Drei Bereiche hätten ihn als UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit vorwiegend beschäftigt, so Professor Bielefeldt: Er habe sich für Einzelfälle engagiert und diese den entsprechenden Staaten diplomatisch vorgetragen, in der Hoffnung, dass sich etwas bewege. Im Weiteren habe er mit seinem Team Inspektionsreisen in Dörfer gemacht. Die Besuche vor Ort seien „energisierende und bereichernde Erfahrungen mit Menschen gewesen, die sich nicht kaputtmachen lassen“. Drittens sei er in der UN-Generalversammlung bzw. im Menschenrechtsrat (Genf) für Religionsfreiheit eingestanden und habe darüber mit den Vertretern der Staaten debattiert.
Er habe ermutigende Erfahrungen in Sierra Leone gemacht, wo die Religionsgemeinschaften nach dem Bürgerkrieg gemeinsam das Land aufbauten und Friedensarbeit leisteten. „Hass hat nichts Ewiges“ oder den Status eines Naturgesetzes, sondern sei immer von Menschen gemacht, so Bielefeldt.
In Vietnam habe er hingegen so erschreckende Erfahrungen mit Verfolgung gemacht, dass er eine der Missionen vor Ort aus Sicherheitsgründen für seine Interviewpartner habe abbrechen müssen.
Zur Lage der Religionsfreiheit: Religiös unterbauter Terrorismus spielt größere Rolle
Die Probleme bezüglich der Religionsfreiheit seien von Land zu Land unterschiedlich, dennoch spiele der religiös unterbaute Terrorismus heute eine größere Rolle als vor einigen Jahren. Es gäbe unterschiedliche Formen der religiösen Repression. Im Nahen Osten seien es meist religiöse Wahrheits- und Reinheitsansprüche sowie göttliche Gesetze, in deren Namen sich die staatliche Unterdrückung gegen Minderheiten durchzusetzen versuche.
Ein anderes Unterdrückungsmuster benutze Religion als Bestandteil eines aggressiven Nationalismus. Es gehe dabei nicht um Wahrheit und Irrtum. Als Beispiel führte Bielefeldt die religiös untermauerte Fremdenfeindlichkeit in Russland an. Putin habe die orthodoxe Tradition als starkes Narrativ für die nationale Identität entdeckt, für eine kompakte Identität: Wir gegen die anderen, bzw. gegen alles, was vom Ausland kommt. Die Zeugen Jehovas seien vom obersten Gericht verboten und aufgelöst worden.
In Indien sei es ähnlich. Der Hindu-Nationalismus richte sich gegen alle Religionen, die ihren Ursprung nicht auf indischem Boden hätten: Christen und Muslime.
In autoritären Polizeistaaten wie Vietnam und China sei die Freiheit für Einparteiensysteme beunruhigend, wenn sich die Leute zum Beispiel selbst versammeln und die Dinge selbst in die Hand nehmen würden. Bei diesem Unterdrückungsmuster gehe es um Kontrollobsession und nicht um Religion oder Wahrheit.
Nicht in unserem Namen
Es gebe überall religiöse Gruppen, die nicht bei der Instrumentalisierung ihrer Religion mitmachten: Buddhistische Mönche, die sich gegen den Nationalismus der Regierung in Myanmar oder Sri Lanka wenden würden oder Hinduisten, die es falsch finden, dass im Namen des Hinduismus nationale Homogenität forciert werden solle, wo der Hinduismus doch so vielfältig sei. Es wäre auch seitens der Muslime wünschenswert, so Bielefeldt, wenn mehr Muslime sich von Terrorakten distanzieren und sagen würden, „nicht in unserem Namen!“
„Trennung von Religion und Staat“ ersetzen mit „Abstand von Religion und Staat“
Auf die Frage, ob es staatliche Strukturen gäbe, die förderlich oder hinderlich für Religionsfreiheit seien, antwortete Bielefeldt, dass die Trennung von Religion und Staat wichtig sei. Trennung sei aber nur die negative Seite einer eigentlich positiven Investition: Diese bestehe darin, dass der Staat dafür einstehen solle, dass es einen Freiraum gäbe, wo religiöse Vielfalt angstfrei gelebt werden könne. Um dies zu erreichen dürfe der Staat aber nicht auf einer Seite stehen und sagen: Wir sind eine christliche, hinduistische oder muslimische Nation. „Der Staat kann nicht der Anwalt und Garant der Freiheit aller sein, wenn er auf einer Seite steht“, sagte der Professor. Es wäre besser von „Abstand von Religion und Staat“ zu sprechen als von Trennung. Abstandnahme sei etwas Positives, weil es Raum schaffe. Trennung klinge hingegen negativ. Es schwinge bei Trennung mit, dass die Religion aus der Politik und dem öffentlichen Leben herauszuhalten sei und sie als reine Privatsache zu behandeln, was falsch sei, so Bielefeldt.
Der Laizismus französischer Prägung werde dem Anliegen der Religionsfreiheit nicht umfassend gerecht, weil die Religionsfreiheit auch die öffentliche Manifestation von Religion schütze. Als Beispiele führte der Professor Kleidung und Kirchenglocken an.
Deutschland: Hinkende Trennung von Religion und Staat
Laut Bielefeldt hat das deutsche Modell gegenüber dem französischen den Vorzug, dass es die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit anerkennt und eine religionsfreiheitsfreundliche Rechtsprechung kennt. Das deutsche Modell sollte aber der Wirklichkeit angepasst werden, forderte der Professor, da es mehr Muslime gibt und auch die Freikirchen sowie die Gruppe der Konfessionslosen gewachsen sind.
Ruhetagsregelungen für Minderheitskonfessionen wie Adventisten
„Das Ausmaß an Ignoranz ist skandalös“, sagte Heiner Bielefeldt, als ihn der Moderator auf die Probleme adventistischer Kirchenmitglieder angesprochen hatte, die oft wenig Entgegenkommen erfahren würden, wenn sie wegen ihres Ruhetages am Samstag (Sabbat) an der Universität keine Prüfungen schreiben könnten. Bielefeldt ist der Auffassung, dass die staatlichen Behörden die Aufgabe haben, Minderheiten beim Ruhetag entgegen zu kommen. Faktisch orientierten sich die Behörden aber am Mainstream, obwohl Religionsfreiheit Gleichberechtigung bedeute. Man solle nicht eine bürokratische Variante von Gleichheit durchziehen, aus Angst, ja keine Präzedenzfälle zu schaffen. Die Bereitschaft des Staates den Minderheiten entgegen zu kommen sei „in Deutschland unterentwickelt“, so der Professor. In den USA und vor allem in Kanada kenne man das Prinzip der „reasonable accommodation“. Das sei zwar schwer zu übersetzen, meine aber, dass dem Machbarem Raum zu geben und Raum zu schaffen sei [bzw. angemessene Vorkehrungen zu treffen seien]. Diese Einstellung, für religiöse Minderheiten und Einzelfälle eine Lösung suchen zu wollen, sei ein Gebot der Religionsfreiheit.
Meinungsäußerungsfreiheit und Antidiskriminierungsrichtlinien der EU
Auf die Frage, wie er die Angst konservativer Christen einschätze, die aufgrund der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU befürchteten, aus religiöser Sicht Abtreibung oder Homosexualität nicht mehr kritisieren zu dürfen, hielt Bielefeldt fest, dass er diese Ängste nicht teile, da die Meinungsäußerungsfreiheit in der Verfassung ein hohes Gut sei. Man müsse dann aber auch damit leben, dass man Stirnrunzeln ernte oder sich entsprechende Kommentare anhören müsse.
Das Interview zur Religionsfreiheit wird im Rahmen der Sendung „Nachgefragt“ am 25. Juli von 08:15 bis 08:45 und von 20:15 bis 20:45 Uhr auf dem Hope Channel ausgestrahlt und kann über den Satelliten ASTRA und über Internet gesehen werden.
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