Ausgangspunkt für das Alternativkonzept der Wissenschaftler ist eine intensive Analyse der Schwachpunkte, die die geltende Regelung zum Kinderzuschlag zeigt. Wer von seinem Arbeitseinkommen zwar sich selbst, aber nicht mehr seine Kinder ernähren kann, soll nicht in den Hartz-IV-Bezug rutschen. Dafür gibt es seit 2005 den Kinderzuschlag von maximal 140 Euro pro Monat. Praktisch hat diese Sozialleistung jedoch kaum eine Bedeutung. So haben die Familienkassen nur zwölf Prozent der 2005 und 2006 bearbeiteten Anträge positiv beschieden. Im Ergebnis bekommen gerade einmal 90.000 Kinder den Zuschlag - ein Prozent aller Kindergeldberechtigten.
Ein wesentlicher Grund dafür sind nach der Untersuchung von Dr. Becker und Prof. Dr. Hauser die komplizierten und restriktiven Antrags- und Prüfungsanforderungen. Wer den Kinderzuschlag bekommen kann, scheint auf den ersten Blick klar zu sein: Eltern, die gerade so viel verdienen, dass sie ohne Kinder keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hätten. Tatsächlich sind komplexe Berechnungen nötig: Zunächst muss bestimmt werden, ob ein Hartz-IV-Anspruch bestünde, wenn der betroffene Elternteil kinderlos wäre - und deshalb zum Beispiel auch mit einer kleineren Wohnung auskommen könnte. Erst dann lassen sich Einkommensober- und Untergrenzen für den Kinderzuschlag ermitteln. Die Forscher sehen in diesem Verfahren einen "unverhältnismäßig hohen Aufwand" und attestieren dem Kinderzuschlag "mangelnde Effizienz".
Die meisten abgelehnten Anträge werden nicht von Eltern mit zu hohen, sondern von solchen mit zu niedrigen Einkommen gestellt. Sie können nach geltender Gesetzeslage Arbeitslosengeld II und Sozialgeld statt Kinderzuschlag beantragen. Im Jahr 2006 machte jedoch nur die Hälfte dieser Hartz-IV-berechtigten Familien von der Möglichkeit Gebrauch.
Das Alternativkonzept der Wissenschaftler behebt wesentliche Konstruktionsfehler der geltenden Regelung und entwickelt den Kinderzuschlag zum "Kindergeldzuschlag" weiter. Die Kernpunkte ihres Vorschlags:
- Erhöhung des maximalen Kinderzuschlags auf 150 Euro, so dass Kindergeld und Kindergeldzuschlag zusammen das sozialrechtliche Existenzminimum abdecken. Wegen ihres besonderen Bedarfs sollen Alleinerziehende darüber hinaus bis zu 100 Euro zusätzlich bekommen.
- Die Berechnung soll einfacher werden, zum Beispiel durch eine Pauschalisierung des elterlichen Existenzminimums. Und wer Hartz IV beantragen könnte, aber aus Scham oder anderen Gründen nicht will, soll in Zukunft nicht mehr leer ausgehen. Deshalb sollen alle Eltern mit Einkommen unterhalb des elterlichen Existenzminimums, die sich ohne Hartz-IV-Leistungen durchschlagen, den vollen Zuschlag bekommen. Für Alleinerziehende schlagen die Autoren eine Einkommensgrenze von 860 und für Paare von 1.238 Euro vor.
- Wegfallen sollen außerdem die bislang existierende Höchstbezugsdauer von drei Jahren und die Vermögensanrechnung.
Mit Hilfe des Sozio-oekonomischen Panels 2006 haben die Verteilungsforscher die konkreten Auswirkungen ihres Reformvorschlags durchgerechnet. Ergebnis: Bei Kosten von rund vier Milliarden Euro pro Jahr würden rund drei Millionen Kinder profitieren. Zwei Drittel davon leben in erwerbstätigen Familien, daher würde durch die Reform auch die Zahl der arbeitenden Armen reduziert. Besonders positiv würde sich die Reform auf Alleinerziehende und ihre Kinder auswirken. Die Armutsquote in dieser Gruppe könnte insgesamt von derzeit 40 auf etwa 32 Prozent sinken, bei Alleinerziehenden mit zwei und mehr Kindern von 45 auf gut 37 Prozent.
Dr. Becker und Prof. Dr. Hauser verstehen ihren Reformvorschlag "lediglich als ersten Schritt zu einer allgemeinen Grundsicherung für Kinder", der den Vorteil hat, schnell umsetzbar zu sein. Langfristig sei eine systematische Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs nötig, die auch Widersprüche zwischen Steuer- und Sozialrecht durch ein einheitliches, der Einkommensteuer unterworfenes Kindergeld beseitigt.
Weitere Informationen und Infografik zum Download im aktuellen Böckler Impuls 1/2008: www.boeckler.de/...