Dabei wird die Insolvenz der Lehman Bank als einmaliger Unfall heruntergespielt. Völlig übersehen die Banken hierbei in welche Gefahr sie mit dem Verkauf von Zertifikaten den Anleger bringen. Meist wird er aus sicheren Sparguthaben und Festgeldguthaben in Zertifikate gelockt. Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen, die fast immer von Banken emittiert werden. Warum wohl? Weil Banken bei Anlegern besonderes Vertrauen genießen. Dieses Vertrauen beruht u.a. auf der Tatsache, dass bisher Einlagen bei Banken absolut sicher waren, und dies nicht erst seit der „Merkel-Garantie“. Sie sind sicher, weil sie selbst bei Insolvenz der Bank durch ein Einlagensicherungssystem geschützt sind. Bei den privaten Banken ist dies der Einlagensicherungsfonds des privaten Bankgewerbes, bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind es ähnliche Sicherungssysteme, die neben die bei diesen Institutsgruppen darüber hinaus bestehende Institutsgarantie treten.
Durch die Umschichtung von Milliardenbeträgen aus der deutschen Einlagensicherung in ungesicherte Bankforderungen entsteht ein latentes Risiko, über das fast nie aufgeklärt wird, das aber schon von seiner Dimension her unverantwortlich ist. Nicht ohne Grund dürfen Zertifikate in den USA nicht an Privatanleger verkauft werden.
Eine besondere Brisanz gewinnt in dieser Situation natürlich die Überlegung, Banken zu einer Art „Testament“ zu zwingen, um ihre Abwicklung im Insolvenzfall zu ermöglichen. Damit steigt das Insolvenzrisiko bei Großbanken erheblich. Zertifikateinhaber laufen dann noch höhere Risiken.
Aber es kommt noch schlimmer. Da seit dem Lehman Skandal die Bezeichnung „Zertifikat“ mit einem gewissen Makel behaftet ist, tauft man das Produkt um. Zertifikate werden einfach als Anleihen bezeichnet. Das erweckt Vertrauen, denn eine Anleihe ist ein Wertpapier mit festem oder variablen Zinssatz. Ein Zertifikat ist ein ungleich spekulativeres Instrument, weil die Rückzahlung nicht allein von der Bonität des Emittenten abhängt, sondern von einer ganzen Reihe kompliziertester Bedingungen. Wie dieser Etikettenschwindel publizistisch aufbereitet und der Öffentlichkeit verkauft wird, sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Als hilfreich (sic!) beim Verkauf der Zertifikate schätzen Experten zudem ein, dass viele Zertifikate nicht mehr mit dem Etikett Zertifikat angeboten werden, sondern unter dem Namen Anleihe“ schreibt beispielsweise die FAZ am 15.09.2009 auf Seite 19.
Sollte dieser Etikettenschwindel die einzige Lehre sein, die die Banken aus der Finanzkrise, die auch eine Beratungskrise ist, gezogen haben?
Mitgeteilt von: Rechtsanwalt Nikolaus Bömcke (Rössner Rechtsanwälte, München)
Die Kanzlei Rössner Rechtsanwälte ist Mitglied im internationalen Anwaltsnetzwerk Eurojuris Deutschland e.V