Kammerpräsident Harald Herrmann startete nicht wie üblich mit einem konjunkturellen Rückblick ins vergangene Jahr, sondern mit dem Bericht über das 2. Quartal, dem Quartal, das die Stimmung und die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Handwerk in seinen unterschiedlichen Facetten zeigte. Messebauer, Friseure, Kosmetikstudios und Fotografen waren von der Pandemie besonders betroffen, mussten sie ihre Betriebe doch überwiegend zwangsläufig schließen. Über alle Gewerke hinweg betrachtet verzeichneten laut Konjunkturumfrage rund 40 Prozent einen Auftragsrückgang, in den Gesundheitshandwerken sogar 75 Prozent. Nur knapp die Hälfte der Betriebe war im Durchschnitt mit der Geschäftslage im zweiten Quartal noch zufrieden. Lediglich das Bauhauptgewerbe verzeichnete nach wie vor einen positiven Auftragssaldo. „Ob wir das Schlimmste der Pandemie bereits hinter uns haben oder ob doch noch eine zweite Welle mit entsprechenden Einschränkungen ansteht, kann niemand vorhersagen“, schloss Herrmann seinen Überblick zur Konjunktur und leitete über zur Soforthilfe des Bundes und des Landes, die im Kammerbezirk Reutlingen von über 3.600 Betrieben in Anspruch genommen wurde.
Herrmann bedankte sich bei den 40 Mitarbeitern, die über Wochen hinweg, auch an Wochenenden und Feiertagen, Soforthilfeanträge bearbeitet haben und in der telefonischen Corona-Hotline den Betrieben mit Tipps und Ratschlägen zur Seite standen. Anschließend folgten beeindruckende Zahlen und Fakten zum Soforthilfeprogramm: So sind ab dessen Start am 26. März bis zum Ende am 31. Mai 6.065 per E-Mail gestellte Anträge eingegangen. 4.099 wurden an die L-Bank weitergeleitet, davon 471 mit negativem und 3.628 mit positivem Votum. Circa 1.400 Anträge wurden wegen Fehlerhaftigkeit an die Antragsteller zurückgewiesen oder von diesen selbst wieder zurückgenommen. Circa 93 Prozent der Antragsteller waren Soloselbstständige und Unternehmen mit bis zu 10, circa 7 Prozent mit 11 bis 50 Beschäftigten.
Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert präsentierte anschließend die Abschlusszahlen der Lehrlingsverträge. Im Jahr 2019 seien im Handwerkskammerbezirk Reutlingen 1.777 neue Berufsausbildungsverträge in die Lehrlingsrolle eingetragen worden. Gegenüber dem Vorjahr sei das ein Rückgang von über 11 Prozent. „Die allerneuesten Zahlen vom 30. Juni 2020 sind auch nicht gerade rosig. An diesem Tag verzeichneten wir seit Jahresbeginn 862 neue Berufsausbildungsverhältnisse. Am Vorjahresstichtag waren es noch 1.035. Das entspricht einem Rückgang von 16,7 Prozent. Hier liegen wir momentan im Bundesdurchschnitt“, so Eisert. Gleichzeitig seien zu diesem Zeitpunkt jedoch noch 773 freie Ausbildungsplätze in der Lehrstellenbörse gemeldet, berichtet Eisert weiter, im Vorjahr waren es nur 343 freie Ausbildungsplätze. Dies entspreche einem Zuwachs von sage und schreibe 126,2 Prozent. „Wir hoffen daher, dass wir uns in den Neuabschlüssen noch spürbar steigern können.“
Ein Grund für das aktuell geringe Interesse der jungen Menschen an einer Ausbildung im Handwerk könne sein, dass viele Berufsorientierungstage, Messen und Praktika durch die Corona-Krise weggefallen sind, so dass der Prozess des Kennenlernens und Bewerbens erschwert war und immer noch ist. Durch Maßnahmen wie Kinowerbung, Anzeigenschaltung, Azubicard und verstärkte Angebote in den sozialen Medien möchte die Handwerkskammer noch intensiver Jugendliche und Betriebe zusammenbringen.
Eisert streifte in seinem Bericht auch das Gesetz zur Novellierung der Handwerksordnung. Dieses ist am 14. Februar dieses Jahres in Kraft getreten und regelt die Wiederaufnahme von 12 Handwerksgewerben in die Anlage A zur Handwerksordnung. „Bis zu diesem Zeitpunkt gingen bei uns in vermehrter Zahl Anträge von Personen ein, die noch mit einem bislang zulassungsfreien Handwerk, beispielsweise dem Fliesen- oder Estrichlegerhandwerk, in die Handwerksrolle eingetragen werden wollten, um dann darauf basierend Bestandsschutz zu genießen. Diese Antragssteller mussten wir eintragen und durften das nicht ablehnen“, erklärte Eisert.
Beim geplanten Klimaschutzprogramm der Stadt Tübingen sieht Joachim Eisert die Interessen des Handwerks berührt. „Im Programm sind für sich genommen einige gute Positionen enthalten, die auch von uns unterstützt werden und sicher Aufträge für das lokal-regionale Handwerk zu generieren vermögen“, erläutert der Hauptgeschäftsführer. „Wogegen wir uns aber klar ausgesprochen haben, ist der vorgesehene Anschluss- und Benutzungszwang an das Wärmenetz der Stadt Tübingen und der Exklusivitätsstatus der Stadtwerke. Das örtliche Handwerk mit seinen ebenso guten Installationsangeboten findet keine Erwähnung.“