Statt das Geld in Standard-Sozialwohnungen zu stecken, hat sich das Immobilienunternehmen von der Konzeption des Künstlers und Gestaltungsprofessors Hans Lamb von der HAWK, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, anregen lassen. Jetzt werden zwei Häuserzeilen nach neuen Plänen saniert beziehungsweise umgebaut: Studierende der HAWK-Fakultäten Gestaltung und Bauwesen haben im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ein Studentenwohnheim mit Ateliers, Werkstätten, Veranstaltungsräumen und Café entworfen, das Warhols Vorbild der Einheit von Leben und Arbeiten, von Kunst und Studium, von Kultur und Austausch, ein modernes Gesicht gibt. Die schlichten, einander gegenüberliegenden Häuserriegel bekommen als Reminiszenz an vergangenheitsträchtige Industriearchitektur halbe Tonnendächer. „Das Konzept, das die Studenten erarbeitet haben, ist lebendig, witzig, interessant und dazu noch erfreulich lustvoll“, sagt Initiator Hans Lamb.
Für die sieben Studierenden, die den Ideenwettbewerb gewonnen haben, ist die Aktion allerdings noch nicht unbedingt zu Ende. Zu ihrem Preis gehörte auch das Angebot, den weiteren Prozess bis zur Fertigstellung der „Bunsenfactory“ im Rahmen von Minijobs bei der „Wertinvestition“ weiter begleiten zu dürfen – und dabei die Realitäten im ‚echten’ Leben kennen zu lernen. Gesetze, Vorschriften, finanzielle Zwänge, alles das eben, was ihnen später im Berufsleben beim Spagat zwischen Idee und Umsetzbarkeit auch über den Weg laufen wird.
Lamb und seine Mitstreiter, Professor Günter Weber von der Fakultät Gestaltung und Dipl.- Ing. Thomas Kauertz von der Fakultät Bauwesen, sehen in dieser zweiten Phase eine ganz besondere Stärke des Projektes für die HAWK: „Das ist der Grundgedanke der Bildungsform Fachhochschule“, beschreibt Lamb, „dass schon die Ausbildung stark mit Berufserfahrung verquickt ist.“ Und nicht nur das: Die Zusammenarbeit verschiedener Fachgebiete der beiden Fakultäten Gestaltung und Bauwesen ermöglicht den Studierenden zudem ein interdisziplinäres Studium. Weber sagt es kurz: „So stellen wir uns Bildung vor.“
Der Innenhof zwischen beiden Gebäuden wird bei dem nun zur Realisierung anstehenden Konzeptentwurf der Studenten programmatisch zum zentralen Aktions- und Interaktionsraum: effektive kommunikative Begegnung und frühzeitige, interdisziplinäre Vernetzung zwischen den Studierenden unterschiedlichster gestalterisch und künstlerisch ausgerichteter Studiengänge werden so möglich.
Dementsprechend findet auch die Erschließung der beiden Gebäude vom Innenraum her über zwei Treppentürme statt und wird über „Laubengänge“ auf jeder Etage konsequent transparent fortgesetzt. Die Vorderseite des Innenhofes ist erklärtermaßen offen gehalten und bietet einer Lounge Platz, welche nicht nur Studierende, sondern auch andere Stadtteilbewohner zum Kaffeetrinken und zum Besuch von Veranstaltungen im Bereich Musik, Kleinkunst, Theater und Kunst einlädt. Mit Rampen und Aufzug wird das Ensemble im Veranstaltungs- und Wohnbereich des Erdgeschosses behindertengerecht geplant.
Im Wohnbereich der „Bunsenfactory“ wird es eine Vielfalt unterschiedlicher Wohnungstypen geben - von verschiedenen Versionen von Zwei- und Dreizimmerwohnungen mit Gemeinschafts- oder Einzelbädern für Wohngemeinschaften und kleine studentische Familien bis hin zu Einzelapartments.
Neben dieser für ein Studentenwohnheim ungewöhnlichen Buntheit von Wohnkonzepten und den kommunikativen Grundstrukturen des Hauses gibt es jedoch noch eine weitere Besonderheit, die diesen Ort so einzigartig machen wird:
Nach einem ausgeklügelten System sind auf den gesamten Komplex Räume verteilt, die es den Studenten möglichen machen soll, sich individuelle Werkstatt-Ateliers, digitale Büros sowie Proberäume für Musik und Theater einzurichten.
So wird sich der Leitgedanke des Projektes entwickeln können: Leben und Arbeiten unter einem Dach - dem Studium von Anfang an mehr Qualität und Effektivität geben durch ein frühes interdisziplinäres „Miteinander Vernetzen“ und durch minimale Wege zwischen Wohnen, Studienräumen und eigenen Werkstätten oder Büros.
Dementsprechend richtet sich das Angebot der „Bunsenfactory“ natürlich vor allem an die Studierenden der zahlreichen „kreativen“ Studiengänge, die in Hildesheim angeboten werden - die vielfältigen Studienrichtungen der HAWK-Fakultäten Gestaltung und Bau sowie des Studienganges Kulturwissenschaften der Universität.
Etwa 55 Plätze wird das Kultur-Wohnheim haben. Die Mietpreise sollen an die des Studentenwerks angelehnt sein und der ehrgeizige zeitliche Plan: die Fertigstellung schon Ende dieses Jahres. „Wir werden versuchen, die Entwurfsidee der Studenten im Rahmen der ökonomischen Mittel weitgehend zu realisieren“, sagt Hans-Joachim Kruse, Projektleiter bei der Immobiliengesellschaft „Wertinvestition“. Stadtplanerisch soll dieses Projekt die Hildesheimer „Kreativ-Achse“ Hauptbahnhof, Kulturfabrik Löseke, Theaterhaus Hildesheim, HAWK Langer Garten aufgreifen, über den Kennedy-Damm ins Entwicklungsgebiet Fahrenheit hinein verlängern und somit das Viertel kulturell wie „sozial anschließen“ und bereichern.
„Sozial anschließen“ beschreibt einen weiteren Aspekt des Modellcharakters dieses Projekets. Der Stadtteil Fahrenheit ist nicht eben Hildesheims erste Adresse und in diesem Umstand liegen auch die Beweggründe der Immobiliengesellschaft, dieses für Immobiliengesellschaften eher revolutionäre Vorhaben zu unterstützen. Studentisches Leben, studentische Kultur haben schon in Städten wie Hamburg, Berlin oder Leipzig vergessene Stadtteile zu multikulturell hochinteressanten Szenevierteln wachsen lassen. In Hildesheim jedenfalls könnte die „Bunsenfactory“ die Initialzündung für ein attraktives Stadtteilleben sein. Die Bunsenstraße, an der eine der Häuserzeilen liegt, war jedenfalls die Keimzelle des Projektes.
Hans Lamb hatte bei einem Streifzug durch den Stadtteil schon im Wintersemester 2005 die leer stehenden Häuser entdeckt und jenseits aller Trostlosigkeit als Raum für kreative Aktionen ausgemacht. Die Immobiliengesellschaft überließ ihm die Wohnungen der Nummer 14 für ein Semester-Projekt mit seinen Studierenden. Unter dem Titel „Arbeitsraum Raumarbeit“ realisierte Lamb dann im Sommersemester 2006 ein für Hildesheimer Verhältnisse außerordentlich schräges Kunstprojekt, das die blinden Fensterscheiben zum Kaleidoskop gemacht und Impulse in den sozial schwierigen Stadtteil gebracht hat. Die Wohnungen wurden zu Ateliers und öffentlichen Ausstellungsräumen der Studenten. Der Erfolg dieser Aktion ließ dann die Idee der „Bunsenfactory“ wachsen und schweißte angehende Innenarchitekten, Architekten sowie Licht-Designer samt Professoren und Dozenten zusammen, das Ziel klar vor Augen: Deutschlands ungewöhnlichstes Studentenwohnheim.