Die Handwerkskammer Reutlingen hat in der Zwischenzeit eine Online-Börse eingerichtet, in der Handwerksbetriebe Praktikums- und Ausbildungsplätze für Flüchtlinge anbieten können (www.hwk-reutlingen.de/fluechtlinge.html).
Allerdings dürfe man sich keine Illusionen machen, meint Herrmann: "Wir sollten nicht so tun, als ob Flüchtlinge die Lösung aller Probleme auf dem Arbeitsmarkt wären." Er gehe davon aus, dass unter den Flüchtlingen junge, geschickte Leute seien, die für eine Ausbildung gewonnen werden könnten. Schließlich hänge eine Ausbildung im Handwerk nicht von der Staatsangehörigkeit oder der Hautfarbe ab. Entscheidend seien Interesse, Eignung, Wille - und vor allen Dingen Sprachkenntnisse. Die seien das A und O für eine gelingende Ausbildung.
Hinzu komme, dass die Mehrheit der Flüchtlinge keine formale berufliche Qualifikation mitbringe, denn in Deutschland gälten meist andere Anforderungen als in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Diese Probleme ließen sich aber bewältigen. Allerdings werde das alles nicht von heute auf morgen gelingen; in vielen Fällen dürfte der Weg zum Gesellen oder Facharbeiter mehrere Jahre dauern.
Eine Umfrage unter rund 7.500 ausbildungsberechtigten Betrieben im Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen habe ergeben, dass bereits jetzt schon Zahntechniker, Elektroniker, Bäcker, Schreiner usw. eine Ausbildung in der Region begonnen haben oder in Beschäftigung sind.
653 Betriebe (8,8 Prozent) haben an der Umfrage teilgenommen. Danach beschäftigen ca. 50 dieser Betriebe bereits einen Flüchtling, 24 bilden einen aus, zwei planen dies für 2016. Bei den Flüchtlingen handelt es sich allerdings in der Regel um Personen, die nicht aus den aktuellen Flüchtlingsströmen stammen, sondern die bereits länger in Deutschland sind und zum Teil schon besser Deutsch können. Auch bei dieser Umfrage sei deutlich geworden, dass die Sprache eine außerordentliche Bedeutung habe - sowohl als Voraussetzung für den Berufsschulunterricht als auch im Umgang mit Kunden.
"Die Handwerkskammer will ihr Kursangebot deshalb noch weiter ausbauen, sofern es die Verfügbarkeit von Dozenten und die Auslastung unserer Bildungseinrichtungen erlauben", so Herrmann weiter. "Wir möchten vor allem erreichen, dass sich Flüchtlinge begleitend zum Intensivsprachunterricht an klassische Handwerksberufe 'herantasten' können."
Einige "Flüchtlingskurse" seien bereits angelaufen oder stünden kurz davor: So zum Beispiel ein Deutschkurs in Tübingen, an den sich eine "Handwerksorientierung" der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer in den Werkstätten der Bildungsakademie Tübingen im Frühjahr/Sommer 2016 anschließen werde. Außerdem sei ein Sprachkurs für Flüchtlinge mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit in Sigmaringen geplant. Auch hier soll den Flüchtlingen frühzeitig die Vielfalt und Chancen im Handwerk näher gebracht werden.
An die Sprachkurse werde sich voraussichtlich ein sogenannter Integrationskurs in Sigmaringen anschließen: Die "besseren" Teilnehmer sollten dann in einem solchen Kurs mit gesellschaftlich wichtigen Themen (Arbeit und Beruf, Aus- und Weiterbildung, Betreuung und Erziehung von Kindern, Einkaufen, Freizeit und soziale Kontakte, Gesundheit und Hygiene, menschlicher Körper, Medien und Mediennutzung oder Wohnen) vertraut gemacht werden.
Abschließend wies Herrmann darauf hin, dass Panikmache der schlechteste Ratgeber in der derzeitigen Situation sei - und dass er Hetzparolen unerträglich finde und eines christlich geprägten Landes unwürdig. Auch empfinde er es als unanständig, wenn Parteiinteressen auf dem Rücken von Menschen ausgetragen werden, die zu großen Teilen schreckliche Erfahrungen gemacht hätten.