Die Pfarrerin der Sophienkirche, Dr. Christine Schlund, wies darauf hin, dass am 13. September 1964 Martin Luther King in ihrer Kirche gepredigt habe. Am 12. September, einem Samstag, landete Dr. King auf dem Flughafen Tempelhof im Westteil der Stadt. Das war wenige Wochen bevor ihm der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde. Eingeladen hatte ihn der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt. Martin Luther King sprach vor 20.000 Zuhörern zum „Tag der Kirche“ in der Waldbühne und erinnerte bei einer Zeremonie im Rathaus Schöneberg an den Besuch des im Jahr zuvor ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy.
Ohne Pass nach Ostberlin
King ließ es sich nicht nehmen, auch seine „lieben christlichen Freunde in Ostberlin“ zu besuchen. Das geschah abseits des Programms. Ohne öffentliche Einladung der Kirche und ohne offizielle Einladung des DDR-Staates fuhr Dr. King am Sonntagabend in den Ostteil Berlins, um in der Marienkirche am Alexanderplatz einen Gottesdienst zu feiern. Es war das einzige Mal überhaupt, dass er sich hinter den „eisernen Vorhang“ begab. Fast wäre dem Baptistenpastor die Einreise verwehrt worden, da er keinen Pass mit sich führte. Erst, als ihn ein Grenzsoldat zufällig erkannte, konnte er den sogenannten „Checkpoint Charlie“ passieren. Seine vorgezeigte Kreditkarte genügte für den Grenzübergang.
Die Marienkirche hatte man bereits um 19 Uhr, eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes, schließen müssen, da sie mit gut 1.500 Besuchern vollkommen überfüllt war. Die vielen vor der Tür Ausharrenden zogen schließlich in die benachbarte Sophienkirche, wo sie warteten und Dr. King später am Abend seine Predigt wiederholte. Auch die Sophienkirche war bis zum letzten Platz besetzt, so Pfarrerin Schlund.
Michael Markus Schulz, der als Jugendlicher Martin Luther King in der Sophienkirche hörte, berichtete, dass die Predigt des Pastors für ihn ermutigend gewesen sei. In der Schule sei er wegen seines christlichen Glaubens verspottet und ausgegrenzt worden. In der DDR habe es Mauern und keine Freiheit gegeben, doch der Bürgerrechtler sei vom „Geist der Freiheit“ erfüllt gewesen. Seine Botschaft habe den Hörern in der überfüllten Kirche Mut gemacht. Unter anderem sagte King: „Hier sind von beiden Seiten der Mauer Gottes Kinder. Und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen. Ohne Rücksicht auf die Schranke der Rasse, des Bekenntnisses, der Ideologie oder Nationalität gibt es eine untrennbare Bestimmung: Es gibt eine gemeinsame Menschlichkeit, die uns für die Leiden untereinander empfindlich macht. In diesem Glauben können wir aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung schlagen. In diesem Glauben werden wir miteinander arbeiten, miteinander beten, miteinander kämpfen, miteinander leiden, miteinander für die Freiheit aufstehen in der Gewissheit, dass wir eines Tages frei sein werden. … Halleluja!“
Es ging dem Baptistenpastor nicht nur um die Gleichstellung der Schwarzen
In seinem anschließenden Vortrag befasste sich Professor Dr. Michael Haspel vom Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt mit dem Thema „Gerechtigkeit und Feindesliebe. Das Vermächtnis Martin Luther Kings als Zumutung“. Der Bürgerrechtler habe sich immer radikal an den christlichen Werten Frieden und Gerechtigkeit orientiert. Die Armut aller Menschen weltweit, so Haspel, sei für King die Herausforderung gewesen, sein Engagement habe sich nicht auf die Gleichstellung der Schwarzen in den Vereinigten Staaten beschränkt. Vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges hätte sich Martin Luther King konsequent für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt. Schon sehr viel früher als die meisten seiner Zeitgenossen habe er vorausgesehen, dass die Kosten des Krieges so immens seien, dass die Kriegführung die Ressourcen verbrauchen würde, die für die Begrenzung der Armut notwendig wären. Widerstand sei für Martin Luther King nur als ziviler und gewaltfreier Widerstand denkbar und sinnvoll gewesen. Er sei überzeugt gewesen, dass Gewalt nicht mit Gewalt bekämpft werden könne.
Sein unbedingtes Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden habe King jedoch keineswegs zum Helden gemacht. Die weiße Mittelschicht in den USA habe ihn gehasst, denn sie hätte von der Ausbeutung der Schwarzen durch unterschiedliche Löhne profitiert. Die Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit habe sie gegen den Bürgerrechtler aufgebracht. Seine Washingtoner Rede von 1963 mit dem „I have a Dream“-Zitat sei der Höhepunkt von Kings Erfolg gewesen. Doch King wäre nicht nur ein „Friedensapostel“ gewesen, sondern habe zeitlebens für die Theologie der Menschenwürde gestanden, die auf globale Gerechtigkeit zielt. So sei er spätestens 1966/67 an einem Tiefpunkt angekommen, sodass es auch ihm nicht gelang, die weiße Friedensbewegung und die schwarze Bürgerrechtsbewegung zusammenzubringen.
Von der Liebe Gottes bewegen lassen
Laut Professor Haspel hatte Martin Luther King mit dem Glauben an einen allmächtigen Gott seine Schwierigkeiten, denn dann wäre nach seinem Verständnis Gott ein weißer Rassist, der die Unterdrückung der Schwarzen zuließe. Deshalb verstand King Gott als einen wohlwollenden, lieben Gott, der nur über eine hinreichende Macht verfügt damit das Gute gewinnt. Nur in Kooperation zwischen Gott und dem Menschen könne das Gute über das Böse siegen. Gottes Wirken in der Welt sei davon abhängig, dass sich Menschen von der Liebe Gottes bewegen ließen und sich gemeinsam für Gerechtigkeit einsetzten. Deshalb gelte es, so Haspel sich zu bewegen und „aufstehen für Freiheit und Gerechtigkeit“. Denn Ausgrenzung und Polarisierung, wachsende Spaltungen zwischen arm und reich, schwarz und weiß, würden auch westliche Demokratien prägen.
Abendgebet
Das Gedenken an den 50. Todestag von Martin Luther King Jr. fand in der Sophienkirche seinen Abschluss mit einem Abendgebet. An der Liturgie wirkten Vertreterinnen und Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der Union
Evangelischer Kirchen (UEK), des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) in Deutschland (BEFG), der United Church of Christ (UCC) und der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) mit.
Bischöfin Petra Bosse-Huber, Leiterin der Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit der EKD, erinnerte beim Abendgebet daran, dass im Dezember 1955 sich Rosa Parks weigerte, im Bus ihren Sitzplatz zu verlassen und einen für Schwarze vorgesehenen Platz einzunehmen. Ein Busboykott folgte. Es war der Beginn einer breiten afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten der USA, um die Rassentrennung zu beenden. Der baptistische Pastor Martin Luther King war das bekannteste Gesicht dieser Bewegung. Vor 50 Jahren, am 4. April 1968, wurde er in Memphis/Tennessee erschossen.
Die Geschichte Martin Luther Kings mache deutlich, dass christlicher Glaube nicht gelebt werden könne, ohne sich auf friedliche und aufrechte Weise für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte einzusetzen. Sie mache Mut, immer wieder neu aufzudecken, wenn Menschen zu Opfern gemacht werden. Sie inspiriere dazu, friedlicher Konfliktbewältigung den Vorrang vor Gewaltanwendung zu geben, so Bosse-Huber.