Vorstand eines großen Unternehmens zu sein, ist ein Hauptgewinn in Sachen Versorgungssicherheit. Sie kassieren Hunderttausende pro Jahr als Gehalt, hinzu kommen Boni und Erlöse aus Aktienoptionen. Lässt sie eine Panne straucheln oder bescheren zu riskante Geschäfte zu hohe Verluste, folgt die als «goldener Handschlag» verharmloste Trennung gegen Geld.
Für angerichtete Schäden werden Vorstände oder auch Aufsichtsräte deutscher Unternehmen selten in Anspruch genommen, obwohl die Gesetze es durchaus zuließen. Die praktizierte Schadensbegrenzung erschöpft sich vielfach darin, dass Verantwortliche freigestellt und zugleich mit Geld über den stillen Rauswurf hinweg getröstet werden. Nicht wenige Aufsichtsräte sehen von Schadenersatzklagen gegen Unternehmensleiter auch deshalb ab, weil sie zuvor selbst Vorstände waren und riskante Entscheidungen mit absegneten. Doch es gibt noch andere Gründe.
Eine Arbeitsgruppe aus Unions- und SPD-Abgeordneten im Bundestag müht sich derzeit, die Zeiten gegenseitiger Rücksichtnahme zu beenden. Begonnen hat die Zehnergruppe mit einer Analyse der Rechtslage. So wenig gibt die gar nicht her: Schon für leichtes Verschulden haftet ein Unternehmensvorstand gegenüber seiner Firma ohne Limit - mit seinem gesamten Privatvermögen. Beschränken kann diese Haftung nur die Hauptversammlung der Aktionäre, das deutsche Recht ist hier schärfer als das US-amerikanische.
Läuft die Firma gut, lässt man sich gegenseitig in Ruhe. Bankmanager etwa bewegen täglich Millionen und werden oft ebenso gut entlohnt. Nicht minder groß sind aber auch die Schäden, die sie anzurichten imstande sind. Manche Unternehmen versichern ihre Vorstände gegen Fehlentscheidungen, hierfür gelten jedoch Höchstgrenzen.
Gerät ein Vorstand in Verdacht, für gravierende Verluste seines Unternehmens verantwortlich zu sein, sind die Aufsichtsräte gut beraten, dies nachzuweisen. Verzichten sie um des lieben Friedens willen darauf, Ansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen, machen sie sich selbst schadenersatzpflichtig.
Der Nachweis der Verantwortung für eingetretenen Schaden gelingt kaum ohne Gerichtsverfahren. Jedoch verschafft das Aktienrecht den Kontrolleuren einen Vorteil: Hegt der Aufsichtsrat Zweifel, muss der Manager selbst nachweisen, dass er pflichtgemäß gehandelt hat. Das erste Verfahren dieser Art seit Jahren schob im Zuge des Korruptionsskandals die Siemens AG an. Und die Aufseher der angeschlagenen Münchner Bank Hypo Real Estate untersuchen, ob Ex-Chef Georg Funke verantwortlich zu machen ist.
Bleibt der Aufsichtsrat untätig, können auch Aktionäre, also die Eigentümer der Gesellschaft, den Haftungs-Anspruch gegen Vorstände oder Aufsichtsräte durchsetzen. Das 2005 verabschiedete «Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts» (UMAG) macht es möglich. Eine Gruppe von Aktienbesitzern, die Papiere zum Nennwert von 100.000 Euro (des Grundkapitals, s. Kasten) zusammenbringen, reicht dafür aus. Der später erstrittene Schadenersatz fließt jedoch nicht direkt an die Aktionäre, sondern an das Unternehmen.
Mit dem UMAG oder dem Aktiengesetz sind alle notwendigen Regelwerke vorhanden, um Verantwortliche zur Verantwortung zu ziehen. «Das Problem in Deutschland ist, dass Aufsichtsräte als auch Aktionäre die Ansprüche nur selten geltend machen», schätzen Fachbeamte von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Lage in einer schriftlichen Handreichung an die Koalitions-Arbeitsgruppe ein.
Der Wirtschaftsanwalt Peer Koch kann erklären, warum Aufsichtsräte oder Teilhaber so zögern. «Vorstände haben in ihrer Arbeit einen weiten Handlungsspielraum», erinnert Koch, in der Bremer Kanzlei Einer und Partner den Bereich Aktienrecht betreut. Und wer frei handeln darf, dem können schon mal auch gravierende Fehler passieren. So ist die Hoffnung auf finanzielle Kompensation schnell erstickt: «Solange Vorstände ihr Unternehmen nicht fahrlässig oder vorsätzlich schädigten, sind Schadenersatzforderungen nahezu chancenlos», sagt Koch.
Hinzu kommt der Ärger, den ein Gerichtsverfahren mit sich bringt. Ehe ein Richter den Hergang der Dinge in einem Verhandlungssaal in alle Öffentlichkeit zerrt, geben die Unternehmensaufseher lieber zähneknirschend auf, statt den entstandenen Schaden gerichtlich feststellen zu lassen. «Aufsichtsräte scheuen meist davor zurück, hart gegen ihre Vorstände vorzugehen, weil sie Imageschäden für ihr Unternehmen befürchten», sagt Koch. Energische Nachfragen auf der Hauptversammlung oder kritische Medienberichte wollen die Aufseher lieber vermeiden und verzichten deshalb darauf, ihre Anwälte in Gang zu setzen. Die Frage nach der Verantwortung bleibt dann offen, auf ewig ist ungewiss, ob es nun Pech, Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz war, was die Gesellschaft in die Miesen trieb.
Quelle: www.netzeitung.de (Tilman Steffen)