Leif Tewes thematisiert in seinem neuen Krimi unter anderem die erschreckenden Hintergründe des Lebensmittelvertriebs und setzt sich hinsichtlich seines Buches auch selbst damit auseinander – mit einschneidenden Resultaten. Auf einer packenden Reise über die Kontinente sieht der Leser sich mit Großkonzernen und dem riskanten Spiel mit der Gesundheit konfrontiert. Zurück bleibt die nagende Frage: »Was essen wir eigentlich?«
In einem Interview haben wir den Autor befragt: Zu Zucker, Ausbeutung und dem Kampf von Gut und Böse.
Carolina Teichmann Cravo: Sehr geehrter Herr Tewes, in Ihrem Roman befassen Sie sich gleich mit zwei Themen, die die Menschen beschäftigen: Zucker und Lebensvisionen. Wie wichtig sind Visionen für ein Leben? Wie stehen Sie selbst zu Zucker? Und halten Sie Lebensmittelkonzerne für so hinterlistig?
Leif Tewes: Als Mann kann ich nur aus der männlichen Sicht schreiben, und ja, ich glaube, dass ein Mann einen Traum, eine Vision, braucht, um seinem Leben Inhalt und Struktur zu geben und die notwendige Energie für den täglichen Kampf zu entwickeln. Mir ging es darum zu zeigen, was passiert, wenn einem Mann diese Lebensvision endgültig genommen wird, er alles verloren und somit nichts mehr zu verlieren hat, und dieser Mann auf einen anderen trifft, der mit allen erdenklichen – und undenklichen – Mitteln für seinen Traum kämpft und noch nie verloren hat. Bei diesem Zweikampf entsteht pure Energie. Und so kam ich auf Zucker: als Kohlenhydrat ein zentraler Energielieferant für unseren Körper. Als ich zu diesem Thema recherchierte, wurde darüber noch nicht im Fernsehen und anderen Top-Medien berichtet und Jamie Oliver war mit anderen Themen beschäftigt. Bis dahin hatte ich eine gewisse Affinität zu Süßkram, die nicht immer gesund war, aber während der Recherche ist mir, ganz ehrlich, Stund’ um Stund’ schlechter geworden. Ja, ich konnte problemlos bis zu diesem Tag eine Tüte Gummibärchen an einem Abend verdrücke, oder zu Weihnachten in Spekulatius baden. Aber an diesem Tag, es war eher tiefe Nacht, habe ich mir geschworen: Nicht mit mir. Ich boykottiere diese Zuckermafia, ich mache mich nicht zum dummen Konsumbüttel für eine geradezu verbrecherische Lobby. Mit welchen unfairen Mitteln die Lebensmittelbranche arbeitet, ist, denke ich, hinlänglich bekannt – ich musste für meinen fiktiven »WorldFood«-Konzern nicht lange nach einem realen Vorbild suchen. Und so entwickelte ich einen Plan, wenn sie wollen: eine Vision, und er funktionierte: Keinen einzigen Gummibär, keinen Keks, kein Fruchtjogurt, keinen Saft, keinen Ketchup, keine Schokolade. Nichts mit mehr als, sagen wir, 5 oder 6 g Zucker pro 100 g (alles darunter wird sehr aufwändig). Also, wie stehe ich zu dieser Thematik? Konsumboykott! Sehe ich Zucker als gesundheitsgefährdend an? Ja. Glaube ich, was die Lebensmittelindustrie mir in bunten Werbespots verkauft? Nein. Was hat es gebracht? 10 Kilo abgenommen in drei Monaten! »Blutzucker« ist nicht nur ein spannender Thriller, sondern auch ein echt funktionierendes Diät-Buch.
Carolina Teichmann Cravo: Ihr Roman stellt indirekt die Frage: »Was essen wir eigentlich?«. Setzen Sie sich damit auch privat so intensiv auseinander wie Sie es in Ihrem Buch thematisieren?
Leif Tewes: Seitdem ich an dem Buch schreibe deutlich mehr als vorher, davor aber auch schon, nur eingeschränkt. Denn das ist ein Thema, bei dem man irgendwann einfach eine Grenze ziehen muss. Es gibt in den Extremen unterschiedlichste, geradezu völlig gegensätzliche Theorien, also woher soll ich als Konsument wissen, was stimmt. Es gibt Modeerscheinungen, die Gesundheit propagieren, aber bei tieferer Recherche dann doch Blödsinn sind. Es gilt, eine Einstellung zum Essen zu finden, die noch Spaß macht, aber schon ernsthaft begründet werden kann. So bin ich ein Freund von lokalen und saisonalen Produkten. Im Winter muss ich keine Erdbeeren essen, oder Wein aus Südafrika einfliegen lassen, dafür ist der Rheingau und selbst das Rhone-Tal zu nah. Genauso hat hoch subventionierte Oldenburger Butter nichts in Restaurants in Namibia verloren oder italienische Tomaten in Kenia. Lokale Landwirtschaft ist einer der Schlüssel für die Welternährung. Die industriell produzierten Lebensmittel sind nur so günstig, weil wesentliche Kosten sozialisiert werden oder in der Ferne unter Bedingungen produziert wird, die hier in Europa niemals erlaubt wären.
Carolina Teichmann Cravo: Der Großkonzern in Ihrem Roman hat sicherlich keine reine Weste. Was an der dargestellten Korruption, an dem Betrug und den vertuschten Produktionsfehlern ist fiktiv?
Leif Tewes: Nun, für die zentrale Idee gibt es kein reales Vorbild, zumindest keines, das ich kenne. Alles andere beruht auf realen Skandalen und dokumentierten Vorfällen. Die meisten sind hinlänglich bekannt, werden aber gerne verdrängt. Profit geht über Leichen, nicht nur in der Lebensmittelindustrie.
Carolina Teichmann Cravo: Großkonzerne werden gerne der Skrupellosigkeit und Ausnutzung ihrer Angestellten beschuldigt. Ihr Roman befasst sich auch mit diesen Themen, wie stehen Sie selbst dazu?
Leif Tewes: Es ist nicht »ein Konzern«, der ausbeutet, sondern immer ein Mensch. Wenn sie wollen, ein eher »böser« Mensch. Damit dieser in die Position der Ausbeutung kommt, muss das Umfeld stimmen. Er muss belohnt werden für seine Skrupellosigkeit, es kommt also auf die gelebte Unternehmenskultur an. Da ich selbst Unternehmer bin, habe ich eine etwas differenzierte Auffassung dazu, und in vielen Unternehmen und auch Großkonzernen sehe ich schon eine Wertschätzung der Mitarbeiter. In anderen jedoch auch nicht. Ohne persönlichen Respekt vor den Angestellten und der Möglichkeit, dass Mitarbeiter ihre individuellen Stärken einsetzen können und ihre individuellen Schwächen verziehen werden, werden diese Firmen keinen Erfolg haben. Egal ob Automobilhersteller oder soziale Einrichtung: Gute und also erfolgreiche Arbeit wird nur von zufriedenen Menschen gemacht, die von ausgeglichenem und geschultem Führungspersonal geführt werden und in einer konstruktiven und wertschätzenden Kultur seinen Platz findet. Da haben viele Unternehmen noch viel zu tun und zu lernen.
Carolina Teichmann Cravo: Ihre Charaktere sind sehr ambivalent, die Lebensumstände formen die jeweiligen Personen. In der Geschichte ist niemand komplett gut oder böse. Wie stehen Sie zu dieser Kategorisierung – gibt es das Gute und das Böse? Und kann man dies wirklich so strikt trennen?
Leif Tewes: Gut und Böse kämpft nicht zwischen den Menschen, sondern in den Menschen. Jeden Tag aufs Neue, bei jeder Handlung, entscheidet sich der Mensch für das eine oder das andere. Da Gut und Böse nicht real sind, sondern nur in der Vorstellung der Menschen existieren, und die Bewertung einem ständigen Wandel unterworfen ist, kann es keine strikte Trennung geben. Jede Gesellschaft – ob Familie, Dorfgemeinschaften, Staaten, Religionen – muss diese Frage immer wieder neu beantworten und am Ende (oder am Anfang) muss es jeder einzelne Mensch tun. Jeden Tag. Und weil das so schwer ist, hätten wir gerne eine einfache Kategorisierung. Das ist Böse, das ist Gut. Kann man ja aktuell auch in einigen gesellschaftspolitischen Diskussionen beobachten. Aber so einfach ist es leider nicht, im Gegenteil führt die strikte Trennung und einfache Kategorisierung meist in die Irre.
Carolina Teichmann Cravo: Ihr Roman spielt nicht nur in einem Land, sondern nimmt den Leser von Frankfurt aus mit nach Zürich, um schließlich in Cali, Kolumbien, anzukommen. Was trieb Sie dazu, sich für eine Reise über die Kontinente zu entscheiden?
Leif Tewes: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen schreibe ich keine regionalen Krimis, zum anderen schreibe ich gerne über Locations, die ich kenne, und nehme Leser gerne mit auf diese Reise. Ich bin selbst viel unterwegs und nehme zahlreiche Erlebnisse und Eindrücke mit, die irgendwann beschrieben werden wollen. So gibt es eine zentrale Szene im Buch, die in Bogota spielt, die ich fast exakt so selbst erfahren habe. Dieses Erlebnis hatte mich sehr beeindruckt und ich habe es nie vergessen. Jetzt konnte ich es endlich mal konstruktiv nutzen. Auf Zürich bin ich gekommen, weil der Plot einen Handlungsstrang in der Schweiz verlangt hat, ich Zürich einige Male besucht habe und die Stadt, finde ich, eine recht eigentümliche Stimmung erzeugt.
Carolina Teichmann Cravo: Ihr Roman spielt international. Wie stehen Sie persönlich zu der großen Nachfrage nach regionalen Krimis?
Leif Tewes: Ich kann die Nachfrage verstehen, aber nicht befriedigen. Für Verlage und den Buchhandel ist es ein Segen, denn der Vertrieb und somit der Verkauf der Bücher ist wesentlich kostengünstiger. Statt sechstausend Buchhandlungen nur sechzig oder sechshundert zu bespielen ist schon einfacher. Auch sind viele Leser eng mit ihrer Region verbunden und identifizieren sich mit ihr – sie lesen gerne eine Handlung, die dort spielt, wo sie selbst leben, arbeiten oder Urlaub machen. Es kommt jedoch auch vor, dass man durch einfaches Ersetzen bestimmter Wörter aus einem Harz-Krimi einen Eifel-Krimi machen könnte, also Regionalität mit der Auflistung geographischer Gegebenheiten verwechselt wird. Echte Regionalität ist jedoch schwieriger darzustellen. Da ich selbst schon sehr oft umgezogen bin, in der Republik an mehreren Orten gelebt und die halbe Welt bereist habe, fehlt mir die tiefe Verwurzelung zu einer bestimmten Region. Daher kann ich auch keine echten Regionalkrimis schreiben.
Nach dem Abitur begann Leif Tewes das Studium der Informatik in Frankfurt. Bereits damals begann er Fachbücher zu schreiben und einige Artikel in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Seine Leidenschaft für die Kunst lebt er als Musiker, DJ und Thriller-Autor, sein Interesse für spannende Persönlichkeiten und rasante Geschichten hat sich unter anderem auf zahlreichen Reisen und Offroad-Rallyes entwickelt. Leif Tewes, geboren 1964, lebt und arbeitet im Raum Frankfurt.
Carolina Teichmann Cravo: Herr Tewes, Sie sind eigentlich IT-Unternehmer, haben Informatik studiert. Haben Sie schon einmal über einen Krimi nachgedacht, der sich mit Computern und Programmieren befasst?
Leif Tewes: Diese Themen finden sich zwar da und dort in meinen Geschichten, einige Protagonisten können mit Computern umgehen, aber einen reinen Computer-Krimi habe ich nicht vor. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich kein Plot-Schreiber bin, sondern ein Themen-Schreiber: Ich habe ein Thema, eine Prämisse, die sich in einem Satz sagen lässt. Dazu entwickele ich dann Figuren, die dieses Thema darstellen, bzw. den zentralen Konflikt in diesem Thema, und erst zum Schluss kommt das Setting, die Bühne. Und die ist für mich eher nachrangig oder zufällig. Wie gesagt, das Thema »Zucker« ist erst spät zu mir gekommen, da waren die Prämisse und der Rahmen der Figuren schon definiert.
Leif Tewes’ Krimis laufen in der Rubrik »Roman Noir«. Es sind Geschichten von strauchelnden oder abseits der gesellschaftlichen Norm lebenden Figuren, die mit eigenem Moralverständnis nach Erlösung suchen und zwangsläufig miteinander in Konflikt geraten. »Noir« kommt aus dem Französischen, heißt »schwarz« und ist ein Begriff aus der Filmkritik (»Film Noir«). »Roman Noir« gilt, in Anlehnung daran, als Untergattung von Kriminalromanen.
Im Noir-Stil schreibt der Autor Leif Tewes von Personen, die sich nicht einordnen lassen in die klischeehafte Einteilung von Gut und Böse. Es herrscht ein dauerhafter Kampf in ihrem Inneren – meist ist ihnen etwas Grausames zugestoßen, dass ihre Moral auf die Probe stellt. Es gibt keine klare Trennung zwischen Gut und Böse, Schuld und Unschuld – niemand ist wirklich unschuldig in im Roman Noir.
Carolina Teichmann Cravo: Wie sind Sie zu dem Genre »Roman Noir« gekommen? Sind Sie selbst Krimi-Fan?
Leif Tewes: Ich lese und schaue gerne gute Krimis. Doch schon früh haben mir Filme und Bücher gefallen, mit denen meine Freunde oftmals weniger anfangen konnten. Irgendwann habe ich gemerkt, dass »Noir« mein Ding ist. Dieses Genre passt auch beim Schreiben am besten zu meinen Grundthemen. Noir rückt Leute in den Fokus, die aus der Bahn geworfen werden oder längst neben der Spur laufen, weil ihr innerer Halt zu Bruch gegangen ist, wie bei meiner Hauptfigur Paul, selbst wenn sie sich noch in scheinbar intakten Strukturen bewegen. Noir zeigt zerbeulte Typen, Getriebene, verfolgt von den Schatten der Vergangenheit, undurchsichtigen Mächten ausgeliefert, die verzweifelt nach Geld und Gold (wie Pauls Gegenspieler), Gerechtigkeit (wie Pauls Freundin) oder Liebe (wie Paul) suchen – nach etwas, das sie aus ihrer Trostlosigkeit erlöst. Das gilt in »Blutzucker« für alle zentralen Figuren, auch für Kommissar Berg. Auch seine Grenze von Gut und Böse ist schwammig und widersprüchlich, Gesetz und seine persönliche Moral sind nicht immer deckungsgleich. Er interessiert sich nicht nur für das Verbrechen, sondern auch für den Charakter der Krise, den Auslöser, und bewertet einen Fall nach eigenen moralischen Maßstäben. Der Protagonist Paul hat seine Vision für sein Leben früh verloren und irrt wie ein Fremder durch ein fremdes Leben, glaubt nicht an eine neue Vision. Als er sie endlich findet und sie ihm erneut genommen wird, verwirft er anerzogene Regeln, kämpft, auch unfair, und verfolgt ein Ziel, das unerreichbar scheint. Sein Gegenspieler, sein Chef und hoher Manager im Konzern, ist ebenfalls ein Getriebener, allerdings jagt er dem Erfolg nach. Er kämpft für seine Vision – die Beförderung in den Vorstand –, er strebt nach nichts anderem, geht dafür über Leichen und weiß nicht, was verlieren bedeutet. Blutzucker ist einerseits eine konkrete Kritik an der Lebensmittelbranche, aber es werden auch die Schattenseiten unserer Welt erhellt, wie eben Gier, Korruption, Armut, Ausbeutung, Rassismus etc. und was dies mit den Menschen macht. Was mir an Noir-Geschichten auch gefällt, ist die Rolle der Frauen: Es sind selbstbestimmte Frauen, smart und sexy, schlagfertig und ehrgeizig und oftmals schlauer als die Kerle. So wie Bergs Kollegin Elena Landers: In den Ermittlungen hat sie dieses weibliche Gespür, das dem alten Knochen Berg fehlt, sie tänzelt bewusst an der Grenze zwischen Verführung und Verhör und hat doch in manchen Situationen die »härteren Eier« als ihre männlichen Kollegen. Doch auch sie ist wie ein Eisberg: Neun Zehntel ihres Wesens treiben unter dem Wasser, bleiben für die Umwelt verborgen, und auch sie muss sich ins Dunkel der Tiefe bewegen, um sich zu ergründen. Denn echte Gefühle bedrohen die Unabhängigkeit, machen verwundbar, verletzbar. Sie befürchtet, dass, wer sich der Liebe ergibt, dafür mit dem Leben bezahlt.
Noir-Geschichten sind so herrlich schonungslos. Die Figuren, egal, wie sehr sie sich selbst belügen, werden letztlich mit ihrer Wahrheit oder der Wahrheit ihrer Gegenspieler konfrontiert. Entsprechend selten sind sonnige Happy Ends. Aber da will ich jetzt nicht zu viel verraten…
Leif Tewes Roman-Noir Blutzucker erscheint am 15. März 2017 im Größenwahn Verlag. Sein zweites Buch wird im Herbst 2017 veröffentlicht.