister, und wenn sie Wahrheit wären tausendmal, diese Klagen, seit wann denn stürmen wildgewordene Bauern wie Bettler und Banditen in des Königs Schloss?
MINISTER: Mit gebührendem Respekt, Eure Majestät! Das beweist bloß den Grad der Verzweiflung …
KÖNIGIN: Den man zu dämpfen hat …
MINISTER: Doch besser als mit Waffen, mit Versprechungen in dieser Zeit; sie sind wie eine Binde dem scheugewordenen Stier. Man kann ihn führen dann, wohin man will. Zudem, welch Urteil Ihr auch fällt gegen den Kommandor, wer hat es auszuführen in dem Dorf? – Der Kommandor!
KÖNIG: Richtig, Senor! Wir werden heute noch dem Kommandor unseren Befehl erteilen, dass er alle Schuldigen ergreife und bestrafe, doch so, dass niemals wieder mit solch törichtem Geheul der Bauer die Stufen unseres Thrones befleckt.
Der Wäscheplatz am Fluss bei der Schafsquelle. – LAURENCIA und FRONDOSO
LAURENCIA: Frondoso?
FRONDOSO (lasst sie): Jawohl, ich!
LAURENCIA (befreit sich): Bist du wahnsinnig, Frondoso, hierherzukommen, da der Kommandor alle Häscher auf deine Spur gesetzt? Hab doch Vernunft, Frondoso!
FRONDOSO: Gut, aber auch du sollst Vernunft zeigen; wie lange soll ich denn aushalten, ohne dich zu sehen! Was ist Furcht? Ein Steinchen vor der Lawine Liebe. Der Kommandor? Er ist schon längst im Feldzug; soll ihn das Schwert der Feinde fressen, diesen Blutsauger!
LAURENCIA (hält ihm den Mund zu): Fluch ihm nicht, Frondoso! Die Verfluchten flieht der Tod, sie leben doppelt.
FRONDOSO: Auch gut, soll er noch tausend Jahre leben, aber dann weit von hier, unter der Erde, im Kerker, im Turm, in Ketten! Genug von ihm! Sprechen wir von uns! Du hast meine Liebe gesehn, vor wenigen Tagen hier an dieser Stelle, als ich dem Kommandor die Armbrust nahm. Ich bin bereit, für dich zu sterben, Laurencia. Du sollst jetzt sagen, ob du bereit bist, mit mir zu leben?
LAURENCIA (nimmt fest seine Hand): Ich will, Frondoso, ich will, ich will. Da gibt es kein Geheimnis mehr.
FRONDOSO (reißt sie an sich): Kein Gott trennt uns jetzt mehr, kein Kommandor, niemand, niemand!
LAURENCIA: Niemand soll es, Frondoso! Doch damit das Band noch fester halte, gehen wir gleich zu meinem Vater. Ich selbst schwör es dir – dass meine Liebe dich fester hält als Eisenketten. (umarmt ihn)
FRONDOSO: Wahrhaftig, deine Arme sind wie Eisenstricke!
LAURENCIA: Du bist gefangen jetzt in meiner Treue! (schaut nach rechts) Du, es kommen Leute, Alonso und mein Vater. Schnell, Frondoso, sprich mit ihm! (links ab)
FRONDOSO (aufatmend): Ja, solche Treue kann uns ewig binden oder töten! (reibt sich die Arme) Bärenkräfte hat sie!
In der folgenden Leseprobe aus „Tai Yang erwacht“ zeigt sich die komplexe Beziehung zwischen Tai und Tschu Fu, die von Spannung, Machtgefälle und den Widersprüchen der sozialen und kulturellen Traditionen geprägt ist. Während Tschu Fu stolz die uralten Rituale Chinas zelebriert und dabei gleichzeitig seine Macht über Tai ausübt, versucht sie, sich in dieser engen Welt der Traditionen und Abhängigkeiten zu behaupten. Der Dialog enthüllt nicht nur die Kluft zwischen den beiden, sondern auch Tais innere Stärke und Entschlossenheit, die sie auf den bevorstehenden Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit vorbereitet.
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Der Teeraum im Hause TSCHU FU's. – Der ganze Teeraum (Sukiya) ist durch einen Wandschirm geteilt: in das größere Empfangszimmer und in die eigentliche abgetrennte Teetrinkstätte, die Kakei (Klause), dort ein niederer breiter Diwan und wenige niedere Lackmöbel. Die Wände sind mit Seidentapeten ausgeschlagen, die Räume fast leer. Zugänge rechts und links. – In der Trinkstätte TSCHU FU und TAI. TAI trägt einen hochgeschlossenen, engen, schwarzseidenen Pyjama und absatzlose Saffianschuhe; TSCHU FU im Kimono aus schwerer gelber Seide, darauf große Idiogramme gestickt sind, darunter ein rohseidener europäischer Anzug. Er hantiert mit einem Kesselchen, Teeschalen, Salzpfännchen leise bei der Zubereitung des Tees herum, während TAI still dasitzt
TSCHU FU (mit Kesselchen fast dozierend): Wie Fischaugen müssen die kleinen Blasen auf der Oberfläche erscheinen, wie Fischaugen … das ist der erste Grad des Kochens, den Lu Yue für die richtige Teebereitung vorschreibt, kleine Tai … der zweite Grad, wenn die Blasen wie Kristallperlen in einem Brunnen rinnen … der dritte, wenn die Wogen im Kessel sich wild aufbäumen! Wirst du das lernen, Tai?
TAI: O ja.
TSCHU FU (immer hantierend): „O ja“, sagst du, „O ja“ … fertig, und nun die Blätter hinein und Zucker, und das willst du Tschu Fu als Tee vorsetzen, du Barbarin! Und dabei hat der große Lu Yue vor 1200 Jahren drei dicke Bände über die Teebereitung geschrieben … und wenn der Kaiser seine Generäle nach siegreichem Feldzug über die Mongolen ehren wollte, so gab er ihnen nicht einen Orden oder eine Barre Gold, sondern er verriet ihnen als höchste Auszeichnung ins Ohr ein geheimes Teerezept … und du sagst einfach: „O ja“?!
TAI: Ich will es lernen, Herr.
TSCHU FU: Viel gibt’s da zu lernen, Tai, viel … auch dass es in der Teestube keinen „Herren“ gibt … hörst du, meine Freundin?
TAI: Ja … mein Freund.
TSCHUFU (immer den Tee bereitend): Aber ich wette, meineFreundin würde mich erfreuen wollen und mir Zitronenscheiben, oder Sirup und Ingwer hineintun wie die Tibetaner oder gar Zucker wie die Ladys? Aber was befiehlt Lu Yue im Cha-King, dem Gesetzbuch der Teebereitung, als einzige Zutat: Salz! Nur Salz! Salz wird bei dem ersten Kochgrad hineingetan, der Tee selbst beim zweiten, beim dritten aber (während er es macht) wird ein Löffel kalten Wassers in den Kessel geschüttet, damit der Tee sich setze und „die Jugend des Wassers sich erneuere“, (gießt ein) Wer China liebt, vergisst nicht die Gebräuche seiner Väter! (reicht ihr eine Teeschale, trinkt selbst bedächtig) Nun?
TAI (trinkt): Ein wundervoller Tee … nur etwas salzig.
TSCHU FU (setzt erschrocken seine Schale hin): „Nur etwas salzig“, hört meine Freundin überhaupt, was Tschu Fu sagt?
TAI: Gewiss; aber ich liebe ihn mit Zucker.
TSCHU FU: Du bist eine Barbarin, Tai! Fünftausend Jahre ist unser Reich alt, das „Reich der Mitte”, das älteste Volk der Erde … vierhundert Millionen Menschen in unserm Land … die längste und breiteste Mauer der Erde, die ältesten Kaiser, Dichter, Gelehrten, Astronomen …
TAI (lachend): Und die ältesten Fabrikanten!
TSCHU FU: Die ältesten Fabrikanten … (nimmt sie auf die Knie und drückt sie an seine Brust) und doch noch nicht im Grabe, meine Freundin!
TAI (atemholend): Dass du stark bist, wusste ich … Aber du musst nicht meine Brüste mit deinen Muskeln vernichten, mein Geliebter; denn wenn ich alt bin … in zwei oder drei Jahren, dann sagst du nicht: „Meine liebste älteste Freundin, so herrlich wie die tausendjährige große Mauer“, sondern …
TSCHU FU: Sondern (küsst sie brutal) sondern es ist unerwünscht, dass meine Freundin so lange Sätze spricht; versteht sie das?!
TAI: Ja, Herr.
TSCHU FU: Ich wollte dich nicht verletzen, Tai … (schiebt ihr Kuchen und Gebäck hin) Nimm!
TAI (nimmt ein kleines Stück): Dank.
TSCHU FU: Magst du es nicht?
TAI: O doch. (nimmt gehorsam)
TSCHU FU (ihr noch aufladend): Du kannst dir immer soviel nehmen, wie du willst, Tai, von allem, was im Hause ist, Tai, hörst du! Du brauchst keine Sorge zu haben, dass es alle wird; es wird nie alle hier, und du bist doch meine Freundin, Tai; verstehst du das?
TAI (sieht ihn an): Ja.
TSCHU FU: Denn ich will, dass du dich wohlfühlst in meinem Hause, Tai, genau so, als wär’ es dein eigenes Haus, und dass du lachst und springst und deine Schultern und Zähne bewegst, genau so wie in der Fabrik, (leiser) als ich merkte, dass meine Muskeln zu Tigern wurden … in der Fabrik, an der Maschine! Weißt du’s noch? (zieht sie zu sich)
TAI (ruhig): Ich wusste, dass du mich nahmst.
TSCHU FU: So sicher?
TAI: Ja.
In der folgenden Leseprobe aus „Kolonne Hund“ treffen Ideale und Realität aufeinander: Flint und Thordis stehen vor einer gefährlichen Situation, die das fragile Gleichgewicht der Gemeinschaft bedroht. Die Kolonne, motiviert durch Hoffnung und Entschlossenheit, ringt mit äußeren Gefahren und internen Konflikten, während der Traum von einer neuen Welt an den Widerständen zu zerbrechen droht. Die Spannungen zwischen dem Streben nach Veränderung und den unüberwindbaren Hindernissen werden hier greifbar, und die Figuren müssen sich entscheiden, wie weit sie bereit sind zu gehen, um für ihre Vision zu kämpfen.
V
Halle im Moorhof. In der Mitte ein breiter, mit Sträußen geschmückter Tisch. Die Rückwand des Raumes ist ganz bemalt: Stürzende Häuser, große Brücken, marschierende Arbeiterkolonnen, Felder, Erntewagen und in der Mitte ein Weib, das ein Kind säugt. Draußen Gesang. – FLINT, im schwarzen Jackett, kommt mit THORDIS von links
THORDIS: Festlich!
FLINT (blickt sich schweigend um)
THORDIS: Sahst du die Menschen, Züge von weit her, sie singen … hängen um das Haus wie Bienen in Erwartung ihrer Königin. Ich begreife nicht, dass du seine Einladung annehmen konntest; es ist doch wie ein Hohn!
FLINT: Drum habe ich seinen Hohn missachtet und bin erschienen.
HINNER mit Betriebsleiter WUTTKE erregt von rechts
HINNER (auf Flint): Schnell! Kommen Sie!
WUTTKE: Herr Ingenieur, unsere Bohrung …
HINNER: Nell, der Seeräuber und der Apostel mit dem Seitengewehr, sie knurrten wie’n Koppel heißer Hunde in der Scheune, dann gab der haarige Engel dem Seeräubeer zwei Sprengpatronen … schnell jetzt, oder Ihr Brunnen jondelt durch die Luft!
FLINT: Sie gehören zur Kolonne?
HINNER: Sehen Sie die Tomate über meinem Aug’? Josts Faust!
WUTTKE: Der Brunnen ist gesichert; doch so’n Kuli duckt noch hinter der Kantine!
HINNER: Was soll jeschehen?
THORDIS: Nichts.
FLINT (der starr dagestanden): Richtig.
WUTTKE: Hat man uns zum Affen!? (will ab)
FLINT: Wuttke! – Die Frühschicht rückt zum Mittag ab wie bisher. Keinen Strich anders. Sobald die Sprengung erfolgt, wird der Täter gefasst! Ist das klar?
WUTTKE: Jawohl! (mit Hinner rechts ab)
THORDIS: Ich gratuliere, Flint!
FLINT: Danke. – Wir dürfen hier nicht stehen!
Beide links ab77
NELL und BRUDER MIRANDEUS, in beiden Armen Zinnteller und Bestecks, springen herein
NELL (im Galopp die Teller auf den Tisch fledernd): Das Barometer steigt, Bruder Zottelhaar! Die Morgenröte ist en marche, Freund Rübezahl! Hörst du, wie das dröhnt, wie ’ne Kesselpauke, wie das Brausen eines Riesenmotors, wie ein Orkan!
MIRANDEUS: Baue nicht auf den Orkan, Kamerad!
NELL: Du bist das vorsintflutlichste Tier, das mir begegnet! Auf den Beinen der Gegenwart hast du den Kopf der Vergangenheit; Geduld, die draußen werden euch schon die Nase nach vorne drehen!
MIRANDEUS: Die draußen … wenn die’s vermögen, so brauchte der junge Falke nicht geopfert zu werden!
NELL: Geopfert? Der Brunnen fliegt! Das gibt den Auftakt, das stürzt die alte Welt von zwei Seiten!
In der folgenden Szene aus „Die letzte Probe“ begegnen wir Tilly und Fasolt in einem Moment voller Sehnsucht und Solidarität. Während sie über die Schönheit der Nacht philosophieren, wird die raue Realität ihrer Lebensumstände deutlich. Fasolt, ein stolzer Künstler, der gegen die Unterdrückung und für seine Integrität kämpft, zeigt Tilly seine Entschlossenheit und seinen Verzicht auf Komfort. Inmitten der dunklen Zeiten wird die Beziehung zwischen den Figuren zu einem Licht der Hoffnung, das den Wert der Kunst und der menschlichen Verbundenheit unterstreicht.
Parkweg mit einer Bank. Später Abend, Sterne. Durch die Bäume schimmert der See. – TILLY und FASOLT kommen von rechts
TILLY: Sie können gewiss sein, Herr Fasolt, da mein Vater und ich sich für Sie bemühen, ist Ihr Engagement gesichert.
FASOLT: Heißen Dank, Fräulein Tilly, ewigen Dank!
TILLY: Wir Schauspieler müssen uns doch solidarisch fühlen, nicht wahr?
FASOLT: Das wäre zu wenig.
TILLY: Sondern?
FASOLT (stehenbleibend, mit Blick in die Nacht): Ich meine, wir Schauspieler sind eine besondere Gattung Mensch auf dieser Erde, wir sind Wesen einer andern Sphäre; wenn abends das Klingelzeichen ertönt und der Vorhang sich hebt, so beginnt die Magie der Bühne, auf der wir zu einem einzigen Geisteskörper verschmelzen ….
TILLY: Sie haben eine hohe Auffassung von unserm Beruf.
FASOLT (emphatisch): Hätte ich sonst, bloß weil ich meine Kunst dem Gummiknüppel der Nazis nicht unterordnen wollte, in Wien mein weiches Bett verlassen, um hier auf der harten Diele eines ärmlichen Hotels, nur mit meinem Mantel bedeckt, zu schlafen?
TILLY: O, Sie haben kein Bett?
FASOLT (groß): Für uns Soldaten des Rampenlichts rangiert das Bett erst in zweiter Linie!
TILLY: Aber Sie haben doch – verzeihen Sie – genug Nahrung?
FASOLT (spartanisch): Schweigen wir davon! Unsereinem ist eine Rinde trockenen Brotes oder ein Teller Kartoffeln mit Salz ein Hochzeitsschmaus!
TILLY: Aber da muss man doch helfen!
FASOLT: Kein Wort mehr davon! Wir fühlen uns dabei so wohl wie der Zeisig in seinem Nest … wenn auch die kraftlosen Knie uns oft kaum bis zur Registratur des Polizeiamtes tragen.
TILLY (vor der Bank): O Gott, setzen wir uns!
FASOLT (mit ihr niedersitzend): Deshalb ist die Welt doch zauberhaft schön, geradezu kostenlos schön! Schauen Sie nur den Mondglanz über dem See, Fräulein Tilly, zwischen dem silbernen Haar der Weiden, was braucht man mehr? Und wenn mein Magen auch knurrt wie ein böser Hund, so befehle ich bloß: Kusch, du Hund! Bei Fuß, Nero!
TILLY (erregt): Nein, kommen Sie! Lassen Sie uns in ein Restaurant gehen, Herr Fasolt, Sie sind mein Gast!
FASOLT (sie haltend): Bleiben Sie, Tilly, ich schwöre Ihnen, kein Wort mehr hiervon, kein Wort!
TILLY: Aber Ihr Kamerad, Herr Bruck – sagen Sie mir, lieber Fasolt, besteht zwischen ihm und Frau Sommer nicht eine Art freundschaftliches Verhältnis?
FASOLT: gewiss.
TILLY: Und hilft ihm da Frau Sommer nicht?
In der folgenden Leseprobe aus „Stepan, der Partisan“ begegnen wir Stepan als einem Mann, der durch die Härten und Entbehrungen eines bewegten Lebens geformt wurde. Trotz der körperlichen Gebrechen, die ihn zu einem vermeintlich „ruhigen Lebensabend“ zwingen könnten, erweist sich sein unerschütterlicher Wille als ungebrochen. Als der Krieg seine Heimat erneut bedroht, lässt er alles hinter sich und schließt sich als freiwilliger Kämpfer der Roten Armee an. Stepans Geschichte zeigt die unbeugsame Entschlossenheit und Hingabe, die ihn und viele andere dazu antreiben, trotz widrigster Umstände für ihre Überzeugungen und ihre Heimat zu kämpfen.
Im Betrieb fanden Maßregelungen statt. Einige Arbeiter flogen ins Gefängnis. Stepan selbst wurde „administrativ“ ins Gouvernement Wjatka verschickt. Dort bekam er mit seiner Familie einen Ort als Zwangsaufenthalt zugewiesen. Doch er verlor niemals die Verbindung mit seinen Freunden.
1914 fuhr er nach Petersburg. Damals war er dreiunddreißig Jahre alt und arbeitete in einer Kabelfabrik.
1917 kam er als Schlosser nach Helsingfors. Er hatte öfters auf dem dort ankernden Kreuzer „Diana“ zu tun.
Und nun beginnt ein Leben im Sturm! Ein Leben der Kämpfe für die junge Sowjetmacht an allen Fronten, an den Waffenfronten der Ukraine und des Ural, an den Fronten des Aufbaus in dem riesigen Land – heiße, aufreibende und fruchtbare Jahre.
1919 Freiwilliger in der jungen Roten Armee. Er kämpft bei Charkow, an vielen Stellen der Ukraine. 1920 in Rjasan. Er hilft dort eine neue Infanteriedivision formieren. Seine Mutter und sein Vater stammen aus Rjasan. Man kennt dort seine Familie. Er kennt dort seine Leute. Er ist dort „zu Hause“.
1922 bis 1930 arbeitet er als Organisator Tag und Nacht. Er erkrankt. Er müsste aussetzen. Aber er selbst hat keine Ruhe. Er springt wieder ein. Ununterbrochen arbeitet er als Funktionär.
1930 bis 1933 als Parteiarbeiter bei der Mechanisierung der Staatsgüter – der Sowchosen, zugleich aber auch als technischer Fachmann.
1933 bis 1935 in gleicher Funktion in den Kollektivwirtschaften in Mittelasien, vor allem in Kasachstan. Wieder erkrankt er. Nervenentzündung, Malaria, Herzleiden. Er muss aussetzen. Er wird invalid geschrieben. Aber er streikt gegen sein Invalidentum. Er meldet sich gesund. Er fordert Arbeit.
1936 wird Stepan zum Direktor des großen „Uniwermag“, des Zentralen Warenhauses, in Moskau ernannt. Er muss jedoch erneut aussetzen.
Er ist jetzt fünfundfünfzig Jahre. Nach all diesen schweren und aufreibenden Jahren leidet er an heftigen Neuralgien („Radiculitis“, wie die Ärzte es nennen) und an einer ernsten Arteriosklerose. Monatelang kann er vor Schmerzen sich nicht rühren. Er ist hundertprozentig invalid und lebt als Staatspensionär von seiner Rente in Moskau. Sein Sohn ist Kommandeur in einem Artillerieregiment. Seine Tochter beendete die Moskauer Universität und arbeitet als Mathematikerin und Physikerin. Zwei Enkelkinder sind seine ganze Freude.
Stepan hat in seinem Leben wahrhaftig genug erlebt und geleistet. Jahrzehnte hat er für seine Ideen gekämpft. Auf allen Gebieten hat er in diesem riesigen Land gearbeitet: als Schlosser, als Funktionär, als Organisator, als Betriebsleiter. Seine grauen Haare hat er sich redlich verdient. Er wurde Invalide im Dienst einer großen Sache. Was jetzt noch kommen kann, das ist – wie man so schön sagt – „ein ruhiger Lebensabend“.
Es kommt der grausamste und furchtbarste aller Kriege. Es kommt für das Sowjetland der Kampf auf Leben und Tod. Und plötzlich gibt es keinen Staatspensionär und Invaliden Stepan mehr. Es gibt nur noch den grauhaarigen sechzigjährigen Freiwilligen der Roten Armee Stepan F., den von seiner Gruppe gewählten Starschina in dem I. Moskauer Landsturmregiment. Aber Stepan ist trotz seines Alters kein Sonderfall. Stepan ist in seiner Art ein Typus, einer von den Zehntausenden Verteidigern Moskaus.
Friedrich Wolf hat sich immer wieder mit historischen Themen beschäftigt, wie auch die Sonderangebote dieses Newsletters zeigen – und das sowohl als Erzähler wie auch als Stückschreiber. Dabei ging es ihm aber weniger darum, seine Leser und Zuschauer in alte Zeiten zu entführen, sondern seine Texte verfolgten immer das Ziel, Antworten auf übergreifende Fragen zu finden. Fragen nach Freiheit und Gerechtigkeit, nach Widerstand und Gerechtigkeit. Der Autor überlässt es seinen Leser und Zuschauer, Schlüsse aus der Geschichte und Parallelen zur Gegenwart zu ziehen. Friedrich Wolf hält sie für klug genug.
Zugleich bieten seine Schauspiele und Erzählungen immer wieder Gelegenheit, über die Schwierigkeiten persönlicher Entscheidungen und über die Kraft des Widerstandes in komplizierten oft auch gefährlichen Zeiten nachzudenken. Wie und aus welchen Gründen entscheidet sich ein Mensch so oder so? Und was sind die Quellen ihrer Stärke und ihrer Träume? Auf diese Weise lädt Friedrich Wolf zum Gespräch mit den Helden seiner Texte ein – teils über Jahrhunderte hinweg wie in seinem Schauspiel „Laurencia“. Wir geben gern zu, wir hätten diese mutige junge Frau gern einmal getroffen, die anfangs des Stücks gleich mit ein paar spöttischen Sätzen in die Handlung eingeführt wird, als sich das Bauernmädchen weigert, als eine Dame bezeichnet zu werden:
„Schönste Damen“ – beliebt es Eure Gnaden uns zu nennen; leeres Stroh zu dreschen, das ist Höflichkeit der Städter, wir Bauern schätzen unser Korn der Wahrheit.
Das Korn der Wahrheit – eine schöne Formulierung, die man sich merken sollte …
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die nächsten Sonderangebote für den dritten November-Newsletter stehen schon zum Versand bereit. Auch sie stammen wieder alle von Friedrich Wolf, und sind in der nächsten Woche sogar zum Sonder-Sonderpreis von jeweils Null Euro zu haben.
Eines dieser Sonderangebote ist seine 1920 entstandene Erzählung „Der neue Stern“. Wolf verwebt darin meisterhaft Realität und Fiktion zu einer intensiven Vision des Menschseins in extremen Momenten. Mit präzisem Blick und poetischer Kraft entführt er uns in Grenzerfahrungen, die den Leser mit einem Sog ins Innere ziehen - zu den tiefen Wahrheiten des Lebens und den großen Fragen der Existenz. Ein Werk, das bebt, überrascht und in seinen Bann zieht. Friedrich Wolfs Erzählkunst trifft den Nerv unserer modernen Zeit, indem sie nicht nur unterhält, sondern zum Nachdenken anregt und hinterfragt, was es bedeutet, Mensch zu sein.
Nicht zuletzt insofern bleibt der bereits 1953 gestorbene Schriftsteller und Dramatiker Friedrich Wolf ein Zeitgenosse.