Auch ein Bauunternehmer aus dem Kammergebiet will so etwas noch nie erlebt haben. Seit 40 Jahren ist er in seinem Gewerk tätig, 30 Jahre lang steht er als Geschäftsinhaber in der Verantwortung und jetzt vor einer Entscheidung: „Ich fürchte, wir werden dieses Jahr noch kurz arbeiten – und das, obwohl wir Aufträge ohne Ende haben“, sagt er. Die Sorge begleitet ihn seit Tagen. Und so wie er fühlen aktuell die meisten im Handwerk. „Man macht sich Gedanken um die Mitarbeiter und deren Zukunft.“
300 Prozent Preissteigerung beim Betonstahl in den vergangenen eineinhalb Jahren sprechen eine klare Sprache. „Ende 2020 lag der Preis noch zwischen 550,- und 600,- Euro, im Sommer durch Corona bei 1.100, dann erholte sich das Ganze im Winter bei etwa 900,- Euro und seit Kriegsbeginn in der Ukraine sind wir bei 1.800,- Euro“, sagt er. Die Händler prognostizieren weiter steigende Preistendenzen. „Wir bekommen nur noch Tagespreise, was die Angebotserstellung natürlich erschwert.“ Letztlich trifft es dann auch die Kunden, die auf die Leistungen warten müssen.
Nicht nur die Preise beim Betonstahl klettern in ungeahnte Höhen, auch bei Dichtungen und Werkstoffen auf Bitumenbasis sind aktuell Anstiege von bis zu 50 Prozent zu beobachten. Dazu kommt, dass Material nur noch zeitverzögert geliefert wird. Wer nicht selbst auf Halde legen konnte und über ein Zwischenlager verfügt, so wie der Bauunternehmer aus dem Neckar-Odenwald-Kreis, hat schlechte Karten. Aber selbst mit Zwischenlager entstehen Mehraufwand und Mehrkosten.
Im Holzbereich ist das nicht anders. Große Mengen, beispielsweise an Birkensperrholz, Nadelschnittholz und Eichenholz, kommen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine. Jetzt sind die Lieferketten verzögert, zum Teil ganz unterbrochen. „Wir bekommen nur noch einen Teil der Platten, die wir brauchen, nie die ganze Menge von einem Lieferanten“, bestätigt ein Schreinermeister aus dem Kammergebiet. Aufträge lassen sich allenfalls dann noch abarbeiten, wenn man auf mehrere Lieferanten zugreifen könne. Aber selbst dann sind Zeitverschiebungen unausweichlich.
Nicht besser sieht es im Elektro-Bereich aus. Die Kabelpreise haben sich zuletzt verdoppelt. „Bei allen anderen Materialien, die wir verarbeiten, gibt es Preissteigerungen um die 30 Prozent. Transformatoren bekommen wir gar nicht mehr – irgendwann 2023, viertes Quartal, heißt es“, so berichtet ein Elektroinstallateurmeister. Sein Fachbetrieb macht Angebote nur noch mit zeitlicher Begrenzung. „Bei Kabeln ändert sich der Preis täglich“, sagt er. „Wir müssen ständig schauen, was dies oder jenes kostet, neu kalkulieren, nachrechnen. Das ist ein enormer Mehraufwand im organisatorischen Bereich.“ Dennoch möchte er nicht klagen. „Hauptsache, wir bekommen überhaupt noch was“, sagt er. Wenn der Lieferstopp nicht nur Transformatoren, sondern noch anderes Material betrifft, dann hält auch er die Kurzarbeit für unausweichlich.
Die große Frage unter den Handwerkern im Kammergebiet Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald ist, wie dies weitergeht. Die Preise klettern weiter, Nachschubprobleme bleiben. „Ich habe gerade dieser Tage zwei Auftragsstornierungen erhalten“, berichtet der Bauunternehmer. „Unabhängig voneinander werden zwei Privatleute nicht bauen, obwohl es vertraglich schon vereinbart war. Sie sagen, sie können es einfach nicht mehr stemmen. Also wurde storniert. Ich kann das den Leuten nicht übel nehmen.“
Handlungsbedarf sei damit dringend gefordert. Das sieht auch der Präsident der Handwerkskammer, Klaus Hofmann, so. „Es geht längst nicht mehr nur um die Industrie, von der meist gesprochen wird. Das Handwerk ist genauso betroffen. Wir alle sind auf die Versorgung im Lebensmittelbereich durch unsere Bäcker, Konditoren und Fleischer ebenso angewiesen wie auf die Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit im Metall-, Elektro- und Baubereich. Wir brauchen dringend eine Lösung.“ Von der Politik fordert er eine Unterstützung der Handwerksbetriebe auch im klein- und mittelständischen Bereich. „Am Ende geht es darum, Arbeitsplätze zu sichern und die Handlungsfähigkeit sowohl der Wirtschaft als auch unserer Gesellschaft zu erhalten. Weder Betriebe noch Kunden dürfen über Gebühr belastet werden. Sie können die hohe finanzielle Last auf Dauer nicht tragen“, sagt Klaus Hofmann.
Zwar sei das Energiepaket der Bundesregierung ein erster Schritt, aber noch nicht ausreichend – insbesondere für die Betriebe. Gleichzeitig werde eine Abmilderung der Preissteigerungen benötigt. „Es ist erfreulich, dass das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen in Reaktion auf die explodierenden Baustoffpreise die Preisgleitklausel für Baustellen des Bundes verbindlich geltend macht“, begrüßt Klaus Hofmann den Erlass vom 25. März. Dadurch wird in neuen Verträgen eine Anpassung an die Marktentwicklung möglich. „Die Regelung gilt zunächst bis zum 30. Juni. Ob dieser Zeitraum ausreicht, müssen wir sehen“, so der Kammerpräsident. Zudem sei es wünschenswert, wenn auch Land und Kommunen mit entsprechenden Regelungen nachziehen und wenn es eine zusätzliche Abfederung der steigenden Energiekosten insbesondere für energieintensive Betriebe gäbe.
Materialpreisgleitklauseln helfen dem Handwerk auch in Bauverträgen mit Privatkunden. Doch das ungute Gefühl bleibt, zumal man ein verlässlicher Partner sein möchte. „Es ist total unangenehm, einem Kunden sagen zu müssen, dass man das Angebot, das man vor vier Wochen gemacht hat, preislich nicht halten kann“, sagt der Bauunternehmer. Er sieht Preissteigerungen nicht nur aufgrund einer generellen Materialknappheit, sondern auch durch Spekulationen und wünscht sich einen genaueren Blick des Kartellamts auf die Geschehnisse. Genauso können Hamsterkäufe den Preisauftrieb befeuern und eine hausgemachte Knappheit verursachen.
Was bleibt, ist eine zermürbende Unsicherheit, die immer weiter um sich greift und Bereiche tangiert, die durchaus positiv besetzt sind. „Wenn wir alle durch die beiden Krisen angeschlagen sind, stellt sich die Frage, wer die Klimaziele noch umsetzen kann“, fragt Kammerpräsident Klaus Hofmann. „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen gemeinsam und besonnen an die wichtigen Themen unserer Zeit herangehen.“